Tanz Karlsruhe 2021
Bühne & Klassik // Artikel vom 08.11.2021
Nach langer Durststrecke bespielte „Tanz Karlsruhe“ im Sommer bereits mit einigen Produktionen das „Toujours Kultur“-Festival in der Fleischmarkthalle.
Den Teasern folgt nun das Festival in seiner vollen Dimension. In Tempel, Tollhaus, ZKM und Staatstheater bieten sich vielseitige Einblicke in das zeitgenössische choreografisch-tänzerische Wirken. Zum Festival gehören auch ein Filmprogramm in der Kinemathek sowie mehrere Workshops. Wir stellen „Tanz Karlsruhe“ vor. -fd
GN | MC – „Set Of Sets“
Als „eine der aktuell spannendsten“ Companys gelten GN | MC. Hinter den Initialen verbergen sich der gebürtige Libanese Guy Nader und die Spanierin Maria Campos. Ihr choreografischer Ansatz speist sich aus zeitgenössischem Tanz, Kontaktimprovisation, Akrobatik und Kampfkunst. Mit einem endlos scheinenden Fluss sich wiederholender Möglichkeiten untersuchen GN | MC und die fünf TänzerInnen das Konzept von Zeit und hinterfragen gewohnte Wahrnehmungsmuster. Die Philosophie dahinter: Im scheinbar Immergleichen des Seins ist die Möglichkeit des Aufbegehrens stets enthalten. Für „Set Of Sets“ erhielten GN | MC 2018 den „Premios de la Crítica de las Artes Escénicas“ in den Kategorien „Beste Choreografie“ und „Beste Performance“.
Mo, 8.11., 20 Uhr, Tollhaus
Schaufenster Baden-Württemberg: Lange Nacht Spezial
Als Festival in Baden-Württemberg räumt „Tanz Karlsruhe“ der hiesigen Szene gebührenden Raum ein. Die „Lange Nacht Spezial“ stellt sieben bis zu 20-minütige Stücke von Gruppen und SolistInnen vor. Anne-Hélène Kotoujansky aus Kehl zieht ein Zwischenfazit: „Achtundzwanzig: Was ich mit dem Tanzen bis jetzt gelernt habe“. Domenico Strazzeri und die Strado Compagnia Danza aus Ulm gastieren mit „Kürzel / Tomatensalat“. Der Stuttgarter Johannes Blattner performt einen „Vanis hing Act“. „No Name – das Muxical“ von William Sánchez H. und Szene 2wei (Lahr) war im Sommer bereits bei „Toujours Kultur“ zu sehen. Mit Daniele Max und Paula Kukawka („Serendipity“) sowie Sarah Kiesecker und Dominik Höß’ Jazzaret Dance Company ist auch Karlsruhe mit von der Partie. Karolin Stächele und die Dagada Dance Company (Freiburg) sind am So, 21.11. mit einer eigenen Produktion zu sehen („Pussy Lounge“, 20 Uhr, Tempel, Scenario Halle).
Mi, 10.11., 20 Uhr, Tollhaus
Akram Khan & Gauthier Dance
Akram Khan will den Teufel überlisten. Seit 20 Jahren sucht der Engländer mit bengalischen Wurzeln immer wieder neue künstlerische Möglichkeiten, Gemeinschaft zu erzeugen. Die Weltgröße im zeitgenössischen Tanz lässt sich dabei von alten Mythen inspirieren und deutet sie neu. Grundlage für sein Stück „Outwitting The Devil“ ist ein erst vor Kurzem entdecktes Fragment des babylonischen Gilgamesch-Epos. Er setzt sechs Figuren in eine Landschaft aus zerbrochenen Tontafeln und gefallenen Götzen, wo sie mit ihrem noch verbliebenen Besitz und ihren Geschichten Handel treiben, um das lange verlorene Wissen der alten Zeit wieder zusammenzupuzzeln (Di, 30.11.). Eric Gauthier hat vier KünstlerInnen gebeten, eine neue Version von „Schwanensee“ zu choreografieren – von je nur 20 Minuten Länge. Marie Chouinard, Marco Goecke, Hofesh Shechter und Cayetano Solo ermöglichen neue Einblicke in einen scheinbar bestens bekannten Stoff (Di+Mi, 7.+8.12., jeweils 20 Uhr, Tollhaus).
Tanz & Technologie im ZKM
Das Medientheater des ZKM bietet die Ressourcen für digital erweiterte Formen des Tanzes. Kevin Finnans Kompanie Motionhouse (UK) inszeniert ihren renommierten artistischen Tanzstil in digitalen Projektionen und einem ständig in Bewegung begriffenen Bühnenbild. So wie sich die Welt auf der Bühne stets transformiert, finden sich dort auch die sieben Charaktere inmitten eigener fluider Realitäten und Identitäten. Eine Gruppe Krähen stellt dabei ihre Bewegungen infrage. „Nobody“ erzählt eine emotionale Geschichte voller Wendungen in einer magischen Umgebung und von hoher Aktualität (Mi+Do, 17.+18.11.). Fledermäuse und Algorithmen, Tanz und Technologie kommen bei „Bats“ von der Sebastian Weber Dance Company zusammen (Sa, 20.11., 20 Uhr, ZKM Medientheater).
Bridget Breiner & Edan Gorlicki
Die Ballettdirektorin des Staatstheaters Karlsruhe ist bekennender Shakespeare-Fan und nimmt sich dessen beliebte Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ an. Ausgangspunkt ist deren Originaltitel: „Twelfth Night“. Die zwölfte Nacht nach Weihnachten steht für eine Tradition, in der sich die ansonsten ernste christliche Gesellschaft eine Zeit des Ausbrechens gönnte. Schon bei Shakespeare auf die Spitze getrieben, greift Breiner diese eskapadischen Momente bereitwillig auf und überführt vertauschte Geschlechterrollen, höfische Intrigen und jede Menge Humor in die Sprache des Tanzes (Sa, 13.11., 19 Uhr, Staatstheater). Am selben Tag zeigt Edan Gorlicki eine fünfstündige Durational Performance: „Un-Cover / Re-Cover“ öffnet einen Rückzugsraum, in dem sich in Ruhe über vielfältige Arten von Beziehungen nachdenken lässt (20 Uhr, Tempel, Scenario Halle).
Die Szene von morgen: PreisträgerInnen des „Internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals“ 2021
Ein Extra-Abend gehört den PreisträgerInnen des „Internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals“ 2021, die im Mai in Stuttgart gekürt wurden. „Die Szene von morgen“ zeigt hier choreografische Ansätze, reduziert auf den Kern des zeitgenössischen Tanzes: Körpersprache und Ausdruck. Mit dabei sind Arnau Pérez de la Fuente (Spanien) mit „Single“, Eva Urbanová (Slowakei) mit „The Essence“ und Breeanne Saxton (USA) mit „Legaxy XX“ in der Kategorie Choreografie. Die ersten drei Preise im Bereich Tanz gingen an Clémence Juglet (Frankreich) mit „I Need To...“, Geovan Conceição (Brasilien) mit „Fissurar“ und Tushrik Fredericks (Südafrika) mit „(Territory) Of The heart“.
Mo, 15.11., 20 Uhr, Tempel, Scenario Halle
MF & Philippe Saire
Kunst gleich Leben. Das französische Duo Maxime Freixas & Francesco Colaleo (MF) sucht die Poesie im Alltäglichen. Dabei hat es eine eigene zugängliche Sprache entwickelt, ein Gemisch aus Contact, Improvisation, Tanztheater und Floorwork. Sein Duett „Re-Garde“ ist inspiriert vom kindlich-unvoreingenommenen Beobachten und befasst sich mit der unschuldigen, klaren Dimension des Anschauens von Dingen. Zwischen Geste und Poesie steht die Zeit still (Fr, 26.11., 20 Uhr). Nicht minder fantasievoll geht es bei der Schweizer Kompanie Philippe Saire in „Hocus Pocus“ zu: Zwei Tänzer reisen in Traumwelten und stellen sich dort Hürden, an denen sie wachsen und zueinander finden. Im fantastischen Bühnenbild tauchen Körper und Gegenstände so magisch auf, wie sie wieder verschwinden. Eine Performance für Erwachsene und Kinder ab sieben Jahren (So, 28.11., 15+19 Uhr, jeweils Tempel, Scenario Halle).
Filmprogramm
In den Lockdowns griffen viele Tanzschaffende zur Kamera und erreichten ihr Publikum via Streaming. Doch zwischen einer gefilmten Bühnenperformance und einem Tanzfilm – ein gar nicht so neues Genre – gibt es Unterschiede. Letzterer schafft eine neue Ästhetik durch das bewusste Spiel mit Nähe und Entfernung, mit Betrachtungsweisen, die man sonst eher aus dem Kino kennt. Die Kamera führt TänzerInnen und Drehort zusammen und baut dadurch eine Beziehung zwischen dem Geschehen auf und dem Publikum vor der Leinwand auf. Valentina Moar ist künstlerische Leiterin des österreichischen Tanzfilm-Festivals und bringt mit „Dance On Screen – On Tour“ eine Auswahl unterschiedlicher Tanzfilme in die Kinemathek (So, 21.11., 15 Uhr; Do, 25.11., 19 Uhr, Studio 3). Ein Tanzdrama in Spielfilmlänge ist „Als wir tanzten“ von Levan Akin. Der schwedische Regisseur erzählt die Geschichte von Merab und Irakli, die sich an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis näherkommen. Aus Rivalen werden Liebende, die auf ein homophobes Umfeld prallen. Akin setzt dem ein tänzerisches Plädoyer für nicht-heterosexuelle Liebe entgegen (Fr, 19.11.+Di, 23.11., 19 Uhr, Studio 3).
Workshops
Vier Workshops flankieren das Festivalprogramm: Guy Nader und Maria Campos bringen in „Partnering“ verschiedene Arten näher, sich gegenseitig zu tragen. Vertrauen soll gestärkt und Risikofreude gefördert werden (So, 7.11., 16-17.30 Uhr). Ein Mitglied von Motionhouse zeigt, wie sich Tanz dazu eignen kann, Geschichten zu erzählen (Di, 16.11., 19-21.30 Uhr, jeweils Tanztribüne). Motionhouse-Leiter Kevin Finnan erläutert in seiner Vorlesung, wie er Tanz, Raum und digitales Bühnenbild zu einem „lebendem Film“ zusammenfügt (Do, 18.11., 17.30-19 Uhr, ZKM). Jasper Narvaez von der Akram Khan Company lädt dazu ein, die eigene Kreativität mit Übungen aus dem Vokabular der Company zu erforschen (Mo, 29.11., 18-20 Uhr, Tanztribüne).
8.-30.11., Tempel/ZKM/Tollhaus/Staatstheater/Kinemathek, Karlsruhe
www.kulturzentrum-tempel.de
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