„Rechtsmaterial“, das NSU-Projekt
Bühne & Klassik // Artikel vom 14.03.2014
„Wir müssen uns alle die Frage stellen...“
Konstantin Küspert und Jan-Christoph Gockel, die Macher des Theaterprojekts über den Nationalsozialistischen Untergrund, gingen zum NSU-Prozess, befragten den NSU-Untersuchungsausschuss und die Bundesanwaltschaft. So sammelten sie jede Menge wortwörtliches „Rechtsmaterial“, das am Badischen Staatstheater mit Schauspielern, Bühnenbild und Video lebendig wird und zu ergründen versucht, was Menschen so radikalisiert hat. Friedemann Dupelius traf Küspert zum Interview.
INKA: Zur Zeit gibt es mehrere Theaterprojekte zum Thema NSU. Wie stehen Sie dazu?
Konstantin Küspert: Das war uns vorher klar. Theater versucht ja häufig, aktuelle Geschichten und Fragestellungen aufzugreifen. Unser eigener Ansatz ist, sehr genau zu recherchieren und daraus die Geschichte der Täter zu erzählen. Wir recherchieren auch bei der Bundesanwaltschaft, die ja hier in Karlsruhe sitzt.
INKA: Auf was für ein Echo sind Sie dort gestoßen?
Küspert: Die erzählen natürlich nichts, was sie nicht auch an die Presse herausgeben würden. Aber sie haben sich sehr gefreut und großes Interesse daran, mit uns zu arbeiten. Wir waren zum Beispiel bei Ex-Bundesanwalt Rainer Griesbaum, der uns seine subjektive Sicht auf die ganzen Vorgänge verraten hat.
INKA: Was unterscheidet Ihre Arbeit von einer journalistischen Annäherung an das Thema?
Küspert: Ein guter Journalist würde nicht interpretieren, sondern die Fakten recherchieren und wiedergeben. Wir interpretieren sie und wollen einen Kommentar zum Geschehenen verfassen – so faktisch wie möglich, aber es gibt viele Leerstellen, die wir füllen müssen. Wir wissen ja zum Beispiel nicht, wie die NSU-Leute miteinander umgegangen sind. Fiktion spielt also eine wesentliche Rolle.
INKA: Sie integrieren auch „Schlageter“, ein Propagandastück des NS-Schriftstellers Hanns Johst, in Ihr Werk. Warum?K
Küspert: Es erzählt die Lebensgeschichte von Albert Leo Schlageter, der, während Frankreich 1923 das Ruhrgebiet besetzt hatte, in den Untergrund verschwunden und mit Gewalt gegen die Besatzer vorgegangen ist – die Geschichte um diese damalige rechtsextreme Terrorgruppe kann man gut mit der jetzigen vergleichen.
INKA: Der „Kulturspiegel“ schrieb, im Zuge der NSU-Theaterstücke würden wir alle auf der Anklagebank sitzen. Was meinen Sie dazu?
Küspert: Wir müssen uns alle die Frage stellen, warum wir das als Gesellschaft nicht verändert haben. Warum ist es möglich, dass Neonazis in den Untergrund gehen, Leute erschießen und es so lange dauert, bis die Verbrechen erkannt werden? Wir wollen die Leute bewegen, ihre Komfortzone ein Stück weit zu verlassen und sich mit der Materie nochmal anders, intensiver zu beschäftigen.
Premiere: Sa, 29.3., 19.30 Uhr, auch Fr, 4.4. + Mi, 9.4., 20 Uhr, Badisches Staatstheater, Studio, Karlsruhe
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