„Unpolitische Kunst ist irrelevant – es sei denn, sie hat Poesie“

Bildung & Wissen // Artikel vom 26.03.2024

Johannes Hucke – „Dragoner wider das Morgenlicht“

Interview mit Johannes Hucke, INKA-Kolumnist & potenzieller „Deutscher Buchpreis“-Träger 2024

Wir treffen Johannes Hucke am Gleis 3 im Karlsruher Hauptbahnhof. Es ist 7.45 Uhr, er wirkt nicht sehr frisch, seine Umhängetasche wechselt achtmal die Schulter.

INKA: Warum führen wir unser Gespräch auf dem Bahnsteig?
Johannes Hucke: Ich wohne hier. Gewissermaßen. Seit 27 Jahren bin ich permanent unterwegs, Gemeinwesenarbeit in Ludwigshafen. Das hört aber gerade auf. Immer in der S-Bahn schreiben ist nicht gut für die Nackenmuskulatur.

INKA: Sie sind jetzt 57 und haben gerade ihr „Opus Magnum“ veröffentlicht, einen fetten Roman. Was haben Sie denn vorher gemacht?
Hucke: Romane veröffentlicht. Aber nicht so fette. Auch Sachbücher, Gastrosophisches, Theaterstücke. Von Hause aus bin ich Lyriker.

INKA: In der SWR-„Landesschau“ am 12.1. wollten Sie bestimmt vor allem „Dragoner wider das Morgenlicht“ präsentieren. Es stand aber ihr soziales Engagement im Zentrum: Sie haben Theologie studiert, dann Sozialpädagogik…
Hucke: Bei dem Buch gehen Kunst und soziale Arbeit ausnahmsweise einmal Hand in Hand. Es ist ein sozialpolitisches Manifest in literarischer Prosa: Findig werden gegen die Einkommensungerechtigkeit! Nicht einfach ertragen, dass die Gehälter der Topmanager exponentiell steigen… und die anderen können sich keine Kartoffeln mehr leisten. Unpolitische Kunst ist irrelevant. Es sei denn, sie hat Poesie.

INKA: Ein Aufruf zur Revolution?
Hucke: Von mir aus gerne. Aber bitte niemanden aufhängen, das hatten wir schon zu oft.

INKA: Martin Seidler hat Sie gefragt, ob das zusammengeht: eine Gesellschaftssatire, gar eine Groteske – und die Darstellung von sozialer Exklusion?
Hucke: Ich habe das bejaht, unbedingt. Der Grimmelshausen-„Simplicissimus“ ist ja ein grässliches, ein brutales Buch – aber an manchen Stellen lacht man sich kaputt.

INKA: Damit wären wir bei Ihren Inspirationsquellen. Aus der schreibenden Zunft nennen Sie Werfel, Klingemann, Lichtenstein – alles Leute, die längst tot sind.
Hucke: Ja, leider! Meines Erachtens ist die Gegenwartsliteratur in die Falle getappt. Seit dem Naturalismus schreiben wir alle Devianz-orientiert. In der Nachkriegszeit kam der Kahlschlag und immer noch herrscht diese Trockenheit vor. Damit sich’s verkauft, muss unbedingt noch was Obszönes mit rein. Das ist der Mainstream, seit Langem. Stinklangweilig. „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.“ Mir sagt die Forderung Schillers an die Künste tatsächlich noch etwas: dass wir mehr anbieten müssen als die Beschreibung der Schrecken. Immerhin gibt es den „Turm“ vom Tellkamp; vom Dichterischen her ist der wohl der stärkste unter den Gegenwärtigen.

INKA: Werden wir ein bisschen lokalpatriotisch. 2005 haben Sie in Karlsruhe ein Kindertheater gegründet, sogar zwei KSC-Krimis gemeinsam mit Holger Nicklas veröffentlicht, über zehn Jahre lang in Karlsruher Grundschulen Theater- und Lyrikkurse gegeben, woraus ja ein toller Band mit Kindergedichten hervorging…
Hucke: Ich habe auch einen Karlsruher Lieblingsverlag! Knapp 40 Bücher haben Thomas Lindemann und ich zusammen gemacht. Mittlerweile residieren die in Bretten, aber atmosphärisch gehört das ja zusammen. Als ich 2000 hierherzog, dachte ich erst: Karlsruhe ist eine Kurstadt, so still und friedlich im Vergleich… Am besten gefallen mir hier die Wochenmärkte, das Umland. Ich wüsste keine andere Stadt, von der aus man so unterschiedliche Gegenden von solchem Reiz in so kurzer Zeit erreichen kann: die Südpfalz, das Elsass, die Ortenau, der Kraichgau… Das ist doch irre!

INKA: Ihr Zug kommt. Schnell noch die obligatorische Frage: Was kommt als nächstes?
Hucke: Ein Buch mit Altbrotrezepten, dann wieder ein fetter Roman, der die Zeit von 1982 bis 2002 abgrast: „Vielleicht ist es gleich halb Sechs“, Fortsetzung von „Der Schatten wird länger“, eine Pentalogie, wozu der Komponist Uwe Frey die Musik liefert.

INKA: Zum Schluss: Ihre literarische Maxime?
Hucke: Die Sprache muss dich in Narkose legen, damit der Inhalt die Operation durchführen kann.

Johannes Hucke präsentiert seinen neuen Roman „Dragoner wider das Morgenlicht“ am Di, 26.3., 19.30 Uhr, in der Stephanus-Buchhandlung zum ersten Mal in Karlsruhe.

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