Tanz Karlsruhe 18
Bühne & Klassik // Artikel vom 07.11.2018
Zum 22. Mal präsentiert das Kulturzentrum Tempel in seiner Scenario Halle und den etablierten externen Spielstätten Tollhaus, Staatstheater und ZKM zeitgenössischen Tanz in all seinen Ausdrucksformen.
Das Besondere der diesjährigen Ausgabe: Mit Marco Goecke, Wang/Ramirez sowie Campos/Nader führen drei der momentan wichtigsten Choreografen(-Duos) ihre Werke zum ersten Mal gemeinsam bei einem Festival auf.
Tollhaus
Zur Eröffnung kommt mit „Rosas danst Rosas“ (Mi, 7.11., 20 Uhr) ein zeitlos-provokativer Klassiker der modernen Tanzgeschichte auf die Bühne. Im Zentrum des von vier Tänzerinnen aufgeführten Werks: ein schneller Pulsschlag, der begleitet von Thierry De Meys und Peter Vermeerschs furioser Komposition Alltagsbewegungen in virtuose Schleifen überführt. Mit seiner minutiösen Taktung, unermüdlicher Synchronität und der in Erschöpfung gipfelnder variierender Repetition wirkt das Stück noch genauso atemberaubend wie bei seiner Uraufführung 1983, als Anne Teresa De Keersmaekers Zweitwerk bereits zu Beginn ihrer Weltkarriere Tanzgeschichte geschrieben hat. Denn der kühle, dynamisch minimalistische und äußerst musikalische Stil beeinflusst den internationalen zeitgenössischen Tanz bis heute. Bei „Borderline“ (Mi, 21.11., 20 Uhr) werden dann titelgemäß Grenzen überschritten – zwischen Ausdruckstanz und Breakdance, dem Boden und den Lüften, drinnen und draußen, Männern und Frauen: Die fünf Tänzer der Kompanie von Sébastien Ramirez und Honji Wang schweben mithilfe des sogenannten Riggings an elastischen Seilen, zwängen sich zwischen den Gitterstäben zweier mobiler Käfige hindurch oder klettern an ihnen empor. So entstehen in dieser Collage aus virtuosen Tanztechniken, Text, Musik, einem sich ständig verändernden Bühnenbild, Akrobatik, Gestik und sowohl auf die griechische Antike als auch die koreanische Tradition verweisenden Kostümen Bilder von zeitloser Poesie, die nicht nur vom Freiheitsdrang erzählen.
Kulturzentrum Tempel
Vitaler Mittelpunkt, um den das gesamte Festival herumkonzipiert wird, ist die regelmäßig weit im Voraus ausverkaufte „Lange Nacht der kurzen Stücke“ (Fr+Sa, 9.+10.11., 20 Uhr, Scenario Halle), während der sich die regionale Tanzszene mit zehnminütigen Stücken vorstellt – in einem bunten Mosaik aus modernem, klassischem und experimentellem Tanz, Schauspiel und akustischen Räumen. Die schon fortgeschrittenere Szene von morgen präsentiert sich alljährlich mit den „Preisträgern des internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals“ (Mo, 19.11., 20 Uhr) aus Stuttgart: Angel Duran Muntada (Spanien), Lukas Karvelis (Litauen), Francesca Bedin und Tonia Laterza (Italien) sowie Kévin Coquelard (Frankreich) zeigen zeitgenössischen Tanz in seiner Urform, reduziert auf Körpersprache und Ausdruck. Ein mitreißendes, musikalisch-rhythmisches Tanzfeuerwerk entfacht die mit Fußperkussion ausgestattete Flamenco-Tänzerin Bettina Castaño aus Sevilla, wenn sie bei „Flamenco & Magische Trommeln“ (Fr, 23.11., 20 Uhr) auf den international renommierten Meistertrommler Murat Coşkun trifft, dessen musikalisches Repertoire und Instrumentarium mehrere Kontinente abdeckt. Wer selbst aktiv werden möchte, meldet sich bei der Tanztribüne zu den von Castaño geleiteten Flamenco-Workshops (Sa, 24.11., 11-17.30 Uhr; Einführungskurs: 11-13.15 Uhr; Anfänger bis Fortgeschrittene: 14-17.30 Uhr) an. Eine außergewöhnliche Performance hat die Sebastian Weber Dance Company geschaffen: „Caboom“ (Sa, 24.11., 20 Uhr) analysiert, personifiziert, assoziiert, visualisiert und sampelt Methoden aller möglichen Kreativberufe zu einer völlig neuen Form von groovendem, zeitgenössischem (Step-)Tanz. Und als europäische Uraufführung bringt „The Brasil/Israel Project“ (So, 25.11., 20 Uhr) choreografische Highlights der südamerikanischen und israelischen Szene nach Karlsruhe: Zu sehen sind „Beijo“, „Chamada“ und „Feed“, die drei neuen Arbeiten der aufstrebenden israelischen Choreografen Orly Portal, Ofir Yudilevitch und Ella Rothschild unter Mitwirkung der brasilianischen Companhias Municipal de Dança, Eliane Fetzer de Dança Contemporânea und Entre Nós Coletivo de Cricação – jede aus einem anderen Teil Brasiliens und einen anderen Stil und eine andere Kultur repräsentierend. Und mit „All You Can Dance – 2+2=4“ (So, 18.11., 15 Uhr) von Nina Kurzeja werden Kinder von vier bis zehn Jahren angesprochen, die Lust haben, selbst zeitgenössische Moves des modernen Tanzes auszuprobieren: Zu jeder Aufführung gibt es einen anschließenden Workshop sowie eine Tanzparty mit zwei B-Boys aus dem Karlsruher Hip-Hop Kulturzentrum Combo.
ZKM
Nach ihrer Performance „Scattered“ beim „Tanz Karlsruhe“ 2016 erkundet Motionhouse mit der elektrisierenden und multimedialen neuen Produktion „Charge“ (Mi+Do, 14.+15.11., 20 Uhr) das Thema Energie. In einer spannenden Fusion aus Kunst und Wissenschaft hat die britische Tanzcompany mit der Universität Oxford über die Rolle der Elektrizität im menschlichen Körper geforscht. Aufregende digitale Bilderwelten, ein außergewöhnliches Szenenbild, athletischer Tanz und fesselnde Akrobatikkünste erzeugen einen Energiekosmos, der Makro- wie Mikroebene gleichzeitig abhandelt. Ein Must-see des diesjährigen Festivals ist „Time Takes The Time Time Takes“ (Sa, 17.11., 20 Uhr). Das libanesisch-spanische Choreografenpaar Guy Nader und Maria Campos konstruiert mit seinem hochdynamischen, oft ins Akrobatische gehenden Tanzstil in dieser Reflexion über die Zeit zur elektronischen Livemusik von Miguel Marin ein menschliches Perpetuum mobile mit packenden Körperbildern, taktgenauen Bewegungen und uhrwerkartigen Wiederholungen, an dem sie höchstselbst auf der Bühne mitwirken. In Kooperation mit dem Karlsruher Jazzclub läuft die „Dance/Jazz Fusion Vol. 2“ (So, 18.11., 20 Uhr), in der das mehrfach ausgezeichnete Ferenc und Magnus Mehl Quartett mit vier jungen Tänzern von den Balletten aus Stuttgart und Zürich zusammenarbeitet. Das grenzüberschreitende Programm enthält sowohl freie Elemente und Improvisationen wie auch arrangierte Passagen, für die sich Choreograf Marco Goecke verantwortlich zeichnet, der eine ganz eigene Tanzsprache entwickelt hat wie vor ihm vielleicht nur William Forsyth.
Badisches Staatstheater
Nach der deutschen Erstaufführung 2009 in Karlsruhe zeigt das Badische Staatsballett Christopher Wheeldons ebenso bildschöne wie aufwühlende Version von „Schwanensee“ (Sa, 17.11., 20 Uhr) als Neueinstudierung. Die von Tschaikowskys Musik unterlegte Sage von der verzauberten Prinzessin Odette, die nur durch wahre Liebe aus dem Bann des bösen Zauberers Rotbart erlöst werden kann, wurde zum Inbegriff des klassischen Balletts: Kaum ein anderes Werk der Tanzgeschichte hat so viele verschiedene Interpretationen erfahren.
Kinemathek
Begleitend zum Bühnenprogramm zeigt die Kinemathek zwei Filme zum Thema Tanz: Im einfühlsamen und erzählerisch reifen Spielfilmdebüt des belgischen Regisseurs Lukas Dhont will die von Victor Polster fesselnd gespielte 15-jährige Lara Ballerina werden. Zusätzliche Crux für das heranwachsende „Girl“ (Fr, 16.11., 19 Uhr; So, 18.11., 17 Uhr): Sie wurde im Körper eines Jungen geboren und hat gerade erst mit der Hormontherapie als Teil ihrer Geschlechtsangleichung begonnen. Im Anschluss an das melancholisch-tierische Kurzmusical „The Burden“ (Foto)aus Schweden läuft außerdem Irene Schüllers „Tango zu Besuch“ (Fr, 23.11., 19 Uhr; Sa, 24.11., 17 Uhr), der fünf junge Tangoholics aus dem Schwarzwald zeigt, die in die sinnlich-erotische und leidenschaftlich-melancholische Atmosphäre des argentinischen Tanzes eintauchen. -pat
7.-25.11., Tempel (Scenario Halle)/Tollhaus/ZKM (Medientheater)/Bad. Staatstheater (Großes Haus)/Kinemathek (Studio 3), Karlsruhe
www.kulturzentrum-tempel.de
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