Martin Krieglstein, Maler

Porträt

Die Szene könnte auch aus einem jener amerikanischen Schwarz-Weiß-Filme stammen, deren Lichtdramaturgie Martin Krieglstein so begeistert studiert und in die Bildsprache der Malerei überführt hat, als ihm in einer Spätsommernacht 2014 das Schicksal buchstäblich die Tür zu neuen Räumen aufstößt; noch ganz benommen von der Enttäuschung nach seiner ersten Einzelausstellung. Sie war erfolgreich und doch eine bittere Erfahrung, weil vom Erlös nicht einmal die Hälfte übrig geblieben ist. Da preist ihm auf dem nächtlichen Nachhauseweg ein Schild im Schaufenster der Douglasstraße 9 die dahinterliegenden Räume als „zu vermieten“ an. Er schiebt alle Selbstzweifel beiseite, ergreift die Gunst der Stunde und fasst den Entschluss, seine Kunst künftig selbst zu vertreiben. Der Galerie-Eröffnungstag am 20. Juni 2015 wird zur Lebenswende und markiert für Martin Krieglstein „das Erwachen aus einem 20-jährigen Albtraum“ als Akkordschlachter. „Die wenigsten Künstler haben eine schnurgerade Lebenslinie; sie müssen sich den Weg bahnen und ihre Freiheiten schaffen. Talent und Fleiß alleine sind es nicht. Ich bin jedenfalls kein Sonntagskind, hatte aber das Glück, in den richtigen Momenten die richtigen Entscheidungen und die richtigen Menschen zu treffen.“

Noch vor seinem Kunstakademie-Lehrmeister Per Kirkeby ist es der Großvater, „der die Grundlagen für mein geschultes Auge geschaffen hat. Nicht im künstlerischen Sinne, sondern streng formal“. Und da spricht er auch für seine Schwester Angela, die heute zu den vier Protagonisten der Produzentengalerie 20. Juni gehört. Denn das Elternhaus hat keinen Bezug zur Kunst. Der aus Böhmen geflüchtete Großvater ist als ehemaliger Oberpostinspektor nicht mehr in den hierarchischen westlichen Behördenapparat einzugliedern, aber mit 55 Jahren noch voller Kraft und sieht seine Aufgabe im Dreigenerationenhaushalt darin, die Schulschreibhefte der Enkel zu beaufsichtigen. „Er war kein Schöngeist, hatte aber immer die Abschaffung der Sütterlinschrift bedauert. Und er duldete keine Schlamperei im Schriftzug! Der Buchstabe beginnt nicht unter und nicht über, sondern auf der Linie. Die Rundung ist eine Gelegenheit zum Schwung und zur dynamischen Umkehr und nicht zum verhungerten Gegurke“, malt Krieglstein vor dem geistigen Auge. „Wir haben gelitten unter seiner Unerbittlichkeit, aber er prägte uns – bis heute ist der Sinn für den mit dem Bleistift gezogenen geraden Strich das Gerüst unseres bildnerischen Gestaltens.“ Als er auf dem Karlsruher Helmholtz-Gymnasium „immer mühsamere Schritte“ macht, wechselt Krieglstein 1978 auf die Fachhochschule für Gestaltung nach Pforzheim; das Grafikdesign-Studium entpuppt sich jedoch als großes Missverständnis und nach zwei Semestern wird er aufgefordert, „die Anstalt zu wechseln“. „Ob Logo oder Plakatentwurf – ich habe die gestellten Aufgaben immer auf dieselbe Weise gelöst: zu wenig vereinfachend, zu erzählend und figürlich, sodass man mir nahegelegt hat, es doch einmal an der Kunstakademie zu versuchen.“ Ohne Abitur muss der gebürtige Eggensteiner zurück in Karlsruhe eine Begabtenprüfung ablegen, rechnet sich angesichts der Konkurrenz aber keinerlei Chancen aus, gibt die Mappe ab und geht frustriert, ohne einen Termin für das mündliche Prüfungsgespräch mitzunehmen. Auf gut Glück kehrt er reumütig, aber gerade rechtzeitig zurück und eine „Verkettung glücklichster Missverständnisse“ führt schließlich zur Aufnahme. Weil das aus Arnold, Baselitz und Lüpertz bestehende Gremium zu dem Schluss kommt, dass man sich auf diesen Anwärter zwar keinen rechten Reim machen, aber ebenso wenig riskieren kann, ihn abzulehnen. „Mein Glücksstern war auf dem Posten“, lacht Krieglstein. „Auch als ich danach nicht in eine Malerfürsten-Klasse, sondern zu dem von skandinavischer Pädagogik und Toleranz geprägten Kirkeby gekommen bin.“

Nach acht Semestern Malerei und Freier Grafik muss der seinen Meisterschüler ziehen lassen. „Zäsur“, nennt es Krieglstein, als er „jäh aus dem siebten Künstlerhimmel gerissen“ wird: „Früheste Heirat und die Geburt unseres Sohnes verlangten, von heute auf morgen Geld zu verdienen.“ Aber der Markt gibt nichts her, also nimmt er eine Gelegenheitsarbeit am Karlsruher Schlachthof an. „Und das ist die Hölle für einen, der schon würgen muss, wenn er den Fettrand am Schnitzel glitzern sieht.“ Aus einer Woche werden zwei, drei, vier, fünf, aber „es wird sich schon noch etwas anderes ergeben“, hofft Krieglstein. Das tat es auch, aber nicht so, wie er dachte. Als wollte ihn die Vorsehung grausam necken, führt sie ihn für 20 Jahre an einen der größten Schlachthöfe Deutschlands, wo ihm unter erbarmungslosen Bedingungen im Arbeitsplan der Kopfschlächter der Platz am Schlachtband zugewiesen wird: Ausnehmen der Eingeweide. Aber die Flamme in seinem Künstlerherz erlischt nicht. Er bezieht ein idyllisches Hinterhofatelier in der Karlsruher Oststadt, das er allerdings teils wochen- und monatelang nicht sieht. „Ich habe dort wie ein Eichhörnchen Element um Element zusammengetragen, bis ein Bild fertig war.“ Seine Schwester Angela, die zu dieser Zeit als Theatermalerin arbeitet, macht sich mit ihrem Kollegen Michael „Mitsch“ Thomas – heute der ästhetische Moralist und Konzeptkünstler in der Produzentengalerie 20. Juni – unter dem Namen Michelangela selbstständig, sorgt sich auch um Bruder Martin und lässt ihn im Duo für dekorative Wandmalerei mitarbeiten, in Kindergärten, Boutiquen bis hin zum Großauftrag in einem Londoner Pub, der für Krieglstein absolute Bestätigung bedeutet: „England gab mir die Gewissheit, dass die Verhinderung eine Schaffenslust gebündelt hat, mein Gespür für die starke Szene immer noch vorhanden und die Malerseele durch die Schinderei in der Knochenmühle keinen Schaden genommen hat.“

Auch wenn es nochmals zehn Jahre dauern sollte, bis er sich aus seinem „Moloch herausgekämpft“ hat. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Majolika-Manufaktur, wo er als Gastkünstler kleine Keramik wie Espressotassen, Weinkühler oder Aschenbecher entgegen dem femininen Trend mit Motorbauteilen, rostiger Schiffsbeplankung und anderen eher herben Schwarz-Weiß-Motiven bemalt. Er trifft den Männergeschmack, seine Arbeit verkauft sich prächtig, doch Krieglstein will nicht länger nur reproduzieren. Die „Öffnung in die Fläche“ ist sein Ziel, für seine peppigen Badfliesen ist die bereits angeschlagene Manufaktur aber zu mutlos, seine Hoffnung auf einen Showroom für großformatige Bildfliesen in extravaganten Bädern zerschlägt sich. Dafür begegnet er im Malersaal Ende der 2000er erstmals seiner künftigen Liebe Victoria Tobostai, die heute als vierte im Bunde der Produzentengalerie 20. Juni bekannte, in Baden-Baden ansässige sibirische Keramikkünstlerin. „Im Rückblick erscheinen die Jahre an der Majolika fruchtbar und notwendig, weil sie das Betreten neuer künstlerischer Wege vorbereitet haben“, sagt Krieglstein. Dass der Anstoß zur vermeintlich so schlecht gelaufenen Ausstellung, die ihn Jahre später des Abends durch die Douglasstraße führen sollte, ausgerechnet aus der Majolika kam, ist wohl Ironie des Schicksals. Dabei befindet sich Krieglsteins damaliges Atelier nur zwei Häuser weiter in der Akademiestraße. Hier entsteht ab 2009 der Grundstock für die Produzentengalerie 20. Juni, wo er heute seine oft mit spürbarem Hang zur Sentimentalität behafteten Bilder komponiert, die der Primus inter Pares zusammen oder im Wechsel mit seinen drei Künstlerfreunden ausstellt.

Weil das Geschäft mit der Kunst nach wie vor ein hartes Brot ist, versorgt Krieglstein wie seit Jahr und Tag bei Wind und Wetter jeden Morgen die Durlacher mit ihrer Tageszeitung, bevor zweimal die Woche zudem noch der Schlachthof in Bretten-Gölshausen ruft. Aber den Gutteil seiner Zeit kann er jetzt damit verbringen, „Verbündete“ für seine Bilder zu suchen. Gefunden hat er sie auch bei INKA wie u.a. ein Blick aufs Februar-Cover unseres Stadtmagazins zeigt, für das wir Krieglsteins gemalte (!) Reklame zum Zweijährigen der Produzentengalerie herausgesucht haben. Das eigens für diesen freudigen Anlass angefertigte und mit viel lebenslustigem Retro-Charme behaftete Werk „Hellza Poppin’ Douglasstreet“ zeigt die Galerie von außen. Auf sein künstlerisches Selbstbild angesprochen zitiert Krieglstein ein imaginäres Zwiegespräch zwischen Goethe („Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten“) und Thomas Mann („Aber zu bedenken bleibt, dass auch das Leichte schwer ist, wenn es gut sein soll“) und resümiert: „Das methodische Arbeiten ist mir nicht gegeben. Ich überlasse dem Bild, was es von mir verlangt, ob ich dafür nun einen Samstag oder drei Monate benötige. Und dann zieht am geplanten luftigen Sommerhimmel plötzlich doch ein schweres Gewitter auf. Denn Kunst ist für mich der gekonnte Umgang mit dem Zufall.“ Und wer wollte ihm da widersprechen. -pat


Kontakt

Produzentengalerie 20. Juni
Douglasstr. 9
76133 Karlsruhe

0721/82 10 12 44
www.martin-krieglstein.de


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