Premières 2014
Bühne & Klassik // Artikel vom 04.06.2013
Panik, Pathos, Porno.
Vor 50 Jahren unterzeichneten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag. Die einstigen Erbfeinde Frankreich und Deutschland legten damit den Grundstein zu einer andauernden Zusammenarbeit, unter anderem in kulturellen Belangen. In dieser Tradition steht das Theaternachwuchs-Festival „Premières“, gemeinsam erarbeitet vom Theater „Maillon“ in Strasbourg, dem Théâtre National de Strasbourg und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. „Premières“ stellt die Inszenierungen junger europäischer Regisseure vor und findet nach sieben Strasbourger Ausgaben nun zum ersten Mal in Karlsruhe statt.
Ab sofort soll das Festival jährlich zwischen beiden Städten pendeln. Zusätzlich zu den vielen Kooperationen im Hochschulbereich werde damit auch die kulturelle Brücke zwischen Deutschland und Frankreich geschlagen, betont der elsässische Regionalrat Jean-Marie Belliard, der „Premières“ unterstützt. Diese Brücke reicht aber nicht „nur“ über den Rhein: Das Festival führt den Regie-Nachwuchs aus ganz Europa zusammen. Insgesamt kommen sieben unterschiedliche Sprachen auf die Bühne, unter anderem Slowenisch, Ungarisch und Türkisch (je mit deutschen und französischen Untertiteln). Manche Regisseure erleben ihr erstes Mal vor einem anderssprachigen Publikum. Jan Linders, Schauspieldirektor des Badischen Staatstheaters, weist zudem darauf hin, dass am Rhein auch unterschiedliche europäische Regiekulturen (grob unterschieden in Nord und Süd) aufeinandertreffen.
Wie wird man Regisseur? Was ist die Rolle von Regisseuren? Diesen Fragen kann man bei „Premières“ nachspüren, aber auch der, was es heißt, im Europa dieser Tage mit all seinen Aufgaben, Problemen und Chancen zu leben und für die Bühne zu arbeiten. „Ich erlebe diesen Theaternachwuchs als eine junge, wache Generation, die sich in ihren Inszenierungen mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandersetzt“, berichtet die Festivalkuratorin Barbara Engelhardt. Unter dem Motto „Panik, Pathos, Porno“ zeigt „Premières“ zehn Stücke an vier Tagen. Zeitlich ist es möglich, alle zu sehen. In unserem Spezial stellen wir die zehn Nachwuchs-Inszenierungen vor.
Merlin oder Gott, Heimat, Familie
1981 führte Tankred Dorst in seinem „Merlin“ den alten Mythos vom Zauberer, von Artus und der Tafelrunde auf die Bühne. Das Stück blickt auf die Entwicklung von Menschheit und Welt und prophezeit den Verlust von Utopien. Eine solche ist Ungarn, die Heimat des Regisseurs Csaba Polgár, mit dem Kommunismus wenig später tatsächlich abhanden gekommen. Polgár hievt Dorsts „Merlin“ aus der aktuellen Perspektive seines Landes in die unsichere Gegenwart – mit einem großen und äußerst musikalischen Ensemble. -fd
Do+Fr, 6.+7.6., 20 Uhr, Insel
Olmamiş mi? – Isn’t it?
Lange ist die Jugend der fünf jungen Performer noch nicht her – aufgewachsen in den 90er Jahren haben sie eine bewegte, wandelhafte Zeit in der Türkei erlebt. Außer dem Alter ist ihr gemeinsamer Nenner, dass sie heute in künstlerischen Bereichen tätig sind: Theater, Design, Film, Musik und Literatur. Mit Regisseur Fatih Genckal puzzelt diese junge türkische Generation die Erfahrungen und Erinnerungen ihrer Jugend und ihre Erwartungen an eine mögliche Zukunft der Türkei bruchstückhaft und nicht ohne Widersprüche zusammen. -fd
Do+Fr, 6.+7.6., 21 Uhr, Insel
Blickakte
„Wenn wir das Theater wieder errichten können, können wir auch unsere Leben neu aufbauen“, sagte der somalische Aktivist Jabril Ibrahim Abdulle, als das Nationaltheater Mogadischu nach jahrzehntelanger Schließung aufgrund von Bürgerkrieg und Islamisten wieder eröffnete. Der Frankfurter Daniel Schauf nimmt diese Begebenheit als Ausgangspunkt für eine Suche nach kultureller Identität – mit einem deutschen Performer und einer taiwanesischen Sängerin. -fd
Do+Fr, 6.+7.6., 23 Uhr, Staatstheater, Studio
Amado Mio
Regisseur Ivan Peternelj wuchs im selben Ort auf wie der italienische Autor und Filmemacher Pier Paolo Pasolini: Idrija in Slowenien. In „Amado Mío“ bearbeitet Peternelj zwei Texte von Pasolini, die nach dessen gewaltsamem Tod 1975 erschienen sind. Thema ist die homosexuelle Beziehung des damaligen Lehrers Pasolini zu einem seiner Schüler und die Bredouille, in die sie aufgrund der strengen Moralvorstellungen vergangener (?) Tage führte. -fd
Fr, 7.6., 19+21.30 Uhr, Hochschule für Gestaltung
Telemachos - Shoul I Sty Or Should I Go?
Kein Theater ohne Griechenland – nur, wie sieht hellenische Dramatik Jahrtausende nach Sophokles und Euripides aus? Einfach ist es für junge Regisseure in Griechenland derzeit nicht, gerade, wenn man in der freien Szene arbeitet. In „Telemachos“ berichten Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris, beide mit einer deutsch-griechischen Biografie, vom Mäandern zwischen diesen zwei Ländern und Kulturen und der anhaltenden Frage, wo man eigentlich hingehört – Odysseus schippert auch im 21. Jahrhundert weiter. -fd
Sa, 8.6., 20 Uhr + So, 9.6., 19 Uhr, Staatstheater, Kleines Haus
Kijken Naar Julie
Bram Jansen, der jüngste Regisseur des Festivals, bearbeitet bevorzugt Klassiker. Ein solcher ist August Strindbergs „Fräulein Julie“ von 1888. Die Hochadelige Julie beginnt ein Verhältnis zu ihrem Diener Jean – und wird von der klassenhierarchischen Realität bitter eingeholt. Der Maastrichter Jansen versieht das Stück jedoch mit keinem Update durch zeitgenössische Ästhetiken, sondern liefert dazu einen soziologischen Kommentar
aus heutiger Sicht. -fd
Sa, 8.6., 16 Uhr + So, 9.6., 17.45 Uhr, Staatstheater, Studio
I Would Prefer Not
Ein süffiges Stück könnte es werden, das die Autoren Herman Melville und Stanislav Witkiewicz, eine dekadent-niedergehende Bourgeoisie und die hektische heutige Arbeitswelt aufeinanderprallen lässt. Die Brüsselerin Selma Alaoui zeigt die Melancholie von ihrer komischen Seite, die Suche nach dem Sinn des Lebens von ihrer grotesken, und sie inszeniert eine Burleske, die nicht so recht weiß, wo Realität aufhört und Fiktion beginnt. -fd
Fr, 7.6., 20.45 Uhr + Sa, 8.6., 19.45 Uhr, ZKM
La loi d'interaction - ou l'histoire de la girafe qui fait (trop) peur
Die Tänzerin Katy Hernan und der Schauspieler und Regisseur Adrien Rupp wollen Tanz und Theater neuartig verknüpfen. Zu „Premières“ bringen sie ihre zweite Duo-Produktion mit – und einen fast vergessenen alten Bekannten: den Overhead-Projektor. Mit ihm gehen sie der rätselhaften Frage nach, warum wir in unserer scheinbar so individualisierten Zeit überhaupt noch aufeinander zugehen und kommunizieren wollen. Nicht zuletzt auf der
Theaterbühne... -fd
Sa+So, 8.+.9.6., 18 Uhr, Hochschule für Gestaltung
Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk durch den Feigling Steven Jobs
Was für ein Titel! Der Autor K sucht den sibirischen Baikalsee auf, um die Wahrheit zu finden. Dort wartet ein schreckliches Geheimnis auf ihn. Irgendwas mit Atom-U-Booten, Organspenden, Griechenland, dem Kapitalismus und der Barockoper hat es zu tun. Timo Krstin inszeniert seinen eigenen Text als Mix aus Politsatire, Diskurstheater, Genre-Mash-Up und klassischer Heldenreise und fragt, wie authentisch man (nicht nur) im Theater, in einer Welt voller Zitate, sein kann, sein soll. -fd
So, 9.6., 16+19.30 Uhr, Staatstheater, Studio
Die auserwählte Klasse der Radfahrer
Die Fahrrad-Spritztour des jungen Thomas Bernhard zu seiner Salzburger Tante Fanny endet jäh mit gerissener Kette im Straßengraben. In seiner Erzählung „Ein Kind“ beschreibt der Schriftsteller das Freiheitsversprechen, das ihm das Fahrrad gab – weg von der Enge des Elternhauses, die ihn nur zu schnell wieder einholt. Franz-Xaver Mayr und Korbinian Schmidt verarbeiten diese Kindheitserinnerungen frei in eine atmosphärische Szenenfolge, in der Licht, Ton und Text körperhafte Züge bekommen. -fd
Sa, 8.6., 22.15 Uhr + So, 9.6., 14.30 Uhr, Insel
Festivalpass: 13 Euro, ermöglicht ermäßigten Eintritt zu jeder Vorstellung; Einheitspreis für Studio, Insel, ZKM, HfG: 13 Euro, erm. 7 Euro; Eintrittspreis für Kleines Haus: 9-28 Euro, erm. 7 Euro
www.festivalpremieres.eu
www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/schauspiel/premieres
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