Jörg Mattusch, Buchhändler
Porträt
Ist es immer nur Eigennutz, wenn die dichtende Zunft ausgerechnet Buchläden lobt? Bestimmt nicht. Die Ehrlichen geben zu, dass sie bei jedem Besuch völlig von den Socken sind, was es für tolle Bücher gibt – obwohl sie nicht mal von einem selber geschrieben wurden! Und das Publikum? Will sowieso stets zum Staunen gebracht werden, ein jedes Leseindividuum auf seine Art… Richtige Buchhandlungen sind in Wahrheit überdachte Spielplätze, wo du ungestraft Kind bleiben darfst; Wärmestuben für Seelen im Eispalast des Funktionalismus; Notausgänge aus dem Lebenstunnel, wo von beiden Seiten einer in die Hände klatscht: hinten der Finanzbeamte, um dir Beine zu machen und vorne Gevatter Tod, der sich schon so auf dich freut… Kein Wunder, dass wir diese immer so überirdisch schimmernden Überlebensorte in der Literatur meist in einem Zusammenhang mit Geheimwissen und Magie wiederfinden. Bis zu „Harry Potter“ hat sich das gehalten und sogar Hollywood reiht sich da ein. Allerdings bevorzugen Romantic Comedys verschrobene Buchhändlerinnen mit unvorteilhafter Frisur und in der letzten Szene setzen sie die Brille ab, öffnen das Haar und sind plötzlich Audrey Hepburn.
Auf solche Klischees angesprochen, würde sich Jörg Mattusch eins schmunzeln – so gewinnend allerdings, dass man aus Versehen zwei Bücher mehr mitnimmt als beabsichtigt und erst zu Hause erschüttert feststellt, dass sie von Elke Heidenreich empfohlen wurden… Seit Anfang 2023 firmiert Mattusch als operativer Leiter der Traditionsbuchhandlungen Stephanus, Metzlersche, Rabe und Mächtlinger – was für eine Aufgabe! Es verblüfft seine freundliche Gelassenheit, aufmerksame Offenheit und dieser Sinn für präzisen Humor; Eigenschaften allesamt, die all den Vorurteilen, mit denen Buchhändler zu kämpfen haben, nicht recht entsprechen wollen. Zum Glück hat der Neue auch jemanden an seiner Seite, Katharina Bruns, spezialisiert auf diejenigen Bereiche, die ihm weniger liegen: „Bilanzen und so…“ Der Vater zweier (lesender) Töchter namens Natalie und Stefanie, die das Interview bisweilen locker kommentieren, stammt aus Bad Herrenalb, einer Gemeinde mit ungeheurem Potenzial… wo nur die passende Bürgerkultur zur Wiederbelebung fehlt. Vielleicht kommt sie ja einmal zurück? Wenn immer mehr Leute sich der Weitergabe guter Werte widmen und dabei – wie Jörg Mattusch – keinem Dogmatismus anheimfallen, kann das durchaus etwas werden. Aller Katastrophilie zum Trotz.
„Die Schere geht freilich weit auseinander“, registriert der Bücherfreund: sozial, finanziell, aber eben auch in puncto Bildung. Da sind junge Menschen, die so sehr fasziniert sind von Literatur, dass sie ihre Lieblingswerke in der Originalsprache lesen wollen. Und eben die anderen, denen das Buch für immer aus der Hand fällt, sobald die Kindheit vorbei ist. Von wegen juvenile Lektüre: Immer öfter sieht Mattusch Kinder von zehn bis zwölf Jahren, die ganz alleine in den Laden kommen und sich ein Buch kaufen. Ist das nicht goldig? Macht das nicht Hoffnung? Aber ja! Dabei handelt es sich um einen Kundenkreis, dem sich der Chef mit besonderer Hingabe widmet. Natürlich wird bedachtsam weitergepflegt, was Paul Kaufmann über Jahrzehnte aufgebaut hat, etwa die berühmte geisteswissenschaftliche Abteilung im Obergeschoss. „Theologie hat nachgelassen“, resümiert Mattusch. Dafür bilden sich neue Schwerpunkte heraus – Literatur scheint über unerschöpfliche Resilienzen zu verfügen… So spricht der Experte eine aktuelle Empfehlung aus: „Diese jungen Frauen können unfassbar viel vermitteln, sind thematisch ungeheuer stark.“ Mareike Fallwickl führt er an, Stefanie Sargnagel ebenso, die mit Lust und Genie an der Erneuerung der österreichischen Schreibkunst werkeln. Matthuschs entspannter Optimismus gilt – man staune – tatsächlich auch der Buchbranche.
Kleine Läden weichen, Bücher kommen nur noch in Megastores mit dem Charme von Fitnessstudios vor? Ach was. „Schauen Sie sich in Frankreich um, in England: Hunderte Neugründungen von Buchläden!“ Fabelhafte junge Konzepte haben eine Chance, und die lange Zeit aggressiv verdrängenden Kaufhausketten ersticken an ihrer eigenen unzeitgemäßen Masse. Wer hätte das vor ein paar Jahren zu hoffen gewagt? Gesucht wird auf einmal (wieder) Atmosphäre – und da sind die vier Standhaften in den Zentren von Durlach und Karlsruhe nicht zu schlagen; die sehen nämlich aus wie ihre Geschwister in Wien und Paris, aber wir brauchen keinen ICE, um hinzukommen. Straßenbahn genügt. Vielleicht hat diese Entwicklung ja etwas mit einem Wiederherstellungszauber zu tun, an dem Mattusch in aller Bescheidenheit mitwirkt. Die „Wiederverzauberung der Welt“– laut Mörike, Spitzweg und Freunden ein Hauptauftrag der Kunst – bedient sich neben Malerei und Musik eben vor allem des gedichteten Wortes.
Der Gedanke war schon im Biedermeier gespeist vom Verlust; damals haben die Guten ebenfalls nicht aufgegeben, sondern getan, was sie am besten können: erfinden, begeistern. Oder wie Mattusch formuliert: „Empfindungen weitergeben.“ Es bereitet ihm Freude, Teil einer Bewegung zu sein, die für Kulturpessimisten höchst unerwartet kommt. Dazu passt hervorragend die hohe Zahl an Lesungen in unterschiedlichsten Formaten, teils auch in der Stephanus-Buchhandlung bis hoch zu Daniel Kehlmann. Außerdem wird intensiv kooperiert, etwa mit Jubez und P8 oder der Literarischen Gesellschaft. Freuen wir uns mit! Und leisten unseren Beitrag – z.B. durch Lesen. Und wenn wir jetzt nicht bei suspekten Internetanbietern bestellen, sondern ganz real in eine dieser schönen Buchhandlungen gehen, dann haben wir schon ganz viel richtig gemacht. -jh
Kontakt
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0721/91 95 10
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Buchhandlung Der Rabe
Pfinztalstr. 60
76227 Karlsruhe
0721/940 01 40
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76227 Karlsruhe
0721/94 36 30
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