Biss zur letzten Rübe – Landlieblingsplätzchen (Oktober 2022)
Stadtleben // Artikel vom 29.09.2022
Margit heißt heute Marie
Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Nach einem Jahr Karlsruher Gourmet-Szene balanciert Hucke nunmehr auf den Strahlen der Kompassrose ins Offne. Während der klassische „Tagesausflug“ einst einen durchaus bedrohlichen Beiklang hatte, heißt das heute ODV: One Day Vacation! Gegenüber einer Flugreise nach Paumotu bietet der Ein-Tages-Urlaub jede Menge Vorteile: Er ist kostengünstiger, du kannst den Genusspegel schon vorab nach Belieben einstellen, und wenn du mal abstürzt, dann höchstens in die Arme deines Lieblingskellners.
Die Jugend hat immer recht. Dies mag wohl wahr sein. Ob das Alter derselben Meinung ist? Nicht immer. Unter den Zuschriften, die wir nach Veröffentlichung unseres Sommerausflugsaufsätzchens „Marie heißt heute Margit“ erhielten, befand sich eine ungewöhnliche, die nicht nur Jubel und Gemecker enthielt, sondern – ja was? Eine Gegendarstellung! In dieser Form hätten wir nicht damit gerechnet, und um den Dialog zwischen den Generationen auf friedsame Weise zu befördern, drucken wir den Brief hier komplett ab. Schönsten Dank, liebes Ehepaar Trutschler, Sie haben uns jede Menge Arbeit erspart!
„Sehr geehrte INKA, mit Befremden haben wir den in der Doppelausgabe August/September von diesem Hucke vermutlich frei und ganz bestimmt schlecht erfundenen Bericht über ein ach so „hippes“ (früher war das Säuglingsnahrung) Pärchen, das Rentner spielt, gelesen und für mies befunden. Der Beitrag hat pejorativen Charakter, ist mit einem Wort altersfeindlich und bedient Vorurteile in der Art, ältere Männer seien Chauvinisten. Ich und meine Frau sehen das naturgemäß anders. Ich habe ihr sofort gesagt, dass wir da was machen müssen. Aus diesem Grunde nun unser Artikel über einen Tag, an dem wir, 83 (ich) und 79 (sie) Jahre alt, Jugend spielen. Vielleicht interessiert es Sie, dass ein Grund für unseren Brass darin liegt: Ich heiße tatsächlich Ludwig und meine Frau Margit. Ach wie lustig, sich darüber lustig zu machen – welch ein Niveau, Herr Hucke…
Aus Kostengründen blieben wir zu Hause. Unser Ziel: auf preisgünstigste Weise drei jener Gerichte zuzubereiten, mit denen sich heutzutage junge Menschen die Gesundheit ruinieren – allerdings in der Art, dass etwas den Körper Kräftigendes dabei entstehe, das überdies nahrhaft und sättigend sei. Meine Vorbereitungen – das von der Natur geschenkte Abpflücken von Walnüssen und Äpfeln und Aufsammeln von Bucheckern – waren hierzu leider nicht dienlich, da diese köstlichen Nahrungsmittel von der Jugend missachtet werden. Stattdessen zog meine Frau Margit (heute Marie, was für ein Flittchen-Name) sexualisierte Tussi-Mode an (es pfiff ihr niemand hinterher), derweilen ich mir mein Bärtchen nach Hipster-Art frisierte, ein ausgeblichenes Holzfällerhemd anzog und meine Manchesterhose, die ich sonst nur zum Arbeiten benötige, bis zum After hinabstülpte, sodass ein fesches Maurerdekolleté entstand. Unser Tagesausflugsziel hieß Discounter.
Für insgesamt 12,55 Euro erwarben wir die Basisprodukte für das „Junk-Food-Event.“ Tribut an die kulinarische Einfalt unserer Nachkommen, sollte das „Menü fatal“ bestehen aus Pizza, Börger (schon das Wort klingt nach Kotze), Dönner – wir bevorzugen die der Aussprache entsprechende Schreibweise. Marie, die ihr schwarzes Shape-Hösle immer wieder am Verrutschen unter die spitzen Hüftknochen hindern musste, übernahm die Interpretation der Pizza. Dafür setzte sie einen Pfannenkuchenteig an, wobei sie für zwei Personen nur ein Ei benötigte; H-Milch ist immer noch günstig, was daran liegt, dass man Bauern wie Kühe gleichermaßen quält. Die goldbraune Herrlichkeit, ausgebacken in echter Margarine, wurde mit Scheiben von Tomaten aus Bruder Rolfs Garten belegt, Scheibenkäse drauf und statt Basilikum ein paar Liebstöckelblätter. Ich sage Ihnen, junger Mann: So etwas hat Neapel noch nicht gesehen!
Für meinen Börger schnitt ich ein deutsches Kaiserbrötchen auf und beschmierte es mit mittelscharfem Senf. Beidseitig, aber innen. Statt der Paddys (ich dachte immer, das wären Iren) verwendete ich zwei gute Scheiben Sülzwurst, im Preise heruntergesetzt. Die Böger-üblichen Gewürzgurken konnten so bleiben, außerdem schnitzte ich ein paar Zwiebelringe – köstlich! Roh genossen, fördern sie die Darmtätigkeit und enthalten wertvolles Diphosphatribunukleinpyramidol – falls Sie das noch nicht wussten. Jetzt fehlte nur noch der Ketchup; echtes Tomatenmark ist viel gesünder und außerdem stärker im Geschmack.
Gemeinsam machten wir uns an die Fabrikation eines Billig-Dönners. Das war die größte Herausforderung; Fladenbrot lehnen wir nicht grundsätzlich ab, eingedenk der Waffenbrüderschaft von El-Alamein. So entschieden wir uns für eine vegetarische, sprich süße Variante. Meine Frau backt ja so guten Biskuitteig, da hatten wir noch einen eingefrorenen, den tauten und schnitten wir zu zwei Dritteln auf. Inzwischen war ich in den Keller hinabgetaucht, um ein Glas Stachelbeeren zu holen, aus einem guten Jahrgang. Die ließen wir abtropfen, gaben sie in die biskuitene Pitatasche und taten reichlich Schlagfit drüber. Gesättigt vom Mittagmahl, futterten wir unseren Designer-Dönner nach dem Mittagsschläfchen. Hierzu luden wir die echte Marie nebst ihrem Lars ein – der Hucke hatte sie doch nicht erfunden, sie waren echt. Insgesamt ganz reizende junge Leute. Es war eine fröhliche Kaffeetafel.
Unser Fazit: Ja, die Gerichte der Jugend entbehren nicht eines gewissen Genusswerts, wenn man sie richtig interpretiert. Hierzu hoffen wir einen vielleicht vorentscheidenden Beitrag geleistet zu haben. Recht guten Appetit, Ihre Marie (jetzt wieder Margit) und Ihr Lars (endlich wieder Ludwig: ein echter Name und kein Vorabendserienkokolores).“
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