Das Kunsthallen-Interview mit Pia Müller-Tamm & Otmar Böhmer
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 13.05.2013
Seit geraumer Zeit steht die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe im Mittelpunkt nationaler Architekturdiskussionen, die über die großen Tageszeitungen wie die SZ ausgetragen werden.
Ausgangspunkt ist die katastrophale Raumsituation des Hübsch-Baus samt dessen Mohl-Anbau. Ab Mitte Mai sollen erste Diskussionsmodelle von fünf renommierten Architekturbüros vorliegen. Im Vorfeld sprachen Patrick Wurster und Roger Waltz im Rahmen der INKA-Kulturtourismus-Serie mit Kunsthallen-Chefin Dr. Pia Müller Tamm und dem neuen Geschäftsführer Otmar Böhmer.
INKA: Die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle zählt zu den bestbestückten Deutschlands. Wird dieser Stellenwert in Karlsruhe genügend gewürdigt?
Pia Müller-Tamm: Die Kunsthalle ist das bedeutendste Museum in der Oberrheinregion, das zweitwichtigste Kunstmuseum Baden-Württembergs und zählt deutschlandweit zu den wichtigen historischen Museumsgründungen. Unter den Markgrafen und Großherzögen von Baden ist eine über viele Jahrhunderte gewachsene, bis heute klar strukturierte Sammlung mit deutscher, niederländischer und französischer Kunst vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart entstanden. Das ist der Fachwelt wohl bewusst, am Ort selbst aber vielleicht nicht so geläufig.
INKA: Wie ist es international betrachtet ums Publikum bestellt?
Müller-Tamm: Dass wir zahlreiche französische Besucher haben, liegt zum einen an der geografischen Nähe zu Frankreich, zum anderen am Sammlungsschwerpunkt.
Otmar Böhmer: Die Internationalität des Hauses ergibt sich aus unseren fachlichen Kontakten, die weit über Frankreich hinausreichen. Ein Projekt wie die Große Landesaustellung „Camille Corot“ kommt nicht ohne Leihgaben aus Übersee aus. Diese haben wir nur bekommen, weil die Kunsthalle über eine hochrangige Sammlung verfügt, die im internationalen Leihverkehr gefragt ist.
Müller-Tamm: Kunstreisende besuchen Karlsruhe gezielt der Kunsthalle wegen, aber auch vor Ort gibt es ein verlässliches Publikum. Das war eine sehr positive Erfahrung, als ich vor vier Jahren aus Düsseldorf kommend mein Amt angetreten habe. Das Karlsruher Publikum nimmt das Museum als Erfahrungsraum ernst und ist bildungsorientiert. Ein sehr dankbares Umfeld für die Museumsarbeit!
INKA: Inzwischen hat man auch die Wichtigkeit des Tagestourismus erkannt. Wie ist es um Ihre Kooperation mit der Tourismus-Sparte der Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH bestellt?
Böhmer: Karlsruhe ist für eine Stadt dieser Größe kulturell hervorragend aufgestellt. Die Kunsthalle ist ein Teil davon, kann als Einzelmuseum aber keinen neuen touristischen Level begründen. Wir haben daher die Zusammenarbeit mit der KMK intensiviert.
INKA: Wie lockt man die Besucher außerhalb der Sonderausstellungen in die ständige Sammlung?
Müller-Tamm: Es ist eine Tatsache, die man bedauern mag, aber ohne Sonderausstellungen wird die Sammlung nicht ausreichend und angemessen wahrgenommen. Deshalb sind viele unserer Ausstellungen im Grunde Arbeit mit der Sammlung. Bestes Beispiel: Im Sommer zeigen wir mit „Unter vier Augen“ 50 Porträts aus fünf Jahrhunderten – allesamt aus der Sammlung der Kunsthalle. Von Cranach über Rembrandt und Rubens bis zu Manet, Renoir oder Dix: Die Arbeiten werden zum Gegenstand kunstwissenschaftlicher und literarischer Erkundungen. Namhafte deutsche Autoren und Autorinnen – Schriftsteller ebenso wie Wissenschaftler –, so z.B. Herta Müller, Martin Walser, Brigitte Kronauer, Peter Sloterdijk und Hans Belting, haben Textbeiträge geliefert. Jedes Werk kommt so auf ganz unterschiedliche Weise zur Sprache – und macht dem einen oder anderen hoffentlich Lust, mehr von der ständigen Sammlung zu betrachten.
INKA: Hat das moderne Museum die klassischen Aufgabenfelder Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln verändert?
Müller-Tamm: Für Museen zeitgenössischer Kunst kommt heute oft noch das Produzieren hinzu, wenn ein Museum neue Kunstwerke in Auftrag gibt. Aber das Sammeln bleibt die Basis aller Museumsarbeit. Und dank der Mittel, die wir vom Land Baden-Württemberg sowie durch unseren aktiven Förderkreis erhalten, können wir die Sammlung weiterformen. Sie ist das wichtigste Ideenreservoir für unsere Ausstellungen – wie zuletzt bei „Camille Corot. Natur und Traum“. Am 30.11. startet eine Schau zu Jean-Honoré Fragonard, ebenfalls aufbauend auf Beständen unseres Kupferstichkabinetts. Aus dem Sammeln ergibt sich der Auftrag des Bewahrens, um die kostbaren Kunstwerke für die Zukunft zu sichern. Aber nur 19 Prozent unserer Galerieräume sind adäquat klimatisiert. Es gibt erhebliche Klimaschwankungen – das ist konservatorisch bedenklich. Und was das Forschen betrifft: Die Kunsthalle ist ein wissenschaftlich ambitioniertes Museum. Soeben konnten wir gemeinsam mit dem Generallandesarchiv Karlsruhe und einem universitären Partner einen Verbundantrag für ein zweijähriges Forschungsprojekt zu Karoline Luise von Baden bei der Volkswagen-Stiftung erfolgreich platzieren. Die Ergebnisse kommen der Großen Landesausstellung 2015 zugute. Das vierte Feld der musealen Grundaufgaben ist das Vermitteln, also der Transfer zu den Menschen. Ausstellungen sind das wichtigste Medium der Vermittlung. Darüber hinaus spielt die Bildungsarbeit in der Kunsthalle eine große Rolle. Hier wurde bekanntlich 1973 das erste Kindermuseum gegründet. Die Junge Kunsthalle setzt dies heute mit interessanten Programmangeboten für Kinder und Jugendliche fort.
INKA: Der Kunsthallen-Bestand steht mehr und mehr auch online. Wie lässt sich das mit dem Aufgabenfeld des Ausstellens vereinbaren?
Müller-Tamm: Das genuine Interesse eines Museums muss es sein, die Menschen zu den Originalkunstwerken, also ins Museum zu locken. Denn das ist die große Stärke des Museums: Hier können wir ein Erlebnis gestalten, das man online so nicht reproduzieren kann. In keinem Widerspruch dazu steht, dass ein Museum mit seiner Sammlung auf vielen Bühnen präsent sein sollte. Unsere Leihgaben an andere Museen sind sozusagen Botschafter für die Kunsthalle andernorts, aber auch die Bestände über die Datenbank im Netz zugänglich zu machen hat seinen Sinn, wenngleich das Netz zweifellos nur eine nachrangige Form der Begegnung mit Kunst erlaubt. Über das Internet stellen wir ebenfalls Kontakt zur Institution Kunsthalle Karlsruhe her. Ein modernes Museum darf sich nicht auf seine vier Wände begrenzen und muss neue Formen der Ansprache finden. Wir haben beispielsweise im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Roncalli-Forum einen E-Learning-Award erhalten für eine virtuelle Führungsreihe, ein Projekt, das es Bewohnern von Alters-, Senioren- oder Pflegeheimen ermöglicht, über eine interaktive Onlineführung am kulturellen Leben teilzuhaben.
INKA: Die Kunsthalle platzt aus allen Nähten, eine Erweiterung steht im Raum. Wie bewerten Sie das Problem?
Müller-Tamm: Es mangelt uns nicht nur an Flächen, zum Beispiel für die Durchführung von Wechselausstellungen. Es gibt eine Vielzahl an Themen und Aufgaben, für die Lösungswege zu entwickeln sind. Es geht dabei um die dringend notwendige Klimatisierung, um Brandschutz- und Barrierefreiheit, um die Verbesserung in der Wegeführung und vieles andere mehr. Die Verantwortlichen in der Vermögens- und Bauverwaltung und dem Finanzministerium haben im vergangenen Jahr ein Vergabeverfahren eröffnet mit dem Ziel, ein Architekturbüro zu ermitteln. Wenn dieses Büro gefunden ist, wird es darum gehen, mit diesem Partner und einem interdisziplinären Team eine nachhaltige Lösung für die Probleme im Hauptgebäude der Kunsthalle zu erarbeiten.
INKA: Bereits unter Ihrem Vorgänger wurden Rufe nach einem externen Ausstellungsraum laut...
Müller-Tamm: Aufgrund der engen Beziehung zwischen Sammlung und Ausstellung in der Kunsthalle plädiere ich nicht für eine räumliche Trennung dieser Bereiche. Ein externer Ausstellungsraum hätte keine Verbindung mehr zu dem, was hier gewachsen ist. Nein, die Menschen müssen über Heinrich Hübsch in die Kunsthalle kommen und nicht durch irgendeinen Neubau. Die Zukunft der Kunsthalle entscheidet sich an unserem Umgang mit dem Hauptgebäude.
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