Tanzbegegnungen 2019

Bühne & Klassik // Artikel vom 04.04.2019

TänzerInnen mit und ohne Behinderungen lassen ihre Körper sprechen und zeigen Tanz in all seiner Vielfalt beim ersten inklusiven Tanzfestival „Tanzbegegnungen“ (Do-So, 4.-7.4.) im Kulturzentrum Tempel und im Jubez.

Es mag auf den ersten Moment überraschen, dass Menschen mit Behinderungen als professionelle Tänzer arbeiten und mit ihren inklusiven Compagnien auf Tournee gehen. Inklusion und Diversität verbindet man vielleicht nicht unmittelbar mit professionellem zeitgenössischem Tanz, einer auf Perfektion getrimmten Körperkunst. Doch es gibt sie, national wie international, und sie gewinnt zunehmend an Schwung und Aufmerksamkeit: eine kleine professionelle inklusive Tanzszene, die alle möglichen Formen körperlicher und/oder geistiger Einschränkungen in ihre Kunstform integriert und neue Meilensteine im zeitgenössischen Tanz setzt.

Martin Holder, Tamara Bettemir und Marcelo Santos vom Festival „Tanz Karlsruhe“ ist es gelungen, einige dieser zum Teil renommierten Künstler und Compagnien nach Karlsruhe zu holen. Der Name „Tanzbegegnungen“ kommt nicht von ungefähr und steht neben inklusiven auch für interkulturelle Begegnungen. Schwerpunktland der ersten „Tanzbegegnungen“ ist Brasilien: Den ursprünglichen Impuls für „Tanzbegegnungen“ gab Jorge Schneider der Organisation ABABTG, der bereits seit 2012 das inklusive brasilianische Tanzfestival „Encontro Para-Dançar“ leitet. Die Agentur Solo Connection vermittelte die beiden Karlsruher Kultureinrichtungen, das Kulturzentrum Tempel, das sich seit vielen Jahren einen Namen als Veranstaltungsstätte für den zeitgenössischen Tanz gemacht hat, und das Kulturzentrum Jubez, das in Sachen Inklusion und kulturelle Bildung hohe Kompetenz mitbringt. Das Publikum mit und ohne Behinderung ist eingeladen, das Festival, das Diversität in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zeigen und feiern will, mitzugestalten und sich aktiv bei Tanzworkshops und Diskussionen einzubringen. Alle Veranstaltungsräume sind barrierefrei zugänglich.

Den ersten Höhepunkt gestaltet Gira Dança, die das Festival am Do, 4.4. eröffnet. Die renommierte brasilianische Compagnie zählt zu den Pionieren des inklusiven Tanzes. In Deutschland ist sie durch ihre Arbeit mit der Cie Toula Limnaios aus Berlin bekannt. In ihrer aktuellen Show „Sem conservantes“ („Ohne Konservierungsstoffe“) setzen sie sich mit dem künstlerischen Material ihres 15-jährigen Schaffensprozesses und der Wechselwirkung zwischen Erinnerung und kultureller Transformation auseinander.

Der Fr, 5.4. gehört der regionalen inklusiven Tanzszene. Nachmittags können Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren mit und ohne Behinderung am „Bewegungslabor der Sinne“ mit Hans Traut von der Tanztribüne und Silke Habermaier von „EFI tanzt!“ teilnehmen. Bitte anmelden, da die Teilnahme am Workshop (15-18 Uhr, Tempel, Scenario Halle) auf 20 Personen beschränkt ist. Abends werden Auszüge des Erlebten und Erarbeiteten auf der Bühne präsentiert. Zudem tritt die 15-köpfige Truppe „EFI tanzt!“ des Vereins Eltern und Freunde für Inklusion Karlsruhe mit ihren Salsa- und Hip-Hop-Choreografien auf. Den Abschluss macht Edu O. mit seiner Performance „Ah, Se Eu Fosse Marilyn!“ („Oh, If I Were Marilyn“) über Körperbilder und moralische Standards im Lauf der Geschichte.

Am Sa, 6.4. zeigt die Kinemathek um 17 Uhr die englischsprachige Dokumentation „Common Ground In Diversity“ von Sushma U. Gütter über die choreografischen Forschungstage der Initiative Tanzfähig. Der Film lässt den Zuschauer hautnah miterleben, wie das Berliner Choreografen-Duo Matanicola mit einer Gruppe von Tänzern arbeitet, die sich aufgrund ihres Alters, ihrer Herkunft, tänzerischer Vorerfahrung und Behinderungen stark voneinander unterscheiden. Pädagogen und Multiplikatorinnen, die sich mit dem Thema Inklusion in Verbindung mit Tanz und Bewegung beschäftigen, können sich für den Workshop „Außerordentliche Wünsche: Experimente für verschiedene Tanzkörper“ bei Edu O. anmelden (11-15 Uhr, Jubez). Der Tänzer, Choreograf und Professor an der Dance School of the Federal University of Bahia, bietet viele Anregungen für die körperlich-künstlerische Arbeit. Abends können Tanzbegeisterte den Künstler selbst in der ersten Hälfte des Double-Bill Solo-Abends auf der Bühne erleben. In seiner Solo-Performance „Striptease-Bicho“ („Striptease-Käfer“) erforscht Edu O. Fetisch, Verlangen und Erotik und interpretiert das Wechselspiel von Abscheu und Begehren. Den zweiten Teil des Abends gestaltet Marcos Abranches mit „Canto Dos Malditos“ („Lied der Verdammten“). Der Tänzer und Choreograf hat die neurologische Bewegungsstörung Choreoathetose und stellt sich in seinem Tanzsolo den vielgestaltigen Zumutungen des Lebens.

Am So, 7.4. lädt Gira Dança zum Workshop für alle (14-17 Uhr, Jubez). Im „Creation Laboratory“ erforschen die Teilnehmer, egal ob mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne tänzerischer Vorerfahrung, den Körper als Ausdrucksmittel und Gestaltungswerkzeug. Teilnahme ist ab zwölf Jahren und nach Anmeldung möglich. Den Abschlussabend gestalten die beiden Künstler des Hamburger Monsun Theaters in einer ganz besonderen Tanzbegegnung. Sowohl der dunkelhäutige Tänzer Ahmed Soura aus Burkina Faso als auch der spastisch gelähmte Roland Walter haben Ausgrenzung erlebt. Die Frage nach dem Warum haben beide schon lange hinter sich gelassen. Miteinander geht das extrem unterschiedliche Paar über Grenzen und fragt: „Why Not?“ -lic

Do-So, 4.-7.4., Tempel & Jubez, Karlsruhe
www.kulturzentrum-tempel.de

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