Small Town Boy

Bühne & Klassik // Artikel vom 24.05.2016

In „Smalltown Boy“ besangen Bronski Beat das Jägerzaun-Umfeld eines jungen Homosexuellen in der Kleinstadt.

Das war in den 1980ern. Drei Jahrzehnte später schreibt Falk Richter ein Theaterstück mit demselben Titel. Regisseur Atif Mohammed Nour Hussein erzählte INKA vor der Premiere am Staatstheater Karlsruhe, wie es dem Small Town Boy 2016 geht.

INKA: Inwiefern ist so ein Stück heute noch provokativ? Ist Provokation darin angelegt?
Atif Mohammed Nour Hussein: Durchaus. Für mich hat es zwei zentrale Aspekte: Zunächst geht es darum, aus homosexueller Sicht über sich – über „uns“ – zu reden. Immer wird über uns gesprochen, wir sind Talkshow-Thema, werden problematisiert – aber welche Themen haben wir selbst? Welche Sehnsüchte, Nöte, Begierden? Alle reden über Sex, aber über schwulen Sex wird in der Öffentlichkeit nicht gesprochen. Und das zweite, die etwas deutlichere Provokation, ist dann der große Monlog „Frühling der Reaktionäre“ – eine große Abrechnung mit dem, was mit der „Demo für alle“ in Stuttgart oder den Wahlerfolgen der AfD noch mal aufgezeigt hat, wie brüchig es noch ist, zu sagen, wir lebten in einer gleichberechtigten Gesellschaft.

INKA: In dieser Rede setzt Richter gegen prominente queer-feindliche Machtmenschen wie Vladimir Putin an und wurde für die Härte seiner Worte kritisiert. Wie gehen Sie damit um?
Hussein: Ja, es ist ein Rundumschlag – es geht um Erika Steinbach, Putin, die Süddeutsche Zeitung, die katholische Kirche –, aber es ist nicht so, dass sich Richter einfach „auskotzt“. Nein, er analysiert ganz klar: Wer sitzt wo und verhält sich wie und warum? Die Rede ist so wütend, weil viele dieser mächtigen Menschen sich in Privatestes einmischen und Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Das verletzt. Ein Rezensent stellte die Frage, ob die Schärfe dieser Wutrede nicht gar das Persönlichkeitsrecht verletze. Da sage ich: Mit Verlaub, Sie verletzen meine Rechte. Ich verstehe diese Kritiken nicht, es ist auf der Bühne alles so klar und verständlich. Natürlich gibt es Überdramatisierungen, aber mit diesen soll noch deutlicher darauf hingewiesen werden, in welcher Not sich noch immer viele Menschen befinden.

INKA: Wie real, wie fiktiv ist das Stück?
Hussein: Falk Richter umkreist das Thema „schwules Selbstverständnis“ und nutzt dafür verschiedene Genres. Es gibt dramatische Szenen, Dialoge, Erinnerungsfetzen, aber auch Rückgriffe auf Filme, „Verbotene Liebe“-Zitate im Soap-Opera-Stil und sogar eine großartige Parodie auf „50 Shades of Grey“. Er spielt mit den Unschärfen zwischen Privatem und Öffentlichen, auch zwischen Realität und Fiktion. So erhält man Einblick in Biografien, es bleibt aber offen, ob es die der Schauspieler oder künstlicher Figuren sind.

INKA: Wie viel Zukunftsvision zeichnet Falk Richter in „Small Town Boy“? Oder bleibt er vor allem nah an der Gegenwart?
Hussein: Es geht Falk Richter immer um die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben? Bezogen auf „Small Town Boy“: Was bedeuten Beziehungen, was Zweisamkeit? In seiner teilweise schonungslosen Offenlegung privater Dinge liegt ja auch ein Ausblick dahingehend, was wir vielleicht ändern können. Er liefert keine konkreten Antworten – die muss man sich schon selbst geben – aber er stellt die richtigen Fragen. -fd

Öffentliche Probe: Di, 24.5., 20 Uhr, Premiere: So, 5.6., 19 Uhr, weiterer Termin: Do, 9.6., 20 Uhr, jeweils Badisches Staatstheater, Studio, Karlsruhe

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