Design und Emotion
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 08.10.2008
Welches Gefühl hätten Sie heute gerne? Designer gestalten emotionsgeladene Produkte, die uns nicht kalt lassen.
„Gutes Design ist für die Ewigkeit“, behauptete Alberto Alessi und behielt Recht. Inzwischen hat die italienische Designfabrik allein 2000 Küchenartikel im Sortiment – von der Zitronenpresse bis hin zum zeitlos schlichten Brotkorb. Doch was macht Alessi so erfolgreich? Wir kaufen, was unsere Gefühle anspricht, erkannten die Marktforscher. Produkte müssen unsere Sinne verführen, uns überraschen, und natürlich sollten sie auch funktionieren! Vor vier Jahren publizierte Donald Norman sein Buch „Emotional Design – Why we love (or hate) everyday things“, in dem er beschrieb, wie stark uns Gefühle beim Versuch, die Welt zu verstehen oder Neues zu lernen, prägen.
Sobald wir eine emotionale Beziehung herstellen können, fühlen wir uns angezogen. Dabei zielen die Gestalter nicht nur auf Neugier, Heiterkeit oder Überraschung, sondern spielen durchaus auch mit negativen Gefühlen wie Ekel, Grusel oder Tabubrüchen. Selbst die Produktnamen werden sorgfältig gewählt, um Käufer in Stimmung zu versetzen: Der Kräutertee heißt „Wohlfühltraum“ oder „Zeit des Glücks“ und wir baden nicht mehr im Jasminschaum, sondern legen uns in ein „Meer indischer Sehnsüchte“. Nicht selten reizen uns auch widerliche Dinge: Jeder Harry-Potter-Fan will alle abstrusen Geschmacksrichtungen der Bohnen testen und ein Grusellutscher mit essbaren Insekten mausert sich rasch zum Partyknüller.
Ist das nun eklig oder genial hintersinnig? „Jeder wird beim Betrachten der Exponate etwas anderes empfinden“, meint Heidrun Jecht, neue Hausherrin des Museums beim Markt, die auch die Sonderausstellung kuratierte. Die unterschiedlichen Objekte sind bestimmten Gefühlsinseln zugeordnet. Manches erheitert oder macht glücklich, liegt also im Bereich Wohlbehagen, aber einige Exponate rufen auch Unbehagen hervor, Ärger oder Ekel. Designer suchen Alleinstellungsmerkmale, um sich von der Massenproduktion abzusetzen, der kleine Schreck wird durchaus eingeplant. Hab ich mich da verguckt, mag sich manch Besucher ungläubig fragen, der vor einer Unterhose mit Schleifspur steht.
Hier wird absichtlich Ekel als Abwehr eingesetzt, denn das Objekt dient als Geldsafe. Darin lässt sich unbekümmert die Urlaubskasse verstecken, die klaut so schnell keiner. Neugier spielt ebenfalls eine große Rolle. Wenn wir etwas nicht zuordnen können, versuchen wir herauszufinden, was es mit dem Objekt auf sich hat. „Jeder Mensch“, erklärt die Kunsthistorikerin Jecht, „muss auf neue Reize reagieren und abschätzen, ob das Ding gefährlich wird oder nicht.“ Die evozierten Gefühle werden in Begleittexten aus psychologischer Sicht erklärt. Somit ist diese Ausstellung nicht nur eine spannende Entdeckungsreise in die Welt des modernen Designs, sondern auch eine wechselvolle Achterbahn der eigenen Gefühle. Wie kommt wohl die makabre Sterbebettwäsche beim Besucher an?
Josephine Hempel und Nina Schmidt haben sich allerlei letzte Wünsche ausgedacht. „Die Arbeit entstand im Rahmen des Projektes „Das Böse“ unter Leitung von Werner Holzwarth an der Bauhaus Universität Weimar“, erinnert sich das Designer-Tandem und erläutert: „Jeder Teilnehmer sollte selbst bestimmen, was für ihn das Böse ist. Es gab auch ganz bissige Souvenirs, wie die Kerze in Form der Anna-Amalia-Bibliothek oder das Jesus-Set zum Selbernageln. Unsere Arbeit „Servus? Bettwäsche für Sterbenskranke“ bedeutet einen Tabubruch. Wir bewegen uns damit auf einem schmalen Grat zwischen bitterem Ernst und schwarzem Humor. Durch die Provokation wird der Betrachter zum Nachdenken angeregt.“
Es gibt verschiedene Modelle: Ein Set ziert ein Lebkuchenkirmesherz, in dem mit Zuckerguss geschrieben steht: Schlimmer wird’s nimmer, eine andere Garnitur besteht aus Erde, Lehm und Blättern, sieht aus wie ein frisch geschaufeltes Grab. Beim letzten Gang des Lebens sollen unerfüllte Wünsche noch einmal wahr werden. Wie reagierten die ersten Betrachter darauf? „Gemischt“, sagen Hempel & Schmidt „Einige waren sehr entrüstet, andere wiederum fanden die Idee überaus originell und witzig und wollten gleich eine kaufen. Die Bettwäschegarnitur „Ewige Jagdgründe“, die auch in der Ausstellung präsentiert wird, haben wir angefertigt und verkauft. Es gab eine große Anfrage auf die weiteren Garnituren, die wir jedoch aus finanziellen Gründen nicht realisieren konnten.“
Abgebrühte könnten sich neben der Sterbebettwäsche gleich noch den Teppich als Leiche ins Wohnzimmer legen. In Form einer menschlichen Silhouette, wie sie beim Tatort von der Spurensicherung aufgezeichnet wird, entwarf der in Köln lebende Markus Gogolin für seine Firma „Cubeseven“ diese aparten Einzelstücke in Schwarz, Rot, Grau oder Weiß. Sein lebensgroßer Filzteppich heißt übrigens „Crime Scene – Die Innenarchitektin“, tja, wen sähe ein Designer wohl lieber am Boden? Manchmal verkaufen Designer ihre Ideen auch an große Hersteller. Stardesigner Philipp Starck etwa entwarf 1990 seine legendäre Saftpresse für Alessi, heute hat er sein eigenes Label, zu sehen ist hier seine zwiespältige Gun-Kollektion.
Doch es gibt es auch jede Menge Gegenstände zu sehen, die unseren Alltag bequemer, schöner oder einfacher machen – vom Flaschenöffner bis hin zur Tischleuchte, die sich mittels Handy einschalten lässt. So entwickelte Kai Richter, Assistent von Volker Albus, dem Vizedirektor der Karlsruher HfG, die „0176 Leuchten“, bei denen ein Anruf genügt und schon erhellen sie Räume oder schalten sich aus, falls man in der Eile mal wieder vergessen hat, selbst das Licht auszuknipsen. Einige Designer haben großen Spaß an schrägen Produkten wie beispielsweise einer Wachskerze mit einem On- und Offschalter oder einer Porzellanvase in Form einer Wärmflasche. Oftmals überrascht das Material.
Der Hocker Rimini scheint eine gekachelte harte Oberfläche zu haben, doch der in Karlsruhe lebende Designer Markus Graf, Mitgestalter dieser Sonderausstellung, spielt hier mit Erfahrungswerten, die uns täuschen: Drückt man auf die Sitzfläche des Hockers, gibt diese wider Erwarten nach!
Mit einem ähnlichen Überraschungseffekt arbeiten massiv wirkende Stühle, die sich, hebt man sie hoch, als federleicht entpuppen. Manche Exponate müssen also vom Betrachter angefasst, berührt oder benutzt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Kleine, farbige Punkte weisen darauf hin, inklusive kurzer Erklärungen wie „hier bitte pusten!“ – durch die Luftbewegung wird eine Lampe ein- bzw. ausgeschaltet.
Immer häufiger werde der spätere Nutzer in die Gestaltung miteinbezogen, beobachtet Heidrun Jecht. Also liegen im Museum beim Markt bestickbare Porzellantassen neben Taschen oder Schuhen, deren Futter, Größe oder Motiv via Computer nach eigenem Gusto gewählt werden kann. Den ersten Preis des Wettbewerbs „Tomorrow’s Parties“ der Porzellanfirma Kahla gewann die Karlsruher Designerin Katrin Sonnleitner. Von 1999 bis 2006 studierte sie an der HfG, jetzt geht sie den Weg der Selbständigkeit, stellt auf Messen aus und versucht, von Firmen wahrgenommen zu werden. Witzige kleine Holzbroschen zum Selbstbesticken in einem kleinen Set hat sie bereits produziert, und auch von ihrer „Möbelette“ verspricht sie sich noch einiges: Die Fassade entspricht einer normalen Kommode, doch hinter der Holzfronttür ist ein Sack montiert, in den sich alles schnell reinstopfen lässt und von verschiedenen Seiten wieder herausgeholt werden kann.
„Manchmal trägt man seine Sachen direkt auf die Messe, meist sind die Ideen noch nicht mal geschützt“, erzählt die Designerin. Ideen hat sie viele, doch Produzenten zu finden dauert oft lange. Auf Weihnachtskarten, die sie verschickte, erhielt sie Resonanz. Der etwas andere Karlsruher Teppich-Store mit weltweitem Vertrieb, Kymo, nahm ihren „Puzzleperser“ ins Programm. „Ich wollte ein Riesenpuzzle haben“, erinnert sich Sonnleitner „eigentlich puzzelt man immer am Boden. Es sollte liegenbleiben können und betretbar sein, daher ist der Puzzleperser nun aus robustem Kautschuk. Die Motive können individuell gestaltet werden.“ Die Dingwelt will mit den Menschen verbunden werden, meint die aus Nürnberg stammende Designerin. Wenn man etwas mit einem Objekt erlebe, habe es auf einmal eine ganz andere Bedeutung.
Eine Beziehung lässt sich bei ihrem beschreibbaren Porzellan herstellen – kleine Untersetzer, auf denen nette Botschaften überbracht werden können. Hierfür erhielt Sonnleitner den Hauptpreis des Wettbewerbs von Kahla. Das Ganze wird jetzt als Geschenkset mit Stift und Radiergummi auf extra matter Beschichtung in weißem klassischem Design verkauft. Zu sehen und auszuprobieren ist das pfiffige Stück auch in dieser vielfältigen Ausstellung.
Erstmals können Internetuser auch Videopodcasts zur Sonderausstellung anschauen, die alle 14 Tage erneuert werden, es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm, u.a. eine Pantomimenführung mit Peter Herrmann am 3.10. und einen Vortrag des HfG-Professors Wolfgang Ullrich über „Duschgel als Therapie“ am 31.10. Ein schicker Katalog rundet das Ereignis ab. -ub
www.landesmuseum.de
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