Vassili Tolis, Film-Youtuber

Porträt
Willis Videotreff

„Tito & Tarantula“-artiges Riffing, Hawaiihemd vom Kleiderbügel geangelt, Partyhütchen auf, „Nightmare On Elmstreet“-Collection und einen Ouzo auf den Tisch, Cohiba geköpft, sinnierender Blick aus dem Brettener Balkonfenster, Jámas, fetter Zigarrenzug – und „dann mal los!“ Mit dieser catchy Stakkatomontage leitet der Jubiläumsbeitrag den ersten Geburtstag von „Willis Videotreff“ ein, dem Youtube-Kanal „mit dem Griechen“ Vassili Tolis. Am 2.6.2022 hat der Spätberufene seine erste Besprechung über „unser allerliebste Pizzafratze“ Freddy Krueger im Kasten; inzwischen sind mehr als 60 „Filmkritiken, Meinungen und Rankings“ online. Mit 100 Views gestartet, knackt „Willis Videotreff“ im Mai 2023 die Marke von 1.000 Abos, zum Jahresanfang zählt der Kanal bereits an die 3.800. Tendenz: stetig steigend. „Ich habe im deutschen Youtube Ausführlicheres zu den guten alten Klassikern vermisst. Man findet zwar immer wieder Kanäle mit Retrofilmbesprechungen, aber die reißen nur den Inhalt an und geben ein bisschen Meinung dazu. Was mir dabei fehlt, ist der Background.“ Und diese erkannte Lücke will Vassili kurzerhand selbst schließen – „vom Fan für Fans“ der 80er- und 90er-Videothekentitel.

Expertise hat er noch und nöcher, denn der in Kaufbeuren geborene und seit Kindertagen im Badischen heimische „bayrische Grieche“ ist Filmfreak von frühester Kindheit an: John Carpenters „Ding aus einer anderen Welt“ beschert ihm das erste Horrorerlebnis, weil Vater Foti dem kleinen Vassilios seinen Willen lässt. Das erträgt der Achtjährige zwar nicht bis zum Schluss, aber die Leidenschaft für Medium und Genre ist geweckt! Auch Dudikoff, van Damme, Schwarzenegger und Stallone prägen ihn ebenso wie ein „Karate Tiger“. Zeichnerisch nicht unbegabt, lebt Vassili, den damals schon alle nur Willi nennen, seine Affinität als Schulbub an fiktiven Ninja- und Zombiefilmplakaten aus. Weil das vom damaligen Lehrkörper noch nicht als Verhaltensauffälligkeit gesehen wird, schreibt er später an einem unvollendet gebliebenen Drehbuch und produziert zu Bruchsaler Wirtschaftsgymnasiums-Zeiten mit Schulkameraden einen Clip inkl. platzender Kunstblutbeutel. Die kurzzeitig angedachte Bewerbung an einer Filmhochschule schießt er aus privaten Gründen in den Wind und wird – kleiner Spannungsbogen des Autors, der mit seinem Nebensitzer Willi neun Jahre die Schulbänke gedrückt und ihn im zweiten Anlauf durchs BWL-Abi gepaukt hat – Berater in einer regional ansässigen Genossenschaftsbank, was man ihm wohl schon aufgrund von vollem Bart und wallender Mähne, die mehr für einen Heavy-Metal-Mucker sprächen, nun nicht aufs Gesicht zusagen würde. Aber wer von klein auf im Restaurant seiner Eltern mitkellnert, jongliert Zahlen ebenso geübt wie ein volles Tablett.

Die alte Leidenschaft lässt ihn jedoch nie ganz los, Extremkonsument bleibt er sowieso. Bis sich mit Anfang 40 der Selbstverwirklichungsgedanke Bahn bricht; und als Youtuber ist er nun ein bisschen von allem – Regisseur, Produzent und Actor. Denn der Entertainmentfaktor kommt in seinen Videos nicht zu kurz! Allem voran die szenischen Einstiege, wenn sich Willi in der „Conan“-Folge das Barbarenstirnband umbindet, oder im „Starship Troopers“-Video als „Federal Network“-Uniformierter anmoderiert. „Man sollte schon ein bisschen Show machen, um die Leute zu kriegen“, weiß Willi, „und das muss in den ersten 30 Sekunden passieren.“ Zu Anfang nimmt er noch mit seinem Pixel 4a auf, schnell ist eine Proficam am Start. Das Setting: die blau-rot-angestrahlte heimische Videowall mit einer über 1.000 Scheiben umfassenden DVD- und Blu-ray-Sammlung, die sich überwiegend aus Klassikern der 80er und 90er mit Genreschwerpunkt Action und Horror zusammensetzt. Auch die den besprochenen Film ansagende LED-Buchstabentafel, Klappe, Jonglierbälle, Sanduhr, Jason-Voorhees-Gedenkmachete und natürlich eine Ouzoflasche gehören zum unverkennbaren Kanallook. Die Beiträge sind stets dreigeteilt: Kompakte Handlungszusammenfassung, ausführliche Hintergrundinfos zur Produktion und die Kritik – „ein All-Inclusive-Paket wie ich es mir als Zuschauer immer gewünscht habe.“ Dazu kommen hin und wieder zum Kanal passende eher klassisch und spoilerfrei gehaltene Besprechungen aktueller Serien oder Filme auf Netflix & Co. und Kinostarts wie „Evil Dead Rise“. Um seine Frequenz, wöchentlich ein Video hochzuladen, halbwegs halten zu können, reduziert der Bankkaufmann seinen Brotjob 2023 auf 80 Prozent.

Mit dieser Herangehensweise landet der „Videotreff“ schnell auf dem Radar von anderen Film-Youtubern; und die schauen nicht etwa neidisch auf den Emporkömmling, sondern verschaffen ihm sogar Reichweite: „Cinemanuel“, der bekannteste Filmsammlerkanal Deutschlands, und „Horrorzeit“ als wichtigster deutscher YT-Kanal fürs Genre bitten Willi um Gastclips. Auch „Urstdertyp“, dessen „Filmbesprechungen für Fortgeschrittene“ rund 18.000 Zuschauer folgen, und der Retro-Channel „Fetter Loser im Exil“ mit seinen 27.000 AbonnentInnen sprechen eine Empfehlung aus. Das pusht. Inzwischen zahlt sich das nicht nur durch Fame aus: Die Voraussetzungen für die Youtube-Monetarisierung – mind. 1.000 Abonnenten und 4.000 Stunden Watchtime in den vergangenen zwölf Monaten – sind nach nicht mal einem Jahr erfüllt, „aber ich habe pro Video einen Stundenlohn von einem Euro, das steht immer noch in keinem Verhältnis zum Invest“. Zwischen 15 und 20 Stunden vergehen i.d.R. von der ersten Notiz beim Rewatch über die Backgroundrecherche und das Skriptschreiben, Dreh und Postproduktion mit der Schnittsoftware „Da Vinci Resolve“, dem Erstellen eines aufmerksamkeitsheischenden Thumbnails bis zum Upload der durchschnittlich 20 Minuten „Reviewspektive“.

Dann geht die Arbeit nahtlos weiter; schließlich verlangt es der eifrig kommentierenden Community nach Interaktion. Jetzt dreht sich alles um die Click-Through-Rate: Die CTR gibt an, wie viele User, die das Thumbnail angezeigt bekommen, das Video auch abrufen und viel hängt dabei von Youtubes Algorithmus ab. Um trotz Einhaltung des „Kleinen Zitats“ keine Copyright-Claims oder gar -Strikes zu riskieren, verzichtet Willi weitgehend auf Bewegtbildzitate aus öffentlich zugänglichen Quellen. „Die Videos bestehen mittlerweile zu 95 Prozent aus meinem Content, d.h. ich arbeite mit Filmstills und B-Roll-Material, also von mir gedrehten Einspielern.“ So verpasst er den per se statischen Clips mit erzählrhythmusbetonenden Schnitten und Zooms Dynamik und Style, hat über die Monate seine eigene Bildsprache gefunden und von „Freitag der 13.“ über „Robocop“ bis „From Dusk Till Dawn“ bereits reihenweise Kultmovies abgehandelt. Achtung Spoilerwarnung: Sicher nicht nur ich erwarte ungeduldig, was Willi zu unserem gemeinsamen Jugendschwarm „L.I.S.A. – Der helle Wahnsinn“ so alles zu sagen haben wird! -pat


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