Ukraine und Staatstheater: „Hohe Auflösung“ von Dmytro Ternovyi

Bühne & Klassik // Artikel vom 19.02.2014

Schon vor der großen Protestbewegung in der Ukraine Ende 2013 verarbeitete Dmytro Ternovyi die politischen Verhältnisse seiner Heimat im Stück „Hohe Auflösung“.

Der erfolgreiche Musiker Andrej erfährt am eigenen Leib, wie schwierig es ist, aus der Ukraine auszureisen, um in der EU Konzerte zu spielen. Mit „Hohe Auflösung“ gewann Ternovyi den Dramenwettbewerb „Über Grenzen sprechen“ und darf somit sein Stück am 9.6. am Badischen Staatstheater Karlsruhe uraufführen.

Vergangene Woche wurde es dort in einer szenischen Lesung vorgestellt. Friedemann Dupelius hat den Dmytro Ternovyi und Staatstheater-Dramaturg Michael Gmaj zum Gespräch getroffen.

INKA: Herr Ternovyi, auf welche Weise sind Sie in der Ukraine politisch aktiv?
Dmytro Ternovyi: Wir tun so viel wir können – wir gehen auf den Maidan, auch auf die Plätze in meiner Heimatstadt Charkiw. Bei uns gibt es keine freien Medien, viele Menschen verstehen nicht richtig, was in Kiew geschieht. Aber es gibt Situationen, in denen niemand in einem Land nur da sitzen und nichts tun kann. Wir müssen jetzt etwas für unsere Zukunft tun und können uns nicht aus der Geschichtsschreibung heraushalten. Mit unseren heutigen Taten gestalten wir die Zukunft.

INKA: Wie geht es Ihnen nach der Vorpremiere von „Hohe Auflösung“ am Sonntag?
Ternovyi: Es war sehr interessant, das Stück aus einer anderen Perspektive zu sehen. Obwohl es noch keine Inszenierung war, sondern eine szenische Lesung, hatte es eine starke Wirkung. Eine ukrainische Frau kam danach auf mich zu und hat geweint, eine junge Studentin aus der Ukraine hat sich bei mir bedankt – in Karlsruhe leben viele Menschen aus meiner Heimat.

INKA: Welchen Eindruck haben Sie vom deutschen Publikum und seinem Interesse für die Situation in der Ukraine?
Ternovyi: Ich bin wirklich beeindruckt, wie viel Interesse für die aktuelle Lage besteht. Es bedeutet uns viel, dass die meisten Leute nach der Lesung zur Diskussion geblieben sind und viele Fragen gestellt haben. Wir wollen, dass sie verstehen, was in unserem Land geschieht – jetzt haben wir ihre Unterstützung erlebt, das ist großartig!

INKA: Inwiefern kann ein solches Theaterstück Ihrer Meinung nach politische Prozesse beeinflussen?
Ternovyi: Ich weiß nicht, ob und wie das direkt geschehen kann. Es kann sein, dass die Leute die politische Situation anders betrachten, wenn sie das Stück gesehen haben. Vielleicht bekommen die Menschen, die auf den öffentlichen Plätzen demonstrieren, dadurch mehr Unterstützung. Für das deutsche Publikum erhoffe ich mir, dass das Stück ihnen hilft, die Situation in der Ukraine besser zu verstehen. Das ist ja auch der Sinn des Wettbewerbs, den „Hohe Auflösung“ gewonnen hat: Menschen aus Westeuropa sollen mehr über Osteuropa erfahren.

INKA: In „Hohe Auflösung“ gibt es sprechende Pistolen und Weingläser – warum arbeiten Sie mit solchen Elementen? Wie steht Surreales, Verspieltes im Verhältnis zu konkreten politischen Statements?
Ternovyi: Die Hauptcharaktere sind ständig andere: Mal sind es Menschen, dann Objekte, dann wieder Menschen. Ein solches Experiment ermöglicht es dem Publikum, die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und tiefer ins Stück einzutauchen.
Michael Gmaj: Die meisten Szenen gehen verspielt und eher versteckt mit Kritik an den politischen Verhältnissen um. Es gibt aber eine konsequent regierungskritische Szene, in der die Geschäftsführerin einer großen Firma einem Journalisten ein sehr kritisches Interview gibt und unverfroren darüber spricht, dass die Regierung Firmen beraubt und ihnen keine Möglichkeit gibt, sich zu entfalten. In einer anderen Szene versucht der Musiker Andrej, auszureisen, um Konzerte zu spielen. Da steht eine Mappe am Schalter, ein Stempel antwortet ihr und macht einen unglaublichen Aufwand, ein Visum auszustellen – hier wird spielerisch und humorvoll Kritik an der EU geübt, aber auch an der ukrainischen Regierung, die nicht bereit ist, weiter mit der EU zu verhandeln.

INKA: Was können die Besucher von der Premiere im Juni erwarten?
Ternovyi: Das weiß ich selbst noch nicht. Ich habe mit der Regisseurin Mina Salehpour gesprochen und alle weitere Arbeit in ihre Hände gelegt. Das wird eine große Überraschung für mich selbst.

Uraufführung: Mo, 9.6., 19 Uhr, Badisches Staatstheater, Studio, Karlsruhe, dazu ist ein Rahmenprogramm zum Thema Theater und Ukraine geplant

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