Anne-Sophie Oberkrome, Produktdesignerin
Porträt
Vielleicht lässt sich „Neil“ als Multilith beschreiben? „All Black“ kommt er daher, wie aus einem Guss (was auch fast wahr ist, er besteht aus nur zwei gebogenen und miteinander verbauten Schichtholzelementen), wirkt präsent und machtvoll – monolithisch. Bei näherer Betrachtung und physischem Kennenlernen lässt sich aber feststellen, dass „Neil“ ein Multifunktionsobjekt ist: Stuhl und Tisch und Regal zugleich. Je nach Stellwinkel offenbaren sich neue Nutzungsmöglichkeiten, angepasst an die Bedürfnisse heutiger Laptop-ArbeiterInnen. Die aber vielleicht einfach mal ein Buch lesen, vier weitere verstaut aber griffbereit haben wollen und dabei noch Platz für Kaffeetasse und Ellbogen brauchen. „Neil“ entstand 2018 in einer Kollaboration von Anne-Sophie Oberkrome und Lisa Ertel, die oft miteinander arbeiten und u.a. auch den Begegnungsraum Cola Taxi Okay in der Kaiserpassage mit Möbel und Interior Design ausstatteten. Anne-Sophie Oberkrome schloss 2019 ihr Studium in Produktdesign an der HfG Karlsruhe statt und lebt seit kurzem in Berlin, ist Karlsruhe aber durch das Fan-Kollektiv weiterhin verbunden. Im Sommer 2020 war sie Mitgründerin des Bio Design Labs an der HfG. Dort experimentierte sie u.a. mit Roter Beete oder Rotkraut als Färbemittel – erst mal eine alte Technik. „Der nächste Schritt wäre: Wie kann man Farben aus Rotkohl in den Tintenstrahldrucker bekommen? Es ist interessant, alte Traditionen wieder aufzugreifen, sie aber ins Jetzt oder darüber hinaus zu transportieren“, findet Oberkrome.
Geschichte und Gegenwart, Tradition und neue Technologie verweben sich in der Arbeit der Designerin. Ein gutes Beispiel ist „Willow“, ein Stuhl mit Beinen aus Kohlenstofffaser und einer Sitzfläche aus Korbweide, unteilbar miteinander verschränkt. Das industriell gefertigte Material könnte nicht ohne den noch immer handgewobenen Naturstoff. Gemeinsam bilden sie ein extrem leichtes Möbelstück mit Hingucker-Potenzial. Mit der Serie „Grip“ bringt Anne-Sophie Oberkrome die Muster des Riffelblechs, die irgendwo zwischen Designelement und pragmatischer Rutschfestigkeit changieren, in neue Kontexte: Als Fliesen aus Keramik verändern sich die Wahrnehmung und Interpretation der Riffelmuster, die nun etwa beim Duschen betrachtet und gestreichelt werden können. Es sind präzise Alltagsbeobachtungen, daraus resultierende Überlegungen und elaborierte, auf den Punkt gebrachte „Hacks“, die Anne-Sophie Oberkromes Arbeit auszeichnen. „Hub“ ist das Resultat einer Auseinandersetzung dem Regal. Es entstand ein flexibles Verbindungsstück, das für verschiedene Regalsysteme, Bretterdicken und Materialien geeignet ist – und somit in den nomadischen Alltag moderner Großstadtmenschen passt. Wie viel Auseinandersetzung mit der buchstäblichen Materie hinter solchen Gebrauchsgegenständen steckt, zeigt die preisgekrönte Installation „Layered Transparency – Displayed Opacity“, die Oberkrome als Diplom-Arbeit 2019 entwickelte und ausstellte.
Anhand einem der Designgegenstände schlechthin – der Vase – verfolgt das Projekt die Transformationen, durch die ein Objekt beim Übergang vom digitalen in den analogen Raum oder andersherum läuft. Als analoges Objekt im analogen Raum lässt sich die Vase innerhalb einer verspiegelten Vitrine erlaufen, verschiedene Blickwinkel tun sich auf. Das Abbild der Vase auf einem Screen entreißt das Objekt aus dem räumlich-zeitlichen Zusammenhang. Wie transparent ist diese Grenze? Als digitales Objekt im digitalen Raum einer Virtual-Reality-Umgebung betrachten wir ein Objekt, das seinen Ursprung nicht mehr in der analogen Ding-Welt hat. Form und Textur der Vase können hier beliebig morphen, nichts ist mehr fest und bleibend. Eine 3D-gedruckte Vase schließlich zeigt ein Objekt, das durch digitale Prozesse entstanden ist. Die Oberflächentextur spielt mit der Optik von Sand – dem Ursprungsmaterial von Glas. Diese Zusammenhänge, die Anne-Sophie Oberkrome beschäftigen, auch mal im eigenen Alltag mitzudenken, könnte eine spannende Aufgabe sein. -fd