„Man muss das Medium Theater live erleben“

Bühne & Klassik // Artikel vom 16.02.2015

Schauspieldirektor Jan Linders über die Bildungsarbeit am Badischen Staatstheater.


Geschichten erlebt man heute in Games, und bei der Orientierung in der Welt helfen Smartphone und Online-Maps.Was kann da Theater jungen Menschen noch bieten? Und wie macht man sie neugierig? Stellvertretend für alle anderen Mitarbeiter des Badischen Staatstheaters, die in der Theaterpädagogik aktiv sind, spricht Schauspieldirektor Jan Linders über die Bildungsarbeit des Hauses.

INKA: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer eigenen Schulzeit mit dem Theater gemacht?
Jan Linders: Ich kann mich an keinen einzigen Theaterbesuch mit der Schule erinnern. Ich bin aber in der Theaterstadt Hamburg groß geworden und habe das Theater durch viele Besuche mit den Eltern und mit günstigen Schülerkarten selber entdeckt.

INKA: Worauf kommt es bei der Bildungsarbeit am Theater an?
Linders: Jeder muss das Medium Theater live erleben. Wenn man mit der Schule mindestens einmal im Jahr ins Theater geht, über mehrere Jahre hinweg, dann weiß man, was das für ein besonderer Raum ist. Ein Raum, den man als Weltmodell begreifen kann – als Alternative zur bestehenden Welt. Heute gibt es kein klassisches Bildungsbürgertum mehr, unsere Gesellschaft ist immer ausdifferenzierter, sie wird älter und der Anteil an Migranten nimmt zu. Das Theater ist längst nicht mehr Leitmedium, auch das Kino nicht mehr. Und doch ist Theater weiter der Versuch, viele Menschen mit einem Erlebnis zusammenzubringen. Natürlich kommt es für junge Menschen altmodisch rüber, es hat keine coole Benutzeroberfläche – aber indem man im Theater entschleunigt wird, von allen Umwelteinflüssen abgeschottet wird und sich ganz auf das Erlebte konzentrieren kann, bekommt es eine neue Bedeutung.

INKA: Welche theaterpädagogischen Projekte und Formate bietet das Staatstheater denn an?
Linders: Wir bieten Klassenzimmerstücke, die mit minimalen Mitteln einen Klassenraum in eine Bühne verwandeln, die von unseren Schauspielern oder Sängern bespielt wird. Unsere Pädagogen bieten Workshops an, bei denen Schüler Szenen aus dem Stück, das sie besuchen werden, im Vorhinein spielen oder verwandte Situationen entwickeln können. Wir haben Materialmappen für Lehrer und kommen mit Darstellern und Dramaturgen in Schulklassen. Außerdem gibt es Kooperationen mit Schulen, die mit uns verabreden, einmal im Jahr ins Theater zu kommen. Dafür bekommen sie vergünstigte Preise und das Angebot, die Stücke oder Konzerte mit uns vor- und nachzubereiten. Und vor allem haben wir die Sparte des Jungen Staatstheaters mit ihren Produktionen aller Sparten für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen.

INKA: Im Spielplan des Staatstheaters finden sich auch aktuelle Abi-Sternchenthemen. Haben Sie manchmal das Gefühl, hierbei nur den Lehrplan abzuhaken?
Linders: Nein, überhaupt nicht. „Dantons Tod“ von Büchner zum Beispiel ist eine sehr gute Inszenierung für alle. Aber ich möchte Lehrer und Schüler ermutigen, öfter selbst organisiert in Stücke jenseits der Sternchenthemen zu kommen. Neulich war eine Englischklasse in „Ich bereue nichts“, unserem Stück über Edward Snowden. Das finde ich toll – wenn das Theater Themen der Gesellschaft aufgreift und wir gemeinsam darüber sprechen können. Im Gegensatz zu einer Doku-Sendung geht es bei uns weniger um Fakten, dafür öffnen wir den Raum für Fragen. -fd

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