Lieferservices bringen das Restaurant zum Kunden
Bildung & Wissen // Artikel vom 10.07.2024
Lieferservices für schmackhafte Gerichte gehören zu den markantesten Annehmlichkeiten, die das Leben im Digitalzeitalter bietet.
Zwar entstanden die fahrenden Boten nicht mit dem Internet. Doch die digitale Revolution führte aufgrund der neugewonnenen technischen Möglichkeiten zu ihrer massenhaften Verbreitung, während die Jahre der Corona-Pandemie als Transmissionsriemen für diesen Prozess wirkten. Werfen wir einen Blick in die Geschichte der Lieferservices und gehen diesem kulturellen Phänomen auf den Grund.
Die Vorteile von Lieferservices
Lieferservices weisen für Kunden zahlreiche Vorteile auf. Die Lieferung nach Hause ist äußerst komfortabel und die Auswahl an Gerichten ist um ein Vielfaches reicher geworden, weil Kunden vor der Bestellung die Speisekarten gleich mehrerer Restaurants miteinander vergleichen können. Über JUST EAT Gutscheine können Kunden sogar von Spareffekten profitieren.
Historische Vorbilder
Die Idee, Getränke und Gerichte zu den Menschen zu bringen, begleitet uns schon seit Jahrtausenden. So waren die alten Ägypter Meister der Organisation und routiniert darin, ihre Baustellen regelmäßig mit Lebensmitteln zu versorgen. Ein anderer Ansatz entstand mit „Essen auf Rädern“ in England im Jahre 1943. Bedürftigen Personen wurde das Essen ins Haus geliefert und das Projekt wurde von Hilfsorganisationen betreut.
Als Geburtsstunde einer privaten Essenslieferung gilt das Jahr 1889, als der italienische König Umberto I. mit seiner Gemahlin Margherita in Neapel weilte und beide die Dienste der seit 1780 bestehenden Pizzeria „Pietro… e basta cosi“ für eine Essenslieferung in Anspruch nahmen. Der Pizzabäcker Raffaele Esposito kam auf eine Idee, die Geschichte schrieb, als er kurzerhand eine Pizza in den Nationalfarben des jungen Staates entwarf, die er zu Ehren seiner berühmten Kundin „Pizza Margherita“ benannte.
Die Sorte, in der die drei Nationalfarben Italiens durch Tomatensoße, Mozzarella und Basilikum hergestellt werden, ist bis heute ein beliebter Klassiker und Symbol für das erwachende Nationalgefühl nach dem Risorgimento.
Mit dem Massenkonsum, der Verbreitung des Telefons und dem Trend zur autogerechten Stadt in den 60er Jahren kamen die ersten Restaurants in den westlichen Gesellschaften auf die Idee, einen Lieferservice einzurichten. Kunden fanden die Anbieter schnell im Telefonbuch oder auf den Gelben Seiten.
Die Speisekarte gab es auf Flyern, in Zeitungsanzeigen und per Nachfrage. Mit der Ölkrise 1973 ging zunehmend der Vorteil günstiger Spritpreise verloren, sodass die Preisunterschiede im Vergleich zum Restaurantbesuch durch eine Liefergebühr spürbar wurden.
Der erste digitale Lieferdienst in Europa
Anders als heute sind Restaurants mit Lieferservice nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. In Europa gilt der damals 21-jährige Student der Wirtschaftsinformatik, Jitse Groen aus den Niederlanden, als Erfinder moderner Lieferservices, der als Erstes konsequent auf digitale Geschäftsmethoden setzte. Sein Ansporn wurde das Versagen der hiesigen Gastronomen, seine Familienfeier im Jahre 1999 mit Gerichten zu beliefern, sodass er sich vornahm, es besser zu machen, was ihm bravourös gelang.
Die Erfolgsgeschichte von Jitse Groen
Die ersten Jahre seines neuen Geschäfts waren für Jitse Groen ein hartes Brot. Diese Erfahrung teilt er mit anderen berühmten Erfindern, deren Wirkungsort sich einst in einer Garage befunden hatte. Damals war Groen gezwungen, Hunderte von Restaurants persönlich aufzusuchen, um sie für das neue Geschäftsmodell mit seinem Start-up Takeaway zu gewinnen.
Anders als im vordigitalen Zeitalter, als es ausschließlich die Restaurants waren, die einen Lieferservice unterhielten, setzte sein Geschäftsmodell auf einen Vermittler zwischen Restaurant und Kunden, der gegen eine Provision des Gastronomen die Kundenlieferung übernimmt.
In Amerika kam Jason Finger in dieser Zeit mit seinem Start-up Seamless Web zu einem vergleichbaren Erfolg. Ein Meilenstein war für Groen die Expansion nach Deutschland 2008, wo er sich dem Kampf mit den renommiertesten Anbietern Pizza.de, Lieferheld und Lieferando stellte.
Mit innovativen Ideen, harten Bandagen und den Methoden von Fusion und Übernahme setzte er sich durch, sodass er sich heute in Deutschland mit Lieferando eine Quasimonopolstellung erkämpfen konnte. Unter dieser stöhnen viele Restaurants aufgrund von Provisionen von durchschnittlich 13 Prozent (1) bis heute. Sie wirkt sich mit Blick auf das Preisniveau auf Kunden ebenfalls nachteilig aus.
Vom Fahrstuhl- zum Paternostereffekt
Wie sehr die Corona-Pandemie als Brandbeschleuniger für diese Entwicklung in Erscheinung trat, zeigt die Statistik von HDE-Monitor 2021, die in diesem Jahr den Zuwachs von im Internet bestellten Lebensmitteln von 1,4 Prozent auf zwei Prozent (2) dokumentierte, was einer Umsatzsteigerung von 60 Prozent entsprach.
Soziologisch zeigt das Geschäftsmodell, dass der noch in den 1980er-Jahren prognostizierte Fahrstuhleffekt, durch den sich der Reichtum auf fast alle gesellschaftlichen Schichten erstreckte, zunehmend durch einen Paternostereffekt ersetzt wird. Das Prekariat beliefert die Mittelschichten, und während die einen aufsteigen, steigen die anderen ab (3).
(1) www.forbes.at/artikel/the-winner-takes-it-all.html
(2) einzelhandel.de/images/attachments/article/2876/Online_Monitor_2021_2306.pdf
(3) www.deutschlandfunkkultur.de/gorillas-lieferando-und-co-die-mittelschicht-bestellt-das-100.html
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