Hans-Jochen Vogel – „Mehr Gerechtigkeit!“

Bildung & Wissen // Artikel vom 12.03.2020

Bezahlbarer Wohnraum – eine vergessene Debatte.

„Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz.“ Der 94-jährige SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel greift unter dem Titel „Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar“ (Herder Verlag) eine in Großstädten heiß diskutierte Frage auf.

40 Prozent der Großstadthaushalte zahlen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete. Um gegenzusteuern, plädiert Vogel energisch für eine neue Bodenordnung. Denn nicht mehr die Baukosten bestimmen den Wert einer Immobile, die Kosten für ein Grundstück machen in München inzwischen fast 80 Prozent der Gesamtkosten eines neuen Wohngebäudes aus, Tendenz weiter steigend. Ein Rechenbeispiel: Die Stadt Karlsruhe verkaufte das Gelände hinterm Hbf 2017 für 20 Millionen Euro an den 1&1-Chef Ralph Dommermuth, der laut Stadtverwaltung an dieser Stelle 145 Millionen Euro in den Bau investiert. Demnach hätte das Grundstück einen Wert von über 580 Millionen Euro – fast das 30-fache! Auch wenn Karlsruhe natürlich nicht München ist.

Schon 1953 forderte der Bundestag die Regierung zu einem Gesetz auf, mit dem „Spekulationsgewinne an Grund und Boden ausgeschlossen“ würden; der Karlsruhe Gemeinderat lehnte dagegen erst im Februar aus Angst vor „Wettbewerbsnachteilen“ den Antrag der Grünen ab, stadteigene Grundstücke ausschließlich in Erbpacht abzugeben. Stattdessen werden Filetstücke weiter an Investoren verhökert. Derweil bleibt Vogel seinen Leitideen aus der Zeit als Münchener OB in den 70ern treu: Die Kommunen müssten Grund und Boden zukaufen, nicht mehr veräußern. Privatpersonen sollten Grundstücke nur noch über Erbpacht nutzen und bebauen dürfen, das Eigentum aber bei der Kommune verbleiben. Um leistungslose Gewinne für die Allgemeinheit abzuschöpfen, sollte der Gewinn nach dem Kauf eines Grundstücks auch zehn Jahre danach steuerpflichtig bleiben und auch die Wertsteigerung besteuert werden. Vogel setzt sich dabei intensiv mit verwaltungsrechtlichen Fragen auseinander und liefert mit seinem knapp 80-seitigen Büchlein ein Rezept, das sich alle politischen Entscheidungsträger endlich zu Herzen nehmen sollten, sonst wird der Druck auf den Wohnungsmarkt und die Mieten und die Sozialsysteme endlos weitersteigen. -fk

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