„Kultur hat nicht die Lobby, die sie verdient“

Popkultur // Artikel vom 23.07.2020

Corona-Krisengipfel auf der Substage-Terrasse mit den Bookerinnen Fabienne Stocker & Vivien Avena.

Der Schlachthof-Musikclub hat einen alarmistischen Hilferuf gesendet. Im Jahr seines 30. Geburtstags steht das Substage vor der Insolvenz, sollten auch im Herbst keine regulären Veranstaltungen stattfinden können. INKA-Redakteur Patrick Wurster hat die Substage-Bookerinnen Fabienne Stocker und Vivien Avena zum Corona-Krisengipfel auf der Café-Terrasse getroffen.

INKA: Ihr habt errechnet, dass trotz zweier „Substage Soli Shows“, der Crowdfunding-Aktion „Save Substage Karlsruhe“, Kurzarbeit, gewährter Corona-Soforthilfe, Einsatz städtischer Zuschüsse und sämtlicher Rücklagen aus den vergangenen 30 Jahren „ohne weitere erhebliche Zuwendungen“ zum 1.12. Konkurs angemeldet werden muss. Bitte skizziert die Schieflage eines Musikclubs nach über drei Monaten ohne Veranstaltung.
Vivien Avena: Wir waren die ersten, die ihre Türen schließen mussten und wir werden mit die letzten sein, bei denen wieder Normalität einkehrt. Vielen ist gar nicht bekannt, dass sich unser gemeinnütziger Verein mit zwölf angestellten MitarbeiterInnen trotz städtischer Förderung zu 90 Prozent aus Eigenmitteln finanziert. Im März sind dann von einem auf den anderen Tag sämtliche Einnahmen weggebrochen. Mit rund 200 Veranstaltungen auf zwei Venues und 56.000 Besuchern pro Jahr hat das Substage hohe Fixkosten von monatlich 45.000 Euro, die Instandhaltung des Gebäudes tragen wir selbst. Unsere angesparten Rücklagen sind so in Windeseile geschrumpft. Von städtischer Seite haben wir die Zusage – in unserem Fall durch die Fächer GmbH –, dass uns die monatliche Gebäudemiete von 6.000 Euro bis 30.9. gestundet wird.
Fabienne Stocker: Wenn die 1,5-Meter-Abstands-Regelung bestehen bleibt, könnten wir mit max. 100 Besuchern rechnen, das entspricht einem Zehntel unserer Kapazität. Wirtschaftlich arbeiten lässt sich so nicht – wir legen drauf, wenn wir aufmachen. Abgesehen davon: Wir haben im Gegensatz zu einem Theaterhaus keine feste Bestuhlung und spielen dazu meist Musik, bei der man üblicherweise eher nicht stillsteht. Im Kulturring haben wir ausgerechnet, welche Institution wann nicht mehr liquide ist – und wir waren mit der Alten Hackerei eine der ersten, für die es in absehbarer Zeit unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr weitergeht. Derweil buchen wir weiterhin KünstlerInnen für Konzerte im nächsten Jahr, nutzen das Off für Renovierungsarbeiten und überlegen uns neue Gastrokonzepte fürs Café. Außerdem sind wir gerade im Verbund mit dem Kulturring dabei, ein gemeinsames Open Air auf die Beine zu stellen: „Toujours Kultur!“

INKA: Der kommunale Rettungsschirm kommt – inwieweit kann das Substage von der Milliarde des mit „Neustart Kultur“ betitelten Kulturinfrastrukturfonds profitieren und ist das über den Kulturbetrieben in ganz Deutschland ausgeschüttet nicht nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein?
Stocker: Wir haben bisher Folgendes erhalten: einmalig 30.000 Euro Corona-Soforthilfe vom Land und seit April Kurzarbeitergeld. Für die nähere Zukunft sind beantragt: 12.000 Euro Neustart-Hilfeprogramm für die Infrastruktur vom Bund sowie 100.000 Euro Überbrückungshilfe, ebenfalls vom Bund. Diese Maßnahmen wären sehr hilfreich, um unsere Existenz weiterhin zu sichern. Entscheidend ist aber der Zeitpunkt, wann die Kulturbetriebe regulär ohne Abstandsregelung wieder öffnen können. Umso weiter sich dieser Termin nach hinten verschiebt, desto wahrscheinlicher, dass diese Maßnahmen ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Ich sehe durchaus, dass die Kultur nicht als erstes kommt, dass es Bereiche gibt, in denen es noch stärker brennt – und dabei möchte ich die Automobilindustrie explizit ausnehmen, von der die Kulturschaffenden als Wirtschaftsfaktor übrigens nicht allzu weit entfernt sind. Aber ich bin überrascht, wie wenig man sich auf Bundes- und Landesebene im Klaren ist, welche Rolle der Kulturbetrieb gesamtgesellschaftlich innehat und wer und was da alles dranhängt. Das beginnt bei den begrenzten Möglichkeiten, in diesem Risikogeschäft überhaupt Rücklagen zu erwirtschaften und geht bis hin zu den über 430.000 Soloselbstständigen. Das wurde anscheinend maßlos unterschätzt. Aber es ist wie bei Kindern und Familien: Auch die Kultur hat in diesem Land offenbar nicht die Lobby, die sie verdient.
Avena: Dafür ist die regionale und überregionale Wertschätzung, die wir über unsere Soli- und Crowdfunding-Aktionen erfahren durften, der Wahnsinn! Das spricht auch für eine gewisse Relevanz – wir sind nach 30 Jahren eine feste Größe innerhalb der deutschen Musiklandschaft. Über 50.000 Euro Spendengelder sind schlussendlich aus der Startnext-Kampagne, den Soli-Shows und durch private Spenden – sogar aus unserem eigenen Team – zusammengekommen. Das freut uns sehr und ist definitiv ein Ansporn, um weiterzumachen. Aber letztlich bleibt der finanzielle Druck natürlich bestehen und wir hangeln uns weiterhin von Monat zu Monat – in der Hoffnung einer echten wirtschaftlichen Öffnungsperspektive. Für uns ist ein Aus unvorstellbar, und die Frage ist ja: Kann es sich der Karlsruher Kulturbetrieb erlauben, ausgerechnet im Jubiläumsjahr das Substage an Corona zu verlieren?

INKA: „Schön, dass sich die Kultur selbst hilft“, vernimmt man aus dem Rathaus, Kultur-BM Käuflein ist gegen einen bepreisten städtischen Topf mit Hilfsgeldern und will jeden Einzelfall betrachten, der Gemeinderat hat euch jetzt eine Existenzsicherung zugesagt. Wie kommentiert ihr das?
Stocker: Wir fühlen uns schon wahrgenommen mit unseren Problemen und sind in gutem Austausch mit dem Kulturamt sowie einzelnen Gemeinderäten. Darüber hinaus hat das Kulturamt den Kulturring bei der Beantragung von Fördergeldern für den vom Land ausgeschriebenen „Kultur Sommer“ unterstützt.

INKA: Damit sollte von Mitte Juli bis Mitte September die vom Kulturring bespielte Schlachthof-Open-Air-Bühne „Toujours Kultur!“ finanziert werden. Der Konzertantrag wurde abgelehnt – im Gegensatz zum Antrag der Kinemathek, die zusammen mit dem Studentischen Kulturzentrum am KIT als Ausrichter des „Stummfilm-Festivals“ fürs „Toujours Kultur!“-Kinoprogramm sorgt. Das Festival findet dennoch statt, wenn auch in ev. abgespeckter Form. Warum wurden zwei Anträge gestellt und welche Gigs steuert das Substage bei?
Avena: Leider hat der Kulturring die Ausschreibung nicht gewonnen – umso mehr freuen wir uns, dass die Stadt das Kulturring-Open-Air „Toujours Kultur! / Piazza del Cinema“ mit 35.000 Euro bezuschusst und wir damit die Möglichkeit haben, trotz Corona einen Festival-Vibe zu schaffen. Die Kulturring-Mitglieder hatten gehofft, dass sich die Chancen erhöhen und ein Antrag bewilligt wird, wenn wir Konzert und Film trennen, was sich letztlich auch bewahrheitet hat. Der Substage veranstaltet u.a. eine Klavier-Matinee mit Florian Christl am So, 19.7., Curly am Fr, 7.8. und Mess Up Your DNA am Fr, 21.8.

INKA: Was sagt ihr zur Gutscheinlösung für bereits gekaufte Tickets statt einer sofortigen Rückzahlpflicht?
Stocker: Wir hatten bisher das Glück, dass neben den Subways und La Pegatina nur zwei kleine Café-Konzerte komplett ausgefallen sind. Aufgrund der teilweisen Zusammengehörigkeit von Ticketfirmen wie z.B. CTS Eventim und den jeweiligen Konzertagenturen müssen wir mit verschiedenen Systemen arbeiten und daher mit jeder Agentur individuell eine Lösung finden. Wir haben uns bei unserem eigenen Anbieter Reservix dazu entschieden, die Leute auszuzahlen. Weil es erstens unsere finanzielle Lage nicht transparenter macht, mit Gutscheinen zu operieren und wir zweitens nicht denken, dass es für den Kunden die beste Lösung ist. Die Ticketumsätze der anstehenden Shows sind nicht in unsere Liquidität eingerechnet. Das ist ja nicht unser Geld, in der Regel gehören mindestens 50 bis 60 Prozent der Agentur und der Band. Aber wir hoffen natürlich, dass die Leute von der „Ticketbehalten“-Aktion gehört haben und die Stornofrist verstreichen lassen.

INKA: Andere Karlsruher Kulturplayer wie der Jazzclub oder das Kohi fahren das volle i.d.R. kostenlose Streamingprogramm, um im Gespräch zu bleiben. Ist das nicht ein netztypischer (Aus-)Verkauf völlig unter Wert?
Avena: Wir haben einige Konzerte regionaler Künstler von der Substage-Bühne gestreamt und werden das auch weiterhin tun. Darüber hinaus überlegen wir, künftig einen Mix aus Publikum plus Streaming anzubieten. Aber auch wenn die Musikbranche das jetzt forciert, sehe ich aktuell keine funktionierende Paysolution. Livemusik lebt nun mal davon, gemeinsam einen besonderen Moment zu erleben – und zwar vor Ort, ohne Abstand und Auto.

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