Staatstheater-Generalintendant Peter Spuhler im Interview
Bühne & Klassik // Artikel vom 24.09.2013
Das INKA-Interview von Friedemann Dupelius mit Generalintendant Peter Spuhler zur neuen Spielzeit des Badischen Staatstheaters.
INKA: Welches Fazit ziehen Sie aus der vergangenen Spielzeit 2012/13?
Peter Spuhler: Wir blicken auf eine sehr erfolgreiche Spielzeit zurück, künstlerisch und was die Besucherzahlen betrifft. Wir haben im selben Jahr den Preis der Theaterverlage für das beste Musiktheaterprogramm und den für das beste Konzertprogramm in Deutschland erhalten, was außergewöhnlich ist. Schön, dass die Karlsruher inzwischen genießen, dass sie bei uns auch Überraschendes sehen können, nicht nur den Mainstream – zum Beispiel in unserer Reihe „Politische Oper“ mit „Die Passagierin“ oder „Peter Grimes“. Es ist toll, dass man mit einem sehr ungewöhnlichen Programm augenscheinlich einen großen Publikumserfolg haben kann – wir kommen auf insgesamt rund 300.000 Besucher 2012/13, was ein absoluter Besucherrekord im Vergleich der letzten Jahre ist. Das neue Junge Staatstheater kommt sehr gut an, die Zuwendung zu den Schulen hat sich bewährt und auch Dinge wie die Jugendoper finden Anklang.
INKA: Wie wichtig ist Ihnen die Entwicklung neuer ästhetischer Formen, die Beschreitung neuer künstlerischer Wege?
Spuhler: Die Kunst steht immer im Mittelpunkt, das ist das Allerwichtigste! Da wir eine steuergeldfinanzierte Bildungs- und Kultureinrichtung sind, ist es unsere Aufgabe, den Leuten auch das Schwierige, das Kantige, das ästhetisch Innovative zu bieten. Wir wollen und müssen nicht konsensfähig sein. Wir wollen exzentrisch, außergewöhnlich und innovativ sein – und wir wollen damit auch Grenzen aufzeigen, also: Was sind die aktuellen Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst des Theaters? Ein tolles Beispiel ist unsere Reihe „Philosophisches Theater“. Zu unserem Volkstheater-Stück „Eine (mikro)ökonomische Weltgeschichte, getanzt“ würden Puristen wahrscheinlich sagen: „Das ist gar kein Theater.“ Uns ist wichtig, den Leuten zu sagen, warum es eben doch Kunst ist.
INKA: Welche neuen künstlerischen Wege möchten Sie in der kommenden Spielzeit denn beschreiten?
Spuhler: In der „Volkstheater“-Reihe werden wir das Projekt „100 Dokumente“ mit dem argentinischen Regisseur Gerardo Naumann durchführen. 100 Bürger werden aufgefordert, ein für sie persönlich wichtiges Dokument mitzubringen und dessen Geschichte dem Publikum zu erzählen. Das wird voraussichtlich eine 24-stündige Aufführung ergeben, die man jederzeit betreten und verlassen kann. Wir wollen den Karlsruhern zeigen, wie ungeheuer vielfältig und schön die Welt des Theaters ist. Natürlich muss man auch die Hauptwerke spielen und immer daran denken, dass man sein Publikum nicht aus den Augen verliert. Aber man muss auch neue Wege in die Zukunft aufzeigen. Dabei suchen wir immer die Auseinandersetzung mit dem Publikum, wobei nicht nur die intellektuelle Erklärung wichtig ist, sondern auch klargemacht wird, dass da ein ganzes Team leidenschaftlich für die Sache steht.
INKA: Wie steht es um die inneren Grenzen im Haus? Wo wollen Sie diese eventuell aufweichen?
Spuhler: Ich glaube, ein Traum aller Theaterleiter und auch Spartendirektoren ist die enge Zusammenarbeit untereinander. Die würden wir uns noch intensiver wünschen, so dass man zum Beispiel gar nicht mehr sagen kann, ob man gerade ein Schauspiel, einen Tanz, eine Oper oder eine neue Kunstform aus verschiedenen Elementen sieht. Das ist aber in einem so großen Komplex wie einem Staatstheater mit seinen vielen parallelen Vorstellungen organisatorisch kompliziert. Es gibt jedoch auch Beispiele, wie sich Mitglieder unserer Sparten mischen: In der neuen Spielzeit werden wir die Oper „Die Nachtigall“ zeigen, in der die Hauptrolle zwar von einer Sängerin gesungen, aber von einer Balletttänzerin getanzt wird. Tim Plegge, der bislang für unser Ballett die Choreografie von Momo erarbeitet hat, wird dabei seine erste Oper inszenieren.
INKA: Sie wollen sich 2013/14 ja verstärkt den älteren Zuschauern zuwenden. Was bedeutet das? Kann man „die älteren Zuschauer“ überhaupt so zusammenfassen?
Spuhler: Das kann man sicherlich nicht, das wäre auch eine Unverschämtheit. Alter ist keine Kategorie, man ist so alt wie man sich fühlt. Ich reagiere da auf eine Kritik einiger älterer Besucher, die das Gefühl hatten, im Moment würden nur die jungen Leute zählen und sie gar nicht mehr. Das kann ich erklären: Zunächst galt es, das Junge Staatstheater neu auf den Weg zu bringen und unsere anfängliche Besucherumfrage ergab, dass das Staatstheater vorwiegend von älteren Menschen besucht wird. Das heißt aber nicht, dass uns diese weniger wert wären. Ich wüsste nicht, was ein Theater für Ältere oder für Jüngere ästhetisch sein sollte und würde vor solchen Etikettierungen warnen. Aber inhaltlich kann man schon reagieren – so haben wir das europäische Programm „The Art of Ageing“ („Die Kunst des Alterns“) an Land gezogen, das sich mit Fragen des Alterns in unserer Gesellschaft beschäftigt. Außerdem werden wir ein Stück der Bildenden Künstlerin Etel Adnan umsetzen, die jetzt 88 Jahre alt ist.
INKA: Was ist mit den Grenzen zu anderen Ländern? In der vergangenen Spielzeit wurde diejenige zu Frankreich ja mit dem Festival „Premières“ überschritten.
Spuhler: Ich finde es für Karlsruhe sehr wichtig, europäisch zu denken, als geistige Grundhaltung, und weniger diesem konstruierten Konflikt „Baden/Schwaben“ nachzugehen. Man kann sich freuen, dass Frankreich so nah ist, dass man im Herzen Europas ist – da finde ich es selbstverständlich, sich europäisch zu vernetzen wie zum Beispiel mit „Premières“. Für mich war dort sehr bewegend, wie die griechische Theatergruppe bei ihrer Aufführung Pro-Gezi-Park-Shirts trug und die Türken in der ersten Reihe Standing Ovations geklatscht haben – da waren Grenzen aufgehoben. Wir wagen auch Versuche mit Übertitelung in Englisch, Französisch und Türkisch und installieren 2013/14 mit dem Theater Pforzheim das Projekt „Fremdraumpflege“, bei dem ein Regisseur mit Migrationshintergrund und migrantischstämmige Schauspieler Aufführungen in Wohnungen von Menschen spielen, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Grundsätzlich: Europäische Vernetzung – ja, unbedingt! Eigentlich steckt hinter dem Motto „Grenzen und Wege“ auch eine Frage nach dem utopischen Potenzial der Gesellschaft – inwieweit unterhalten wir uns nur über aktuelle Themen? Und wieviel Traum erlauben wir uns? Das zeichnet für mich auch Rio Reiser aus – die Fähigkeit, einen alternativen Gesellschaftsentwurf zu träumen und nicht zu konstruieren. Ich weiß nicht, ob wir da nicht grade etwas mutlos sind. Ich hoffe, das kommt wieder!
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