ZKM-„Bio-Medien“: Über Robbenroboter, empathische Algorithmen & neue Mitwesen
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 13.02.2022
„OK Google – was sind Biomedien?“
Mein Smartphone antwortet zwar recht klug, aber da wir hier immer noch mit einem gedruckten Magazin operieren, frage ich anstelle von Google lieber Sarah Donderer. Sie ist Co-Kuratorin der von Peter Weibel lancierten und Ende 2021 gestarteten Ausstellung „Bio-Medien“ im ZKM. Darin geht es um die Frage, wie organische und künstliche Lebensformen miteinander zusammenleben könnten.
INKA (Friedemann Dupelius): Was sind Biomedien?
Sarah Donderer: Biomedien sind dynamische Systeme, die lebensähnliches Verhalten aufweisen. Es sind zum Beispiel KI-Systeme, Machine-Learning-Systeme, Quantencomputer oder Roboter. Wir sprechen auch von neuen künstlichen Mitwesen, da wir tagtäglich mit ihnen interagieren. Die Ausstellung „Bio-Medien“ möchte der dystopischen Vorstellung entgegenwirken, dass Technologie oder Robotik den Menschen eines Tages überholen oder beherrschen wird. Stattdessen stellt sich die Frage: Wie kann das gemeinschaftliche Leben mit Biomedien aussehen? Wichtig ist: Biomedien bestehen nicht aus organischem Material – sie sind nicht biologisch, sondern biomimetisch, also lebensähnlich.
INKA: Das heißt, Biomedien sind alle algorithmisch?
Donderer: Das ist kein Muss, aber natürlich stecken hinter KI-Systemen oder Robotern viele Algorithmen. Bewegtbildmedien, also z.B. Filme, haben das Leben bereits simuliert. Im nächsten Schritt kommen nun generative Algorithmen, die sich dynamisch verändern und weiterentwickeln. Wir sprechen dabei auch von künstlicher Evolution.
INKA: Wo haben wir im Alltag bereits mit Biomedien zu tun?
Donderer: Ein Beispiel sind die Sprachassistenzen in Smartphones, Laptops oder Smartspeakern. Durch die Machine-Learning-Systeme, die dahinterstecken, lernen diese ja auch immer weiter. Ein anderes Beispiel sind sogenannten „Bots“ im Internet. Damit setzt sich auch eine Arbeit von Alexander Schubert in der Ausstellung auseinander: Kann man überhaupt noch unterscheiden, ob ich mich auf Social Media mit einem Menschen befreunde oder einem Computerprogramm, das sich menschenähnlich verhält – also einem Bot? Andere Arbeiten in „Bio-Medien“ sind spekulativ: Wir zeigen z.B. eine Smartwatch von Aristarkh Chernyshev, die in Symbiose mit dem Menschen lebt, sich von dessen Blut ernährt und darüber Informationen über den Gesundheitszustand des Menschen erhält.
INKA: Die Ausstellungsbeschreibung stellt die Frage: „Können künstliche Lebensformen empathisch sein?“ Welche Antworten gibt es darauf?
Donderer: In der Ausstellung gibt es sehr viele interaktive Arbeiten und das nicht ohne Grund: Durch die Interaktion mit Menschen, anderen Lebensformen oder auch untereinander können biomimetische Medien ihr Verhalten anpassen. Für uns Menschen stellt sich da die Frage: Lesen wir Empathie in die Technologie hinein? Oder weist sie tatsächlich empathisches Verhalten auf? Und wenn ja: Welche Bedeutung hat das für den Menschen? Wie reflektieren wir über unser eigenes Empathievermögen, wenn wir plötzlich mit Quallen in einer Virtual-Reality-Installation singen? In einem Raum der Ausstellung fahren 25 kleine Roboter auf dem Boden umher. Da tastet man sich nur langsam vor und versucht, die Verhaltensmuster der Roboter zu lesen. Hier beginnt die Empathie des Menschen gegenüber künstlichen Wesen.
INKA: Wie könnte ein ganz praktisches Zusammenleben mit künstlichen Lebensformen aussehen?
Donderer: Die Robbe Paro ist tatsächlich schon relativ bekannt. Das ist ein Pflegeroboter in Form einer Robbe, der mit Menschen interagieren kann, und wird z.B. in Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Demenz eingesetzt. Die Menschen kommunizieren nicht nur mit dem Roboter, sondern er fördert auch die Kommunikation zwischen ihnen. Mit der Arbeit von Yves Gellie zeigt „Bio-Medien“ auch eine künstlerische Arbeit zum humanoiden Pflegeroboter Nao. Es müssen aber nicht nur Menschen sein, die mit Biomedien zusammenleben. In der Arbeit „PL’AI“ von Spela Petrič ist eine Gurkenpflanze an ein Machine-Learning-System angeschlossen, das ihr Wachstum überwacht, dabei von ihr lernt und sich ihrem Tempo anpasst.
INKA: Wird der Begriff „Natur“ irgendwann obsolet, wenn wir zunehmend verschränkt mit Biomedien zusammenleben?
Donderer: Da schließen wir an die Ausstellung „Critical Zones“ von Bruno Latour an, die im Januar im ZKM zu Ende gegangen ist. Aus dem Standpunkt der sogenannten kritischen Zone betrachtet, ist diese Trennung zwischen Natur und Mensch missverständlich und obsolet geworden. In der kritischen Zone koexistieren unterschiedliche Organismen und die nicht lebende Materie in einer Art Symbiose zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Mit „Bio-Medien“ bringen wir jetzt diese künstlichen Organismen mit in die Diskussion: Wie entwickeln wir uns gemeinsam in einem Netzwerk von Interdependenzen? Wie müsste man Technologie anders denken oder entwickeln?
INKA: Sind Biomedien in Zukunft vielleicht einfach Natur? Also gehört ein Machine-Learning-System dann ebenso zur Natur wie ein Baum?
Donderer: Das ist noch nicht ausdiskutiert. Bislang ist „Natur“ als etwas Abgetrenntes konnotiert, das der Mensch bearbeiten und beherrschen kann. Man könnte den Begriff umnutzen und wirklich alles, was aus Mineralien, Erdstoffen, oder auch gentechnisch hergestellt ist, als „natürlich“ bezeichnen, denn das Material kommt ja aus der Natur. Die bisherige Trennung in „künstlich“ und „organisch“ wird sich wahrscheinlich immer mehr auflösen.
INKA: Die Ausstellung wird von einem Aktivierungsprogramm begleitet. Was kann man darunter verstehen?
Donderer: Seit der Ausstellung „Open Codes“ ist es ein Gedanke vom ZKM, die BesucherInnen zu aktivieren, selbstständig zu arbeiten und zu diskutieren. Dafür gibt es viele hybride Formate und Workshops, die von der Ausstellungsszenografie als eins konzipiert wurden. Es gibt viele grüne Flächen in der Ausstellung, damit wir interaktiv mit Greenscreen-Technik arbeiten können. Eine ZKM-Ausstellung ist nicht einfach fertig, sondern bleibt durch die Auseinandersetzung mit den Themen dynamisch und relevant.
bis 28.8., ZKM-Lichthof 8+9, Karlsruhe
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