Biss zur letzten Rübe – Landlieblingsplätzchen (Dezember 2022)
Stadtleben // Artikel vom 01.12.2022
Trüffel für alle – und zwar sofort!
Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Nach einem Jahr Karlsruher Gourmet-Szene balanciert Hucke nunmehr auf den Strahlen der Kompassrose ins Offne. Während der klassische „Tagesausflug“ einst einen durchaus bedrohlichen Beiklang hatte, heißt das heute ODV: One Day Vacation! Gegenüber einer Flugreise nach Paumotu bietet der Ein-Tages-Urlaub jede Menge Vorteile: Er ist kostengünstiger, du kannst den Genusspegel schon vorab nach Belieben einstellen, und wenn du mal abstürzt, dann höchstens in die Arme deines Lieblingskellners.
„Morgen, Kinder, wird’s nichts geben. / Nur wer hat, kriegt noch geschenkt. / Mutter schenkte euch das Leben. / Das genügt, wenn man’s bedenkt.“ Es war ja nicht alles schlecht. Auch die Massenverelendung hatte stets ihr Gutes: Der Sinn der einfachen Leute wird wieder nach dem Wesentlichen ausgerichtet: nach Wahrheit, Schönheit, den allerletzten Dingen. Vielleicht sogar nach Gott! Und nach Erich Kästner, diesem Romantiker des Alltags, der die letzten Zwanziger für so viele ertragbar gedichtet hat. „Mit solchen Straßen bin ich gut bekannt. / Sie fangen an als wären sie zu Ende. / Trinkt Magermilch, steht groß an einer Wand. / Als ob sich das hier nicht von selbst verstände.“ Komisch, solche Straßen gibt’s immer noch. Sogar ganz neu gebaute Straßen sehen oft so aus. Durch ebensolche wollen wir uns heute hinausbewegen aus grauer Städte Mauern und aufs Land ziehen. Juchhe! Zumindest für einen Nachmittag: um hamstern zu gehen. Und in schmackige Hofläden.
Die gibt es reichlich in der Pfalz und im Kraichgau, ein paar auch im Flachland rings um Karlsruhe, und in diesen von braven Bauersleuten geführten Schuppen, Scheunen und Garagen hat es viel günstiges Wintergemüse – hoffentlich! Denn manche erkannten schon vor Jahren, dass ihre Kundschaft doch eher aus Edelbetuchten besteht, immer auf der Suche nach guter Ware, noch besser öko, am allerbesten autochthon und exklusiv. In dem Zusammenhang: 50 Prozent. Das ist viel, oder? Ganz genau, 50 Prozent mehr Menschen müssen seit Jahresbeginn bei den Tafeln anstehen, die wiederum viel weniger zu verteilen haben, seit die Lebensmittel so teuer geworden sind. Vielleicht finden wir ja trotzdem was, in besagten Läden, was wir uns leisten können?
Traditionell wird aus winterlichen Sorten Arme-Leute-Essen gewonnen. Fast alle jene Gerichte tendieren von sich heraus nach Fleisch: Grünkohl (Mettwurst), Steckrüben (gebratene Blutwurst), Himmel und Erde (Leber), Karotten-Stambes (Kotelett), Petersilienkartoffeln (kalte Fleischwurst). Was, wie? Ihr wisst nicht, wie Petersilienkartoffeln gebastelt werden? Das ist nicht gut. Also: Ihr kocht Pellkartoffeln ab. Währenddessen stellt ihr eine Einbrenne her – sprich Butter auslassen, Mehl einrühren, mit Wein ablöschen, Sahne bzw. Milch aufgießen – immer schön quirlen, dann kommt nach Belieben Gemüsebrühe hinzu, Salz, Pfeffer, Muskat, Senf. Der Trick: Die Hälfte der feingeschnittenen Petersilie habt ihr schon mit der Butter durchgeschmurgelt, die anderen Hälfte kriegt jetzt mit den Kartoffeln (in Scheiben) ihren Auftritt. Alles schön heiß werden lassen. Viel Riesling dazu trinken.
Am einfachsten zuckelt ihr in einer dieser Straßenbahnen Richtung Bruchsal, Untergrombach, Odenheim oder so. Da ist die Hofladendichte am höchsten. In der Gemüse-Pfalz vielleicht nicht minder, aber da kommt ihr nicht so einfach hin. Was für ein Winterausflug! Aus den Stofftaschen schaut bald der Lauch und innen drin zerquetscht der Literriesling die Birnen. „Magie des Winters“ nennen das die Touristiker gerne, um die Leute auch bei Scheißkälte rauszulocken. Wir sollten ein paar Kopeken übrighaben, um danach eine dieser Besenwirtschaften zu konsultieren. Über die Jahrzehnte haben zahlreiche Vollgastronomen gemeckert, weil die Besen ihre Spätzle und Süpple und Würstle und Kräutle halt viel günstiger anbieten. Mittlerweile haben viele Restaurants ohnehin zu und mehre Besen bzw. Straußen sind Richtung Edelfress abgebogen.
Bei den Hofläden lässt sich ein paralleles Phänomen verzeichnen – je nachdem, wo sie vorkommen. Im feinen Heidelberg etwa sind das richtige Feinkostgeschäfte, wo man auch vor der Trüffel nicht zurückscheut. Ach so, ja richtig, Weihnachten! Wer sich den Braten spart, darf Trüffel reiben. Viel zu teuer? Die Schlingel von der Trüffelmanufaktur Offingen haben da so Sachen entwickelt, die liegen preislich weit unter dem Üblichen. Aus dem Anlass: Vorschlag für euer Weihnachtstrüffelmenü!
Ihr habt doch dran gedacht, beim Hofladen Kartoffeln und Pastinaken einzukaufen? Wenn ihr daraus eine Cremesuppe herstellt, ist das eine Cremesuppe. Sobald aber ein Stück Trüffelbutter drin schmilzt, wird eine Heiligabend-Vorspeise daraus… Nicht anders bei den Nudeln, die als Hauptgang auf dem Gabentisch dampfen. Mehrere Möglichkeiten: Tagliatelle mit etwas Nudelwasser in Trüffelbutter und Parmesan wenden und / oder getrüffelte Belper Knolle (elf Euro, hält ewig) drüberraspeln… Oder aber ihr macht einfach Trüffelspätzle. Supermärkte führen oft so Minigläschen mit Trüffelchen drin, das ist zwar hinterletzte Wahre, hat aber tatsächlich, vor allem durch den Sud, im Endeffekt beinahe das gewünschte Aroma. Dazu serviert ihr am besten Salati mit ein paar Esskastanien drin. In dulci jubilo!
Und zum Nachtisch? Kuchenreste. Warum denn das? Weil bestimmt jemand aus Erich Kästners „Fliegendem Klassenzimmer“ vorliest, das weihnachtlichste Buch von allen. Und da kauft sich der Matz immer so Kuchenreste beim Bäcker. Wovon er groß und stark wird. So wie ihr.
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