Ein starker Gegenentwurf: Wilhelm Loth. Figuration 1949-1989

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 01.06.2021

Unter den Professoren an der Kunstakademie in Karlsruhe hob sich Wilhelm Loth schon dadurch ab, dass er keinem gewöhnlichen Erscheinungsbild entsprach.

Ich erinnere mich an eine Art professionelle Arbeitsmontur, er war ganz in Weiß gekleidet: Hose, eine Art OP-Schürze sowie eine zu dieser Ausstattung passende Kopfbedeckung. Immer, auch in frühen Morgenstunden, zielstrebig unterwegs, entschwand Loth schnell in die Werkstatt. Loth war ein Arbeiter. Das war in den 80er Jahren.

von Karin Kieltsch

Erst am Ende seiner wie auch meiner Zeit an der Akademie, im Jahr 1986, sind wir uns persönlich begegnet. Ich war gerade dabei, mein Studium der Malerei abzuschließen. Meine letzten Bilder vor Ort wurden von Loth interessiert wahrgenommen, traf er doch offensichtlich etwas an, was ihn Zeit seines Lebens und Schaffens elementar beschäftigte: konzentrierte Figurenbilder. Diesmal von einer gerade mal 26-jährigen Studentin gemalt. Wir hatten also ein gemeinsames Thema und so entwickelten sich beim Modellstehen wie selbstverständlich Gespräche über die eigene Tätigkeit. Als junge Künstlerin ein so erfahrenes Gegenüber zu erleben, wertete ich als Geschenk, ich habe es nicht als selbstverständlich empfunden. Ich wusste wohl, dass sein Werk etabliert und vielfach ausgezeichnet war. Sein generelles Interesse am Austausch mit der jüngeren Generation darf man als Bereitschaft eines beständig Interessierten und Suchenden bewerten, der sich nicht ausruhte. Was mich glücklich macht: Loth eröffnete in den späten 80ern meine erste Einzelausstellung und war für mich bis zu seinem Lebensende 1993 ein Freund und Mentor.

Auf der Basis dieser persönlichen Erfahrung begegne ich der aktuell präsentierten Ausstellung von Druckgrafiken und einer kleinen Zahl von plastischen Arbeiten, die in der Städtischen Galerie zu sehen sind, erneut mit großem Interesse. Ich habe vieles gesehen von Loth. Immer wieder überraschen mich Arbeiten, die sowohl den Charakter dieses stringent verfolgten Weges abbilden, aber auch einzelne Arbeiten, die den Hauptweg flankieren, wo Loth experimentell unterwegs ist. Es gibt Einzelblätter, die mich als grafische Erfindung ihrer Zeit einfach beeindrucken. Die Arbeiten zeigen Loths Versiertheit im Umgang mit den traditionellen Drucktechniken des Holzschnitts, der Radierung und der Lithografie. Bei allen Arbeiten merkt man, wie er sein angestammtes Thema der weiblichen Formfindungen nicht nur inhaltlich einbindet, sondern auch durch druckgrafisch neu entdeckte formale Entscheidungen aufzuwerten vermag.

Begegnet man Loths Werk, darf man den zeitgeschichtlichen Hintergrund nicht unbeachtet lassen. Dass er sich als Bildhauer dem geschlechtlichen Gegenüber widmet, ist nicht verwunderlich, aber der Weg, den er wählt, die Formensprache und inhaltliche Absicht, durchaus. Sind es doch die Jahre, in denen sich das Frauenbild in der Gesellschaft notwendigerweise neu zu definieren beginnt und zu einigen Turbulenzen und gesellschaftlichen Umbrüchen führt. Im Übrigen: Loths Denken und Arbeiten ist seiner Zeit offenbar noch immer weit voraus und ein ganz starker Gegenentwurf zur sich aktuell entwickelnden Incel-Bewegung (Involuntarily Celibate). Man staunt und ist erschrocken.

Ich kenne kein anderes Werk, welches in dieser Konsequenz etwas Neuartiges und Charaktervolles im bildhaft Körperlichen sucht und ein „nur“ schönes Frauenbild zurecht infrage stellt. Loth meinte nämlich ganz gewiss nicht nur den Körper an sich, sondern das Wesenhafte, was dieser weibliche Körper sinnbildlich repräsentiert. Loths Werk zielt auf die Wertschätzung des Weiblichen ab und die Potenziale, die nicht mehr nur verborgen sind, sondern längst offensiv zu Tage treten dürfen.
Wer an Loths Werk Interesse gefunden hat, dem sei auch der Besuch des neuen Skulpturen-Gartens am Spanischen Turm in Darmstadt empfohlen: Die Ausstellung in dem neuen, wunderschönen, von einer privaten Kulturinstitution getragenen Park ist wie die Ausstellung in Karlsruhe bis 12.9. zu erleben.

Wilhelm Loth. Figuration 1949-1989, bis 12.9., Städtische Galerie, Karlsruhe

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