Lethargie Energie: Karlsruher Clubkultur im Spannungsfeld

Clubkultur // Artikel vom 02.03.2022

Wie steht es um die Clubkultur in Karlsruhe?

Warum ziehen immer wieder junge, kulturaffine Leute weg, die sich hier scheinbar nicht verwirklichen können? Emma-Lilo Keller (Foto: Sebastian Heck) geht diesem Phänomen in „Lethargie Energie“ nach. Für das Buch interviewte die Grafikdesignerin, die an der HfG studierte, 18 Personen – Karlsruher Clubbetreiber von Gotec bis zur Hackerei stehen neben Politik und Citymarketing, und auch auswärtige Stimmen kommen zu Wort. Friedemann Dupelius, der mit unserem Themenchef Florian Kaufmann ebenfalls befragt wurde, drehte den Spieß um und hakte für INKA nach.

INKA: Mit der Veröffentlichung von „Lethargie Energie“ bist du jetzt tatsächlich von Karlsruhe nach Berlin gezogen. Hat das mit den Themen aus dem Buch zu tun?
Emma-Lilo Keller: Ausschließlich. Ich war lange Verfechterin von „Make Karlsruhe great again“. Ich dachte, hier kann man selbst noch viel erreichen. Die Strukturen sind einfacher, man kennt sich. Leider waren die Gespräche mit der Stadt sehr ernüchternd. Andere Städte legen wesentlich mehr Wert auf Club- und Subkultur. Meine Erkenntnis war: Die Stadt braucht und will es nicht. Dann braucht man es ihr auch nicht aufzwingen.

INKA: Welche ähnlich große Stadt wie Karlsruhe siehst du als Positivbeispiel?
Keller: Z.B. Mannheim. Dort wird der Hafen kulturell genutzt, mit mehrtägigen Festivals, die eine große regionale Strahlkraft haben. Auch die Stadt Ludwigshafen hat vergangenes Jahr riesige Summen in das „Blies Festival“ für elektronische Musik gesteckt. Diese Städte haben das Potenzial erkannt, arbeiten damit, und – ganz wichtig – mit lokalen AkteurInnen zusammen! Natürlich gibt es dabei auch in Mannheim Probleme, Gentrifizierung etwa, aber insgesamt ist die Stadt viel lebendiger. Es ist viel mehr los als in Karlsruhe, das sich Kulturstadt nennt.

INKA: Sollte man sich als Kulturaktivist mehr mit der Politik vernetzen?
Keller: In Karlsruhe braucht man auf jeden Fall Connections zu den einzelnen Leuten, am besten im Stadtrat. Da war das Interview mit Lutz Leichsenring von der Clubcommission in Berlin – der ja ursprünglich aus Karlsruhe kommt – sehr erhellend für mich. Die Clubcommission, die sich für die Belange von Clubs in Berlin einsetzt, hat sich dort hochgearbeitet bis zu Politikern innerhalb der Parteien. Man kann nicht einfach nur schreien: „Ich will ’nen Club!“, sondern muss sich mit den Strukturen vor Ort auseinandersetzen. Es braucht Arbeit, Zeit und Energie, um sich den Leuten in der Politik vorzustellen und ins Gespräch zu kommen.

INKA: Kann man es Leuten auch vorwerfen, das nicht zu tun?
Keller: Darüber habe ich mich oft mit Freunden gezofft. Wenn man da doch schon so eine Leidenschaft hat – warum dann nicht auch dafür kämpfen? Einen Verein gründen? Sich zusammenschließen? Den Dialog suchen? Andererseits haben etwa Leute vom KIT während ihres Studiums gar nicht so viel Zeit und Geld, um sich zu investieren, den Minijob schleifen zu lassen und in die Politik zu gehen. Das ist auch ein Privileg. Und leider haben mir die Politiker aus dem Stadtrat, die ich angeschrieben hatte, nicht geantwortet.

INKA: Was macht die Clubkultur in Karlsruhe aus?
Keller: Für so eine kleine Stadt gibt es eine große Community, die sich mit Musik auseinandersetzt. Für mich es aus, dass man sich hier gemeinsam inspiriert und etwas aneignet – z.B. das Auflegen oder wie man eine gute Party gestaltet. Und es ist auch alles extrem selfmade. 2019 haben wir eine Gesprächsrunde in der Fettschmelze zum Thema Türpolitik und Awareness organisiert. Das war richtig unprofessionell, aber mit einer guten Absicht. Die Fettschmelze war unser Dreh- und Angelpunkt in Karlsruhe, daran haben wir alle zusammen herumgeschraubt. Andererseits habe ich auch das Gefühl, dass das Publikum oft gar nicht so viel von einer Party erwartet. Vielleicht bin es ja nur ich, die sich da etwas wünscht?

INKA: Ist das Buch auch interessant für andere Städte?
Keller: Absolut. Es geht ja nicht nur darum, was in Karlsruhe am Kronenplatz geht. Wenn im Buch Orte genannt werden, versteht man ungefähr, welche Rolle sie im Gesamtkontext einnehmen. Die Thematik des Buchs lässt sich auf jede Stadt übertragen. Letztendlich geht es darum, welchen Stellenwert Clubkultur in einer Stadt hat. Warum braucht es Freiräume? Warum ist Clubkultur wichtig? Wer investiert die Energie?

„Lethargie Energie“ lässt sich beziehen über keller@ato.vision

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