Die Taschenspieler – Verraten und verkauft in Deutschland

Bildung & Wissen // Artikel vom 11.11.2010

Lobbykratie statt Volks­herrschaft.

Einmal auserwählt, macht die Politik gern ihr eigenes Ding, alles demokratisch legitimiert versteht sich. Das ist nix Neues, nur laut sagen mag’s keiner, schreiben schon zweimal nicht. Denn Wahrheit muss man sich leisten können. Investigativen Journalismus auch. Die Autoren um Herausgeber Josef-Otto Freudenreich, einst treibende Kraft hinter dem ausgebremsten Pressemonopolbrecher „Karlsruher Rundschau“, haben ihn sich geleistet: „Wir können alles“ betitelten sie 2008 süffisant ihre Kapitel über „Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle“.

Das Enthüllungsbuch kehrte so manches unter dem Teppich hervor; allen voran die Recherchen von Meinrad Heck, Karlsruhe-Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“, zu den Schrottimmobilien der Badenia Bausparkasse und seine Aufarbeitung des größten Wirtschaftskrimis der Nachkriegsgeschichte: die Machenschaften von Flowtex-Chef „Big Manni“ Schmider, der mit nicht existenten Bohrgeräten Milliarden „erwirtschaftete“.

Ziemlich real sind diese horrenden Summen momentan in Stuttgart, wo den Machthabern überraschenderweise des Volkes Verdrossenheit entgegenschlägt. Mit Europas größtem Bahnprojekt eröffnen Freudenreich & Co. denn auch ihre neue Pflichtlektüre für kritische Geister: „Die Taschenspieler – Verraten und verkauft in Deutschland“. Zwölf Kapitel über die Seilschaften von korrumpierten Politikern, gierigen Unternehmern und artig mitspielenden Staatsbeamten.

Die vertuschten Spuren im Fall des Heilbronner Polizistinnenmordes sind da ebenso Thema wie die Atommülltransporte von Karlsruhe nach Asse und andere offene Baustellen der „Deutschen Größenwahn AG“. Vielen der Bürger, die dieser Tage den von S21-Gegner Walter Sittler auch im Vorwort geforderten „zivilen Ungehorsam“ üben, mag es beim Demonstrieren einzig und allein ums Verhindern eines Milliardenprojektes gehen, dessen stetig nach oben schnellende Kosten ohnehin für keinen mehr zu fassen sind; aber vielleicht dient es manchem auch als Ventil, weil sich im Dampfkessel der Frustration über Jahr und Tag ein nicht mehr zu unterdrückender Überdruck aufgebaut hat.

Denn hierzulande wird nach anfänglichem Echauffieren am Ende doch immer nur geschluckt. Ja und Amen. Man muss es noch lange nicht gut heißen, wenn in Frankreich Autos in Flammen stehen. Doch gibt es auf der anderen Rheinseite etwas, das bei unsereinem ziemlich unterentwickelt ist: anständige Protestkultur. Ohne angemessenes Reagieren der Regierenden kommt der Glaube an die Demokratie unter die Räder. In Stuttgart und anderswo. -pat

Josef-Otto Freudenreich (Hrsg.), „Die Taschenspieler – Verraten und verkauft in Deutschland“
(Verlag Klöpfer & Meyer), 288 Seiten, 19,90 Euro
www.kloepfer-meyer.de

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