26. Pride Pictures – Queer Film Festival

Kino & Film // Artikel vom 15.10.2019

Eine Woche internationales Kino ganz im Zeichen einer mutigen Gesellschaft im Kampf für Gleichberechtigung und Anerkennung“ bieten die „Pride Pictures“ mit 35 Lang- und Kurzfilmen sowie Dokumentationen in 17 Programmen.

Traditionell stimmen die queeren Kurzfilme (Di, 15.10., 18 Uhr) u.a. mit einer wrestlenden Transfrau, einem sprechenden Fisch und dem ersten Film über Asexualität im „Pride Pictures“-Programm überhaupt vor dem Eröffnungsfilm „Kanarie“ auf die Vielfältigkeit des Festivals ein, das in diesem Jahr auch in die Lebenswelten von Intersexuellen und Polyamorösen eintaucht.

Kanarie (Di, 15.10., 20 Uhr)
Christiaan Olwagens kunterbunte Coming-out-Story aus Südafrika ist Liebesgeschichte, Drama und Musical gleichermaßen: Johan Niemand, ein modebegeisterter Teenager, der auch mal gern im Brautkleid durchs Dorf stolziert, wird 1985 im Alter von 18 Jahren zum Wehrdienst einberufen. Er hofft, durch die Aufnahme in den Militärchor der südafrikanischen Streitkräfte nicht in den Krieg ziehen zu müssen; Drill, Zucht und Ordnung gehören für die Kanaries dennoch zum Alltag. Auf Tournee verliebt sich Johan in ein Chormitglied und beginnt, Religion, Patriotismus und Sexualität in Frage zu stellen. Seine aufkommende Kreativität und Leidenschaft für die Musik führen zum unmittelbaren Konflikt mit seinen leitenden Offizieren. Für die Suche nach Individualität in einer Welt der Unterdrückung und Uniformität gab’s bereits auf mehreren Filmfestivals, u.a. in Kapstadt, Atlanta und Chicago, den Preis für den besten Film und die beste Regie.

Der Boden unter den Füssen (Mi, 16.10., 18 Uhr)
Der Österreicherin Marie Kreutzer ist ein extrem konzentriertes, zurückgenommenes und atmosphärisch dichtes Psychogramm zweier Frauen gelungen, das es 2019 verdientermaßen bis in den „Berlinale“-Wettbewerb geschafft hat. Als Unternehmensberaterin Lola vom Suizidversuch ihrer an paranoider Schizophrenie leidenden Schwester Conny erfährt, gerät selbst ihr hocheffizientes, eng getaktetes Leben aus langen Bürotagen, teuren Restaurantbesuchen, kurzen Nächten in anonymen Hotelzimmern und der Liebesbeziehung zu ihrer Chefin Elise zusehends aus den Fugen.

The Coming Back Out Ball Movie (Mi, 16.10., 20 Uhr)
Während die Australier 2018 über die Gleichstellung der Ehe diskutieren, dreht Sue Thompson ihr sanftes und respektvolles Movie über die Geschichte der Melbournes Senior Queers, das zu einem Klassiker der queeren Dokumentation werden könnte. Der Künstler Tristam Meecham will die älteren Mitglieder der Melbourner LGBTIQ+-Bevölkerung ehren: Menschen, die zu einer Zeit, als Homosexualität noch strafbar war, für die Gleichstellung gekämpft und es jungen Schwulen wie ihm ermöglicht haben, heute out und proud zu sein. Also organisiert er einen öffentlichen „Coming Back Out-Ball“ in der Melbourne Town Hall, um ihre Lebensgeschichten zu feiern.

Carmen y Lola (Do, 17.10., 18 Uhr)
Die in einer madrilenischen Sinti-und-Roma-Gemeinschaft heimische 17-jährige Carmen (Rosy Rodríguez) soll leben, wie es die Traditionen verlangt – heiraten, so viele Kinder wie möglich bekommen und die Rolle der Hausfrau ausfüllen. Kurz vor der Hochzeit trifft sie Lola, ein Roma-Mädchen, das Vogel-Graffitis zeichnet, davon träumt eine Universität zu besuchen und heimlich auf Frauen steht. Nach anfänglicher Ablehnung entwickelt auch Carmen Gefühle. Als ihre Familien von der Liebesbeziehung erfahren, bricht eine Welle der Wut und Ausgrenzung über beide herein. Arantxa Echevarría verleiht ihrem Film besondere Authentizität, indem sie fast ausschließlich mit Laiendarstellern der Sinti und Roma-Gemeinschaft gedreht hat. Die Suche nach den Hauptdarstellerinnen gestaltete sich jedoch äußerst schwierig, da Homosexualität in der Roma-Kultur noch immer als Krankheit gilt.

The Garden Left Behind (Do, 17.10., 20 Uhr)
Die 30-jährige Transgender-Frau Tina lebt mit ihrer Großmutter Eliana als nicht registrierte Immigrantin in New York und versucht verbissen, als Taxifahrerin genug Geld für ihre Transition zusammenzukratzen. Dann trifft sie den zurückhaltenden Nachbar Chris, dessen heimliche Liebe im verwirrenden Gegensatz zu seinen rauen Baseball-Freunden steht. Ein kraftvoll-emotionaler Appell, den Regisseur Flavio Alves fast ausschließlich mit transsexuellen SchauspielerInnen besetzt hat.

Freakshow (Fr, 18.10., 18 Uhr)
Das Regiedebüt von Stings Ehefrau Trudie Styler, eine Verfilmung des Romans „Party Monster“ von James St. James, erzählt als unscheinbare High-School-Komödie getarnt mit entwaffnendem Humor, skurrilen Nebenfiguren (Abigail „Little Miss Sunshine“ Breslin als biestige Chef-Cheerleaderin und Schauspielikone Bette Midler als exzentrische und trinkfeste Mutter) und ganz viel Herz die Außenseitergeschichte des sonderbaren, frühreifen und extrovertierten Teenagers Billy Bloom (Alex Lawther) als berührendes nicht-heterosexuelles Selbstermächtigungsmärchen.

For Izzy (Fr, 18.10., 20 Uhr)
Alex Chu verwendet den cleveren Mixed-Media-Ansatz der Dokufiktion, um die ermächtigende und herzerwärmende Geschichte zweier asiatisch-amerikanischer Familien zu erzählen: Die pensionierte, geschiedene und ausgebrannte Investmentbankerin Anna und ihre queere drogenabhängige Tochter Dede ziehen neben dem verwitweten Buchhalter Peter und seiner autistischen Tochter Laura ein. Um zu einer Familie zu werden, müssen aber erst alle den Mut finden, ihre destruktiven Verhaltensmuster zu überwinden.

Two In The Bush: A Love Story (Fr, 18.10., 22 Uhr)
Emily, gefeuert vom Chef und betrogen von ihrer Freundin und dem besten Freund, orientiert sich um und wird als persönliche Assistentin einer Domina Vorzimmerdame im BDSM-Studio. So lautet das Setting von Laura Madalinskis unkonventioneller romantischer Komödie über die vielschichtigen Facetten der Liebe. Gespickt mit liebenswert-charmanten Charakteren, skurrilen Momenten und feiner Situationskomik verknüpft sie mit Leichtigkeit Polyamorie, BDSM und Sexarbeit.

No Box For Me. An Intersex Story (Sa, 19.10., 16 Uhr)
Schätzungsweise 1,7 Prozent der Bevölkerung werden als Intersexuelle geboren. So auch M und Deborah, die wie viele Hermaphrodite im Kindesalter zu Eingriffen gezwungen werden, lange bevor sie sich über ihre geschlechtliche Identität im Klaren sind. Floriane Devignes Doku zeigt, wie die beiden ihren Körper ihrem eigentlichen Geschlecht anpassen und eine eigene Identität erschaffen. Im Anschluss geht’s im Kurzfilmprogramm „Mehr als lesbisch“ (Sa, 19.10., 18 Uhr) u.a. ins Bett, in die Kneipe und auf die Bühne einer schillernden Dragshow.

Temblores (Sa, 19.10., 20 Uhr)
Der Titel von Jayro Bustamentes Drama bezieht sich auf zwei kleine Erdbeben – und die Erschütterung im Leben seines Hauptprotagonisten Pablo: Als bekannt wird, dass der jüngste Sohn und zweifache Vater aus wohlhabendem Haus am Rande von Guatemala City eine Beziehung zu einem Mann hat, wird er genötigt, an einem kirchlichen Umerziehungslehrgang für Schwule teilzunehmen.

Greta (Sa, 19.10., 22 Uhr)
Der Debütfilm des brasilianischen Regisseurs Armando Praças zeichnet mit seiner Geschichte über den 70-jährigen schwulen Krankenpfleger Pedro, der eine stille Leidenschaft für den Filmstar Greta Garbo hegt und sich einen jungen verwundeten Kriminellen in die Wohnung holt, um seine nierenkranke Transgender-Schwester Daniela zu retten, ein berührendes Bild von der Suche nach Liebe, Sex und Freundschaft sowie der menschlichen Würde im Alter. Zugleich gibt er Einblicke ins verqueere Brasilien von heute im Geflecht verschiedener Parallelgesellschaften.

Oufsaiyed Elkhortoum (So, 20.10., 16 Uhr)
Der 2019 auf der „Berlinale“ für den Amnesty-International-Filmpreis nominierte Dokumentarfilm von Marwa Zein porträtiert mit aktuellen Bildern aus Khartoum ein sudanesisches Frauenfußballteam, das trotz Desinteresse der nationalen Fußballfunktionäre, diskreditierender radikaler Scheichs und Verhören sogar in kurzen Hosen spielt und entschlossen von der Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb träumt. Stereotype Klischees werden wortwörtlich auf spielerische Art aufgelöst und Genderrollen in einer Weise ad absurdum geführt, dass auch ein westliches Publikum noch so manches lernen kann. Weiter geht’s im Kurzfilmblock „Mehr als schwul“ (So, 20.10., 18 Uhr) u.a. mit einem knutschenden Vater, einem sexy Handwerker und einer Transition.

My Days Of Mercy (So, 20.10., 20 Uhr)
Der israelischen Regisseurin Tali Shalom-Ezer ist eine Melange aus Familiendrama, Krimi und Liebesgeschichte gelungen. Ganz behutsam, aber nachdrücklich nähert sie sich den diskussionswürdigen Themen Todesstrafe und Homosexualität, wenn sich Lucy (Ellen Page) und ihre Geschwister für den im Todestrakt sitzenden Vater Simon starkmachen, obwohl er beschuldigt wird, ihre Mutter umgebracht zu haben. Bei einer Demo trifft die Todesstrafengegnerin Lucy auf die ebenso überzeugte Befürworterin Mercy (Kate Mara) – und es funkt trotz ihrer konträren Haltung.

Love, Simon (Do, 17.10., 14 Uhr)
Basierend auf Becky Albertallis Jugendbuch „Nur drei Worte – Love, Simon“, dem Gewinner des „Deutschen Jugendliteraturpreises“ 2017, erzählt Greg Berlanti das unfreiwillige Coming-Out des Teenagers Simon (Nick Robinson), der an seiner High School nach einem Seelenverwandten sucht, auf sensible und vielschichtige Weise und kommt nach einem schwierigen, von vielen Widerständen begleiteten Selbstfindungsprozess zu dem Ergebnis, dass das mutige Bekennen vielleicht doch die einfachste Lösung ist. Für die Schulvorstellung ist eine Anmeldung per E-Mail an schulen@pridepictures.de erforderlich.

Pride Podium (Mo, 14.10., 17 Uhr, Insel)
Nach der überwältigenden Resonanz bei der Formatpremiere während des letztjährigen Jubiläumsfestivals werden die eintrittsfreien Vorträge mit anschließender Talkrunde fortgesetzt: Gäste aus Forschung, Kirche und Sport diskutieren über „Kultur, Konflikt & Konformität – Die mutige Gesellschaft“.

Pride Pictures Party (Fr, 18.10., 22 Uhr)
Ab in den Partyfummel heißt es in diesem Jahr bereits am Freitag: Die beiden Floors der Alten Hackerei warten bei kalten Getränken und heißen Beats auf FreundInnen tanzbarer Musik (Eintritt: fünf Euro, mit Kinoticket drei Euro, Fördermitglieder frei). Dresscode: „Come as you are, come as you like.“

Pride Pictures Prunch (So, 20.10., 11 Uhr)
Im Glashaus des Café Palaver lässt das Festivalteam die Sektkorken knallen, um beim sonntäglichen Brunch à la carte das 26. „Pride Pictures“-Festival gemeinsam Revue passieren zu lassen und sich mit allen FreundInnen der interessanten Unterhaltungen auf den Abschlusstag einzustimmen (ohne Anmeldung). -pat

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 2 und 3.

WEITERE KINO & FILM-ARTIKEL