Alistair Hudson im INKA-Interview

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 03.12.2023

„Wir müssen sicherstellen, dass das ZKM auch in Zukunft seinen experimentellen Kurs beibehält.“

In der Gründungsidee wurde das ZKM als Produktionsstätte konzipiert und nicht als Museum, daher der Name „Zentrum“. Kunst, Medien und Wissenschaft verknüpfen sich mit einem klaren Blick für die Zukunft. Der künstlerisch-wissenschaftliche Vorstand des ZKM Alistair Hudson stellt mit dem Programm ab 2024 seine neue Arbeitsweise vor.

Er erzählt, wie er die Idee des „Digitalen Bauhauses“ aufgreift, wie Kunst als Prozess ins Leben wirken kann und warum Musik für ihn prägend war. Die Vision eines „Useums“, ein Ort, der gemeinsam von Menschen genutzt wird, um etwas zu machen, anstatt nur zu beobachten, stärkt das ZKM in seiner Ausrichtung, experimentelle Räume zu schaffen und die Welt aktiv zu gestalten. Das Gespräch wurde in Englisch geführt, Interview und Übersetzung: Stella Braasch.

INKA: Hinter Ihnen liegen nun gut sieben Monate als künstlerisch-wissenschaftlicher Vorstand des ZKM. Wie haben Sie sich bisher eingelebt?
Hudson: Sehr gut bis jetzt. Ich mag es hier. Es geht natürlich viel ums Kennenlernen. Alle Leute im Haus, in der Stadt, aus Kultur und Politik, verschiedene Organisationen, Leute vom Ministerium in Stuttgart. Meine Deutschkenntnisse gehen auch voran, nur sind die Leute oft zu freundlich und wollen ihr Englisch mit mir üben (lacht). Alle sind sehr offen, etwas Neues zu machen und das ZKM in eine neue Phase zu bringen.

INKA: Unter der Leitung von Peter Weibel hat sich das ZKM zu einer weltweit renommierten Institution entwickelt. Wie wollen Sie an die Themen anknüpfen, die bereits etabliert sind, an welchen Fäden ziehen?
Hudson: Wann immer man an einem neuen Ort beginnt, ist es wichtig, die Vergangenheit in die neue Arbeit einzubeziehen. Für mich ist die Übernahme des ZKM eher eine Evolution denn eine Revolution. Wir müssen im neuen Programm immer im Blick haben, wofür dieser Ort gedacht ist, was er bewirken soll. Wie Sie sagen, die Fäden in die Hand zu nehmen von Dingen, die sich hier über die Jahre entwickelt haben, aus der Ära von Peter Weibel, von Heinrich Klotz und sogar davor. Mit diesem Fokus haben wir kürzlich eine Veranstaltung kreiert, die einen Geschmack gegeben hat für das Neue und Gegenwärtige und das Vergangene gewürdigt hat, als eine Art Zeremonie der Übergabe. Dabei ist klar, dass wir uns heute in einem ganz anderen Kontext bewegen als zur Zeit der ZKM-Gründung. In den 80ern und 90ern war Medienkunst ein definiertes Genre, das sich seinen Platz erkämpfen musste, um zu sagen, dass Kunst sich mit Technologie beschäftigen soll. Das ZKM war als Produktionshaus einer der wenigen Orte für KünstlerInnen, an denen sie mit elektronischen Medien arbeiten konnten. Heute ist das alles sehr anders. Medienkunst durchdringt die Kunstwelt und auch alle anderen Lebensbereiche. Jeder von uns kann Medienkunst mit leicht verfügbaren Geräten machen. Das müssen wir berücksichtigen und damit neu definieren, wofür das ZKM jetzt da sein kann.

INKA: Wie wollen Sie den bisherigen Fokus des ZKM auf Medienkunst in die aktuelle Zeit hineintragen?
Hudson: Als Startpunkt müssen wir darauf schauen, was Medienkunst überhaupt ist. Es gibt hier eine Sammlung und viele Archive, die diese Geschichte erzählen. Wir haben uns zu fragen: Was sind Medien? Und genauso: Was ist Kunst? Medien umfassen die Vielfalt von verschiedenen Mitteln, durch die wir kommunizieren und operieren. Wir sollten diesen größeren Blickwinkel einnehmen und zurücktreten aus dem beengten Feld der Expertise, es stärker öffnen und wiederverbinden mit dem, was in der Welt los ist. Daran ausgerichtet ist die Idee des „Digitalen Bauhauses“ hilfreich, da es sich innerhalb einer langen Geschichte verortet, mit Bauhaus, der Bewegung des Kunstgewerbes und dem Verständnis von Kunst als Reimagination der Welt in Zusammenschluss mit Technologie – für gesellschaftlichen Nutzen und Vorteil. Damals zu Zeiten der industriellen Revolution wie heute gibt es viele simultane Umwälzungen, sie werden immer schneller. Für mich geht es darum, dass das ZKM innerhalb der Einheit von Kunst, Technologie und Gesellschaft arbeitet, um sicherzustellen, dass wir Technologie verstehen und die Welt in der richtigen Art und Weise sehen, um ethisch darin handeln zu können. Mit den vielen Dingen, die sich herauskristallisieren – wie KI, Biowissenschaft, Ökologie, verschiedenste Kosmologien und Ideen der ganzen Welt – ist es eine Situation der sich steigernden Komplexität. Das ZKM ist der Ort, an dem wir herausfinden können, wie wir damit navigieren. Und ein Ort, um Leute aus unterschiedlichen Kulturen, Weltanschauungen und technologischen Blickwinkeln zusammenzubringen, um die Welt mitzugestalten auf eine neue Weise, für eine größere Diversität und gesündere Umwelt. Das kreiert die Stärke des ZKM als Produktionshaus. Das ist die kurze Version (lacht).

INKA: Sie sind nahe Manchester aufgewachsen, ein Hotspot für Post-Punk und New Wave mit Bands wie Joy Division, New Order, Factory Music, der Club Haçienda. Auch im ZKM war elektronische Musik zu Beginn stark im Fokus. Wie ist Ihre Beziehung zu Musik?
Hudson: Ich bin ein 80er-Kind und mit dieser Musikszene aufgewachsen, das hat mich sehr geprägt. Eigentlich war es ein Kunstprojekt, was wir früh herausgefunden haben, mit sehr experimentellen Leuten im Hintergrund, die sich auf die „Situationistische Bewegung“ bezogen haben. Die Idee war ein Kunstprojekt in Manchester, das Musikkulturen als Übertragungsmittel nutzt; es ging jedoch darum, den Arbeiterklassen das Recht zu geben, kreativ zu sein. Für mich war die Musikszene und der Nachtclub, der daran angehängt war, wie eine Kunstschule. Dort habe ich die viel größere Perspektive von Kunst kennengelernt als die Version, die wir in Büchern oder im Klassenzimmer lernen oder selbst an der Universität. Daher hatte ich schon früh ein breites Verständnis davon, was Kunst ist, und fordere gern die üblichen Annahmen heraus. Oft sind diese dazu da, bisherige Macht oder Status zu verstärken.

INKA: Da wird dieser Bezug von Gesellschaft und Kunst sichtbar, von dem Sie als „Useum“ oft sprechen. Wollen Sie auch das Feld der Musik verstärkt ins Auge nehmen?
Hudson: Ja, auf jeden Fall! Dieses Jahr erweitern wir den „Giga-Herz-Preis“ zum „Giga-Herz-Festival“. Es geht zwar noch um den Preis, aber wir öffnen das Format, um es mit der Welt zu verbinden. Es wird Raum geben nicht nur für akusmatische Musik, sondern auch elektronische und Popmusik, junge Bands und ältere Musiker. Wir bringen verschiedenen Welten zusammen, insbesondere auch nicht-europäische, denn die akusmatische Musikszene ist hauptsächlich zentral-europäisch geprägt.

INKA: Wie sieht Ihr neues Programm für 2024 aus?
Hudson: Ich bin an der Anwendung von Kunst und Technologie in der Gesellschaft interessiert. Kunst ist letztlich ein Prozess, den Menschen verwenden, aktiv benutzen. Es ist wichtig, das vor Augen zu haben und Projekte zu machen, die draußen in der Welt stattfinden. Ich weiß noch nicht, was genau das sein wird – denn der erste Schritt dafür ist Zuhören und mitbekommen, was andere um uns herum schon machen und uns darin anschließen. Und nicht einfach fragen, dass andere bei einem selbst mitmachen. Es gibt Methoden, wie wir damit anfangen können, an solchen Projekten zu arbeiten. Nächstes Jahr fangen wir z.B. an, mit Tania Bruguera zu arbeiten, eine kubanische Künstlerin, mit der ich schon viel zusammen gemacht habe. Sie leitet die Fakultät von Performance und Medienkunst in Harvard. Es wird um Projekte gehen, die wir in Karlsruhe machen, die in irgendeiner Form eine soziale, ökonomische, politische, ökologische oder praktische Funktion haben. Das ist offen. Wenn ich rausgehe und sage, ich weiß ganz genau, was Karlsruhe braucht, wird das nicht funktionieren. Es muss aus dem Kontext der Kultur hier kommen.

INKA: Die große Frage der Ausstellungen – was wird kommen?
Hudson: Ich habe ein bisschen gescherzt, dass wir keine Ausstellungen mehr machen werden – als Provokation, denn Leute werden ganz nervös und fragen: Was ist dann mit der Kunst? Ausstellung ist ein recht junges Format in der menschlichen Geschichte und wurde im 19 Jh. für spezielle sozio-ökonomische Gründe entwickelt, als Teil des kapitalistischen Apparats. Das ist wichtig, sich bewusst zu machen. Ist das Medium der Ausstellung die einzige Art, Kunst zu vermitteln? Natürlich nicht. Um mit und in der Welt zu arbeiten, müssen wir in Gemeinschaften, Tech-Unternehmen, Bildungsorten, Politik und der Natur sein. Wir müssen da draußen sein und innerhalb dieser Lebenswelten arbeiten. Und auch sehen, wie wir diese fantastischen Ressourcen als Produktionshaus nutzen: Forschung und Entwicklung, Produktion und Teilen, Bilden, gegenseitiges Lernen. Wir haben brillante Softwareengineers und Programmierer im Haus, an der Seite von Musikern und Künstlern. Ich kenne keine andere Institution, die solch ein Netzwerk von Menschen hat. Das ist ein großer Vorteil. Wir haben Orte für Performances und Aktivitäten, wir haben Orte für Projekte. Es geht also darum, ein System verschiedener Methoden zu entwickeln, wie wir diese verschiedenen Rollen ausfüllen können.

INKA: Welche konkreten Formate sind geplant?
Hudson: Eines der ersten Dinge im nächsten Jahr ist „Fellow Travellers“ (Weggefährten). Es ist eine Ausstellung, aber ohne Ende. Wenn du dich wie ein Museum verhältst, machst du Show nach Show, im engen Rhythmus. Es entsteht ein Kreislauf, der sich irgendwann darum dreht, Platz auszufüllen, anstatt, was wir versuchen zu machen. Wir wollen mit Kunst und Technologie für den Vorteil der Gesellschaft arbeiten und dafür Raum eröffnen. Das kann sich im Ausstellungsraum konkret als Serie von Projekten wie ein Labor oder eine Küche von Möglichkeiten abbilden, als ein kontinuierliches Entfalten, Verändern und miteinander Kommunizieren und Voneinanderlernen. Das Konzept von „Fellow Travellers“ ist, dass Menschen zusammenkommen, um Ideen zu teilen, auf dem Weg in etwas Neues hinein. Das kann so aussehen: Roboter-Ingenieure aus Mexico City an der Seite mit solchen aus Karlsruhe, oder Kollektive aus Slowenien, die eine Art Landwirtschaft erforschen, wo Pflanzen die Produktionsbedingungen und den Konsum vorgeben, anstatt die Industrie. Neben den Gästen, die wir einladen, arbeiten wir auch daran, eine Dauerausstellung der Sammlung zu konzipieren. Sie soll nicht statisch sein, sondern artikulieren, was meist hinter den Kulissen passiert: Forschung, Konservierung, Archivarbeit, Softwareentwicklung. Das möchte ich öffentlich zugänglich machen und zwar lebendig und interaktiv. Das schließt ein, auch andere Menschen entscheiden zu lassen, was im ZKM passiert und nicht nur von oben etwas zu diktieren. Für mich ist die Idee der Nutzerschaft (Usership) prägend, im Sinne des aktiven Mitgestaltens, anstelle von Zuschauerschaft (Spectatorship).

INKA: Was ist Ihre künstlerische Haltung als Leiter des ZKM?
Hudson: Es gibt all diese Stimmen und Ideen, die im ZKM zusammenkommen und mit ihrer Vielfältigkeit neue Projekte und Ausstellungen inspirieren und entwickeln werden. Neue Bildungsprogramme, Musik, Aktivitäten und was immer kommt. Das wird sich weiter entfalten. Ich nenne das „unerwartetes Programmieren“. Dass du die Dinge geschehen lässt, ohne zu wissen, was passieren soll. Es distanziert sich von der überplanenden Kultur von Überproduktion von Museen heutzutage. Du produzierst, machst immer mehr, aber für was? Du verbrauchst Energie und Ressourcen, doch was ist das Ziel, der Sinn? Für mich geht es darum, dem ZKM einen sozialen Sinn und Zweck zu geben, dass es für die Welt arbeitet, und nicht für die eigene Existenz. Nicht, dass es bisher so gewesen wäre, doch wir müssen sicherstellen, dass es auch in Zukunft den experimentellen Kurs beibehält. Denn wir haben die Erlaubnis das zu tun, und dieses Privileg ist auch eine Pflicht.

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Kommentar von Laura Safred |

Bitte, ist die originelle englische Version zu Verfügung?

Antwort von Stella Braasch

Es wurde nur die deutsche Fassung veröffentlicht.

Bitte addieren Sie 7 und 1.

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