Kulinarische Viecher
Bildung & Wissen // Artikel vom 06.11.2009
Wenn Christian Hückstädt auf die Pirsch geht, um Inspirationen für seine Collagen und Illustrationen zu sammeln, erntet er bisweilen argwöhnische Seitenblicke.
Stundenlang steht er am Gemüseregal im Bio-Supermarkt und dreht Früchte in der Hand. Neben gut gemeinten Tipps bietet ihm schon mal eine freundliche Kassiererin an, lieber eine frische Melone aus dem Lager zu holen, die noch keine weichen Stellen hat. Doch genau auf solche hat es der Grafiker abgesehen, denn die Melone ähnelt allzu sehr einem Walfisch und die Druckstelle ganz offensichtlich dem Auge.
Im Juni erschien im Patmos Verlag sein Kinderbuch „Neue Stiefel hat Frau Gans“, in dem er eine beachtliche Sammlung solcher „tierischen Expeditionen“ versammelt und mit charmanten Reimen versehen hat. Kostprobe gefällig? „Im Mondlicht trabt der Elevater / zum Urwald-Freilicht-Filmtheater. / Es folgen ihm der Söhne zwei / – ganz aufgeregt sind sie dabei, / denn heute läuft ‚Das Dschungelbuch’, / da lohnt sich sicher der Besuch“. Tatsächlich ist nicht zuviel Schnitzerei nötig, um ein paar Fenchelknollen in eine Elefantenherde zu verwandeln.
Das eigentliche Arbeits-Vergnügen besteht für den Berliner darin, das Obst und Gemüse zu drehen und zu schauen, was sich darin eventuell für Gestalten versteckt halten könnten. So fest unsere Sehgewohnheiten auch sind: Wenn man die Fenchelknolle einfach auf den Kopf stellt und ein, zwei Triebe wegschneidet, muss man nur noch ein Auge bohren und schon ist der faltige Grauhäuter mit Rüssel fertig. Mit wenigen Griffen entstand so ein kunterbunter Gemüsezoo aus Champignon-Äffchen und Bananen-Delfinen, Kohlrabi-Giraffen und Paprika-Krebsen.
Etwas Typisches hat jedes Tier an sich, und das gilt es, herauszukitzeln. Christian Hückstädt arbeitet wie ein Archäologe am Schnippelbrett: Sorgfältig wählt er für jedes Geschöpf das passende Gewächs – Spitzkohl für das spitzzahnige Krokodil, Blumenkohl für den kecken Pudel. Ist der Kopf erstmal halbwegs getroffen, denkt sich unser Gehirn den Rest schon zurecht. Wo bekannte Formen vorkommen, produziert es Sinn; es lässt uns Dinge als Ganzes erkennen. Wir scannen die Dinge nicht jedes Mal neu ab, sondern orientieren uns durch Vergleiche. Wenn etwas so und so aussieht, vergleichen wir es mit unseren Erfahrungen und nehmen dann an, dass es dieses oder jenes ist. So wird aus einem Haufen Zucchini eine gemütliche Schildkröte. Wir können gar nicht anders.
Schon als Illustrator hat Hückstädt sich jahrelang mit Icons und Character-Design befasst. Das Prinzip des Cartoons, aus ganz wenigem wie Punkt, Komma und Strich etwas durchaus Anspruchsvolles, Lebendiges zu schaffen, fasziniert ihn. Vor allem, weil dieser Minimalismus eine aktive Mitarbeit vom Betrachter fordert, der das leblose Ding nur mit Hilfe seiner Fantasie zum Leben erweckt. Oder um es mit den Worten Oscar Wildes zu sagen: „Das Geheimnis der Welt liegt nicht in den unsichtbaren Dingen, sondern in den sichtbaren“. Seit 1991 treibt der Künstler Bildforschung zu Bild-Text-Beziehungen und der Bildsprache klassischer Comics.
Seine witzigen Papp-Collagen und Zeichnungen fanden bereits Verwendung in Magazinen und Wochenzeitungen; außerdem entstammen seiner Feder mehrere Künstlerbücher wie „Allen hilft der Wald“ und „Die Wut und ihr Haustier“. -fb
www.hueckstaedt-illustration.de
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