Adi Bachinger, Fotokünstler, Grafiker & Experte für historische Edeldruckverfahren
Porträt
Karlsruhe hat es nicht immer leicht mit Kunstschaffenden von Rang. Entweder – wie schon Marie Luise Kaschnitz klagte, bevor sie selbst woanders hinzog – ziehen sie woanders hin, oder, falls mal jemand herkommt, wird er ignoriert. Es ist absurd, dass einer wie Adi Bachinger, im Ruhrgebiet dekoriert in vieler Hinsicht, erst nach einem Vierteljahrhundert in Karlsruhe seine erste Einzelausstellung bekommt. Eine derartige Bündelung von Kompetenzen, wie sie bei dem gebürtigen Kempen-Krefelder, aufgewachsen in Mülheim a. d. Ruhr, zu verzeichnen ist, erregt leider auch Missgunst, führt zu Unterlegenheitsgefühlen. Mit 17 hat er schon acht Designpreise gewonnen, gilt als der kommende Mann – und wird es auch. Mit der Gruppe „Junger Westen“ um Heinrich Siepmann und Werner Graeff von de Stijl wird er bekannt, während er als Siebdrucker für sie arbeitet. Als Mitarbeiter in der Siebdruckerei Peter Chwalczyk erhält er Gelegenheit, mit den prominenten Künstlern in Kontakt zu kommen.
„Es ist ein Privileg, mit diesen Meistern am Drucktisch stehen zu dürfen und Zeuge ihrer Entscheidungsprozesse zu sein. Ich habe nie mehr gelernt.“ Schon bald gehört Bachinger zum inneren Zirkel der Avantgardisten, von denen Werner Nekes zu den vortrefflichsten und Helge Schneider und Christoph Schlingensief zu den populärsten zählen. In mehreren Disziplinen, von Design über Film zu Foto, erhält er eine erstklassige Ausbildung. Zu seinen Lehrern gehören Prof. Pan Walther und Peter Volkmer. Später hat Bachinger ein Studio für Fotodesign in Düsseldorf, gleich an der Kö um die Ecke. Innovativ fotografiert er Theater an internationalen Bühnen, bekommt prominente Zeitzeugen für Porträts vor die Linse – dies eine seiner absoluten Hauptspezialitäten; es wäre einen eigenen Sammelband wert. In Kürze erscheint das letzte Werk von Büchner-Preisträger F.C. Delius, natürlich mit Bachinger-Porträt.
Wohlgemerkt, auch in der Phase der kommerziellen Arbeiten verliert der Rheinländer seinen Ansatz der Substantialität und Kontinuität als Wertmaßstab von Kunst nie aus den Augen. „Wer mit 23 einen Malkasten geschenkt bekommt, ist noch kein Genie. Du musst sondieren, immer das Beste wählen, selbstkritisch sein. Dann darfst du dich auch zu anderen Arbeiten äußern.“ Immer wieder ist er bei archäologischen Ausgrabungen dabei. Die Untertunnelung der Rheinuferstraße in Düsseldorf wurde von ihm fotografisch betreut, ebenso wie die Grabungen im Kloster Saarn.
Und dann zieht er nach Karlsruhe? Aber warum? Fragen wir nicht weiter – das Übliche halt. Während andere nach und nach ausbrennen, gelingt es Bachinger, nach dem langjährigen Schwerpunkt Ausdrucksfotografie wieder an das anzuknüpfen, was ihn heraushebt aus der Menge der guten Handwerker: freies künstlerisches Arbeiten. Seine neuesten Werke glühen von innen heraus, als hätte sie ein junger Himmelsstürmer entworfen. Dabei entwickelt er Ausdrucksformen, die zu beschreiben gar nicht so einfach ist: weil sie neu sind. Mitunter inspiriert von historischen Techniken, nicht zuletzt von Edeldruckverfahren – da kennt er sich aus wie kein anderer – entstehen anspielungsreiche Dialoge mit der (Kunst-)Geschichte. Zuletzt vermittelte der Vielseitige bei der „Karlsruher Sommerakademie“ entsprechende Lehrinhalte an Wissbegierige. Einige der neuen Arbeiten bezeichnet Bachinger als „Palimpseste“. Man erinnere sich: Die gab es zu allen Zeiten, meist waren es Überschreibungen älterer Texte aufgrund von Materialmangel. Am bekanntesten sind die Kaligrafien der Mönche. In gewisser Weise ein Großneffe der Dada-Collage-Künstler, verwendet er jedwedes Material, bis hin zum Bienenwachs – und gibt es zur Metamorphose frei. „Vergessenshüter“ lautet eine seine sprachlichen Näherungen. „Als Rationalist muss ich aus dem Bauch heraus arbeiten…“
Chinesische Texte, französische aus einem Lehrbuch für Hebammen, deutsche Lyrik, auch Fahrpläne… „In gewisser Weise sind die Sachen ausgesucht. Du erkennst aber mehr, als wenn du den Text lesen könntest.“ Wir bemerken: Im Gegensatz zu vielen Naiven, die sich und andern keine Rechenschaft über ihr künstlerisches Tun geben können, gehört Bachinger zu den Reflektierten. Als Fotograf ein Intellektueller, der seine Susan Sontag sehr wohl gelesen hat, arbeitet er derzeit daran, ihre teils auf Adorno gründenden Positionen in die Gegenwart weiterzuschreiben. Die meisten Fotografen haben über die Feststellung, dass Fotografieren immer auch ein aggressiver Akt ist, nicht ausreichend nachgedacht. So was macht eben Mühe. Was bedeuten etwa Sontags Einsichten zum Foto in der Schublade für uns Heutige in der post-analogen Phase? Wir sind äußerst gespannt auf Adi Bachingers Antworten, die vermutlich Fragen sein werden.
Nachdem er zehn Jahre lang sein Studio auf dem Gelände der ehemaligen Sinner-Brauerei hatte, lebt der Kunstheimkehrer seit abermals zehn Jahren in der Oststadt. Es ist höchst faszinierend, mit ihm spazieren zu gehen, denn er sieht die Welt mit einem gelehrten und einem grafischen Auge. Seine Grundfragen „Wie funktioniere ich? Was ist meine Wahrnehmung“ spiegeln sich in den aktuellen Werken wider. Süffisant spielen seine Hinter-Plexiglas-Kunstwerke auf eine Vorliebe des Blauen Reiters an – sie sehen aber ganz anders aus. Und wie? Ausstellungen sind in Vorbereitung... -johu