Interview mit Geräuschemacher Max Bauer
Bühne & Klassik // Artikel vom 03.11.2011
Das Ohr schaut mit – im Film wie im Live-Hörspiel.
INKA-Redakteur Patrick Wurster sprach mit Max Bauer, der bei „Winnetou I“ für die Geräuschkulisse sorgt.
INKA: Darf man Sie als professionellen Betrüger bezeichnen?
Max Bauer: Die Arbeit eines Geräuschemachers besteht tatsächlich auch aus Vortäuschen. Der Originalton ist zwar oft der schönste, aber manchmal komme ich nicht umhin, mithilfe verschiedenster Gegenstände Geräusche zu imitieren, um sie Zuschauer und Zuhörer glaubhaft zu machen. Denn in Film oder Hörspiel möchte man gerne mehr, als die Wirklichkeit liefert. Schlägereien sind dafür ein Paradebeispiel. Oder ganz unscheinbare Geräusche wie das Schreiben mit dem Federkiel. Durch die Überhöhung der Geräusche entsteht ein stärkerer Bezug zum Bild. Der Schlag ins Gesicht vermittelt Schmerz und das Kratzen auf der Schriftrolle erhöht die Eindringlichkeit der geschriebenen Worte.
INKA: Wie wird man Geräuschemacher?
Bauer: Eine Ausbildung gibt es nicht, nur die Einfallsreichen etablieren sich. Der klassische Weg führt über Musik und Tontechnik. Das Handwerk selbst erlernt man aber bis heute nur durch Überlieferung. Ich etwa war drei Jahre Assistent von Mel Kutbay und arbeite seit 1996 als selbständiger Geräuschemacher und Sound-Designer.
INKA: Ihr Mentor zählte in den 70ern und 80ern zu den Geräuschemachergroßmeistern in Deutschland, war verantwortlich für „Der Name der Rose“ und den Echolot-Klang in „Das Boot“. Sie sind mittlerweile zu der Auffassung gelangt: „Filmvertonung im Studio ist Akkordarbeit, auf der Bühne darf ich Freak sein.“
Bauer: Im Studio kann ich wesentlich detaillierter arbeiten. Präzision in Sound und Timing werden erwartet, die Szenen wiederholt, bis sie hundertprozentig passen. Oft komponiere ich eine Vielzahl von Geräuschen zusammen, um einen einzigen Effekt zu erzeugen. Leider sind die Geld- und damit Zeitbudgets meist so knapp bemessen, dass die Arbeit immer wieder in Akkord ausartet und man zulasten der Kreativität auf Bewährtes zurückgreift. Auf einer Bühne mit Schauspielern und Musikern entstehen dagegen auch unerwartete Situationen, ich muss spontan reagieren, kreativ sein. Das hat dann viel mit dem Schlagwerker und Live-Percussionisten zu tun, der ich früher einmal war.
INKA: Dass sich Pferdehufe mit klappernden Kokosnüssen nachstellen lassen, ist bekannt, ansonsten sind die Kniffe Ihrer Zunft geheim. Aber auf der Bühne kann jeder sehen, mit welchen Klangutensilien Sie hantieren...
Bauer: Die Zeiten, in denen diese Tricks noch gehütet werden mussten, sind vorbei. Allerdings trifft der Vergleich mit einem Zauberkünstler durchaus zu: Wenn David Copperfield ganze Flugzeuge verschwinden lässt, wissen nur sehr wenige Menschen, wie das funktioniert, wohingegen jeder nachschlagen kann, wie man aus einem Zylinder mittels doppeltem Boden ein Kaninchen zieht. Dasselbe gilt fürs Geräuschemachen. Aber auf der Bühne entfalten simple Tricks wie der Beutel Speisestärke für die Schritte im Schnee oder der Kartoffelbrei für die schmatzende Wunde selbst im 21. Jahrhundert noch eine große Magie. Ich sehe es auch als Teil meiner Arbeit, das Handwerk des Geräuschemachens in dieser Form zu zeigen. Eine Filmvertonung im Studio ist viel komplexer, das reduziert sich schon lange nicht mehr auf Knistertüte und Lederlappen zum Feuermachen. Für einen Schlag ins Gesicht mische ich beispielsweise bis zu zehn Klangkomponenten. So hat jeder Geräuschemacher seine spezielle Arbeitsweise – und das sind Geheimnisse, die ich besser für mich behalte.
INKA: Flintenschüsse, Bärenkämpfe, Flussprügeleien – verraten Sie, wie bei „Winnetou I“ das ein oder andere hörbar gemacht wird?
Bauer: Hier steht die Live-Komponente stark im Vordergrund, weil Handgemachtes nicht nur schöner anzuschauen ist, es lässt sich auch sehr gut an die Dynamik des Stückes anpassen. Vielfach setze ich über 100 Jahre alte Techniken ein, die ich noch von meinem Meister gelernt habe – wie beim Kampf zwischen Old Shatterhand und dem Bären, wenn ich in ein Papprohr, das so genannte Godzilla-Rohr, brülle oder Tonband fürs nicht ganz lautlose Anschleichen durchs Unterholz verwende. Ansonsten sind die Geräusche sehr real gehalten: Mit einer Steinplatte stelle ich Schritte nach, die Flussszene kommt aus dem Wassereimer. Und als Winnetou zum Beweis, dass ihn Old Shatterhand vom Marterpfahl befreit hat, ein Stück Haar abgeschnitten wird, reiße ich bewusst cartoonesk an einem Klettverschluss.
INKA: Setzen Sie auf der Bühne auch vorgefertigte Geräusche ein?
Bauer: Die Schüsse samt ihrer Querschläger sind tatsächlich Samples, die ich per Knopfdruck starte. Früher wurde dafür mit dem Lineal auf eine Zigarrenschachtel geschlagen – allerdings bekommt man damit keinen Colt Kaliber 44 oder einen Bärentöter hin. Ich wäge also als Teil des Live-Ensembles, das auch optisch wahrgenommen wird, immer zwischen Darstellbarkeit, der wirklichkeitsgetreuen Nachbildung, Klangqualität und -ästhetik ab. Selbstverständlich benutze ich auch den Computer, um Töne herzustellen. Geräuschemachen heißt ja nicht zwangsläufig, dass man immerzu mit dem alten Scharnier quietschen muss.
INKA: Wie darf man sich den Arbeitsplatz eines Geräuschemachers vorstellen?
Bauer: Ein Geräuschemacherstudio muss ausehen wie eine Mischung aus Flohmarkt und Baustelle. Hier wird gelagert und getüftelt. Für die Bühne packe ich dann meinen Geräuschemacherkoffer mit den für die jeweilige Produktion notwendigen Klangutensilien.
INKA: Es gibt Tonkonserven wie den Wilhelm Scream oder auch einen nicht minder berühmten Adlerschrei, der in zahlreichen Hollywood-Produktionen verwendet wird. Haben Sie auch ein Geräusch kreiert, das jeder kennt?
Bauer: Die meisten handgemachten Geräusche erhalten zwar keinen berühmten Stellenwert, allerdings schaffen es gelungene Klänge in die Archive und so entdecke ich durchaus immer mal wieder eines meiner Werke – seien es zu Boden fallende Patronenhülsen oder lodernde Fackeln – bei Produktionen, an denen ich gar nicht originär beteiligt war. Aber mit meiner Auftragsarbeit verkaufe ich auch die Urheberrechte. Der Wilhelm Scream dagegen ist ja eher als Gag so berühmt geworden, weil sich die Sound-Designer in den 70ern und 80ern einen Spaß daraus gemacht haben, ihn in alle möglichen Filmproduktionen einzubauen.
INKA: Sie hatten gegen Ende Ihrer Lehrzeit im Soundeffekt-Studio Meloton auch mal eine solche Wette laufen...
Bauer: Es galt damals, mindestens ein Geräusch je Produktion aus einem Toaster herauszuholen. Aber bei den meisten Aufträgen kann man sich solche Klangexperimente schon rein zeitlich gesehen gar nicht erlauben.
INKA: Warum ist der traditionelle Geräuschemacher auch in Zeiten von Special Effects nicht aus der Mode gekommen?
Bauer: Die Filmindustrie ist nach wie vor auf die handgemachte Vertonung angewiesen, weil sie präziser, eindrucksvoller, glaubwürdiger und günstiger ist als die Optimierung des Originaltons oder die Synchronisation der Geräusche mit Archivmaterial durch einen Tontechniker. Vieles lässt sich wesentlich schneller bildgenau produzieren; etwa wenn sich ein alter Mann hinkend über den Kieselweg schleppt, aber auch schon einfaches Kleiderrascheln. Wenn ich das aus dem Archiv nehme oder versuche, es maschinell zu generieren, wird das Ergebnis nie homogen und organisch sein. Und am Set sind solche Nebengeräusche störend, weil die laut knarzende Lederjacke den leise gesprochenen Dialog übertönt.
INKA: Welchen Stellenwert genießen Geräuschemacher in der Traumfabrik?
Bauer: Der Foley Artist – benannt nach Jack Donovan Foley, dem ersten, der in den 20ern bildsynchrone Geräusche für die Filmvertonung hergestellt hat – erfährt in Hollywood eine weitaus höhere Wertschätzung als in Deutschland. Dass die Tonebene dort noch als wichtiger erachtet wird, hat natürlich auch mit den unterschiedlichen Budgets zu tun: Für die Tongestaltung großer amerikanischer Produktionen arbeiten oftmals bis zu sechs Geräuschemacher mehrere Monate, um die richtigen Töne zu finden. Auch für die Tonspur französischer oder japanischer Filme wird mehr Muse verwandt.
INKA: Sie haben mal gesagt: „Ein schlechter Film wird durch gute Töne nicht besser.“ Macht es eigentlich einen Unterschied, ob Sie „Oscar“-Kino oder Klamauk, „Karakter“ oder „Ballermann 6“ vertonen?
Bauer: In meinen Anfangstagen haben mich anspruchsvollere Produktionen noch eher beflügelt. Doch im Zuge der Professionalisierung muss jedes meiner Geräusche das bestmögliche sein – ganz gleich, ob Kunst oder Kommerz, original oder eben nachgestellt.
Do, 10.11., 21 Uhr, ZKM-Medientheater, Karlsruhe
www.der-geraeuschemacher.de
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