Du sollst den Wald nicht vor dem Hasen loben
Bühne & Klassik // Artikel vom 21.01.2015
Demenz auf der Theaterbühne.
Das Stück mit dem verdrehten Sprichwort im Titel erzählt die Geschichte einer Frau, die den Erinnerungen ihrer Mutter hinterherläuft – und der Zeit. Denn die Mutter ist dement und hat noch nicht viel über den unbekannten Vater erzählt. Jörn Klare ist der Demenz mit seiner erkrankten Mutter selbst begegnet und hat nach einem Sachbuch nun auch ein Theaterstück darüber geschrieben.
INKA: „Du sollst den Wald nicht vor dem Hasen loben“ stellt Fragen nach Erinnerungen und danach, wie sie die eigene Identität manifestieren. Wer ist man, wenn man seine eigenen Erfahrungen vergisst?
Jörn Klare: Ich denke, Identität ist viel stärker fundiert als die klassischen autobiografischen Daten wie der eigene Geburtstag. Die Erfahrungen, die man im Leben gemacht hat, fließen viel tiefer ins Bewusstsein und den Charakter mit ein und sie bleiben auch da, selbst wann man sich nicht mehr konkret an sie erinnert. Das macht die Persönlichkeit viel stärker aus als das Wissen um bestimmte Ereignisse.
INKA: Welche Rolle spielt Sprache?
Klare: Wir glauben ja gerne, dass es bei der Sprache ganz stark um den Inhalt geht. Bei Dialogen mit dementen Menschen bekommt sie aber eine andere Qualität und ist nicht mehr unbedingt logisch fundiert. Subtexte sind oft viel entscheidender als das, was wirklich gesagt wird – oder auch der Klang der Stimme. Man kommuniziert anders, geht viel spielerischer mit Sprache um, wenn man es richtig macht. Es kann auch komische Momente geben, wenn zum Beispiel Sprichwörter vergessen und neu miteinander kombiniert werden – das kommt im Stück auch vor und steckt ja schon im Titel.
INKA: In dem Stück spielt die Tochter ihrer Mutter alte Tonbänder, auf denen die Mutter zu hören ist, als Erinnerungshilfe vor. Ist Klang eine bessere Gedächtnisstütze als Sprache?
Klare: Das ist schwierig. Für mich war das ein Mittel, die Erinnerung – das, was tatsächlich verloren geht – im Theater erlebbar zu machen. Welche Biografie, die wir nicht kennen, verschwindet da? Ich selbst habe meiner dementen Mutter alte Tonaufnahmen vorgespielt, auf denen sie spricht – ab einem gewissen Punkt hat sie sich selbst nicht wiedererkannt. Meine Erfahrung war eher, dass Musik etwas ist, was sehr spät vergessen wird: Auch wenn meine Mutter teils die Namen ihrer Kinder vergessen hatte – bei den Weihnachtsliedern konnten wir uns immer noch sehr an ihr orientieren.
INKA: Kann man, wenn man das Thema bearbeitet, auch etwas „falsch“ machen?
Klare: Ich denke, es wäre falsch, nur auf den Horror-Aspekt einer Demenz zu setzen. Die Krankheit ist sicher nichts, was man sich wünscht, aber ich habe erlebt, dass man in der Auseinandersetzung damit viel gewinnen kann. Mich hat es viel über Identität und die Wichtigkeit menschlicher Beziehungen gelehrt. Es entstehen auch immer wieder absurde Situationen, eine unfreiwillige Komik in den Dialogen – wer da im Theater lachen möchte, kann das auch tun! Das gehört dazu. Und es ist nicht so, dass ein Mensch mit Demenz kein Glück erleben könnte – es ist nur etwas anders, als wir Außenstehenden vielleicht vermuten. -fd
Premiere: Mi, 28.1.15, Badisches Staatstheater, Studio, Karlsruhe
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