Biss zur letzten Rübe – Shopping King (Juli 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.07.2024

Amalfi, Amalfi! Das Gegenteil von Zitrone

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Es gibt eine sagenhaft widerliche Fernsehserie, der ich sehr dankbar bin. Ohne zu zögern, zeigt diese verkommene, den Himmel erzürnende Rich-Bitch-Familie G. Aktionsorte für den kommenden Aufstand: Hinfahren, aneignen. Fairteilen. Da machst du nichts falsch. Folge 126 ist schon vergeben. An mich. Amalfi, Amalfi! Diese klobigen Villen interessieren mich einen Schmarrn. Plündern, anzünden, alles okay. Aber die Zitronen! Es ist das Gegenteil davon, was wir im Laldi im Netz kriegen.

Selbst die Bio-Dinger im Almaviva oder so haben nichts mit diesen hochsensiblen gelbgoldenen Persönlichkeiten zu tun. Auf Meeresterrassen werden sie seit der Antike gehegt. Kostbar wie weiße Trüffel und alles, was in den soeben abgefackelten Villen zu sich genommen wurde. Wenn ihr auf eurer Yacht da vorübersegelt, werdet ihr den Duft vernehmen. Gute Amalfi-Zitronen duften 30 Kilometer weit.

Und bei uns so? Gestern Nacht in der S-Bahn gab’s viel Pisse, aber auch viele Pommes. Das badische Nachtvolk nennt so was „Bruchsaler Vesperplatte“, das Berliner „Schlimme Stippe“. Noch Hunger? Ich könnte stundenlang so weitermachen. Nicht, weil ich ein Ekel wäre… Es geht um die Skills der Ridikülisierung: Mächtige kannst du lächerlich machen wie alles Ekelhafte – für ÖPNVler ein Mittel, um den Leberwurststinker gegenüber, die quakende Apfelfresserin, den Rasierwasserbomber, der immer, immer, immer neben dir Platz nimmt und sich in sein Fastfutter tunkt, aushalten zu können.

Nahrung ist Lebens-, gute Nahrung Überlebensmittel. Kochen wir mit einem Zitronenrisotto nicht an gegen die Zumutungen des Daseins? Denn die Dialektik der Zitrone erweist sich im Gebrauch: „Der Saft interessiert uns nicht“, meint Herr Lafer. Ob uns Herr Lafer interessiert oder nicht: Es geht bei fast allen nur um die Schale… Es sei denn, wir bekommen (s.o.) echte Amalfi-Zitronen (s.u.).

Zum Beweis drei Rezepte. Für Risotto ist es jetzt zu heiß, aber nächtliche Linguine sind erlaubt: Die heißen Nudeln in eine Pfanne voll heißen Olivenöls voll Knoblauch geben, etwas Nudelwasser, Wein, dann Zitronenabrieb, -saft, Petersilie, Parmesan, Fenchelsamen und Salz nebst Pfeffer drunter ziehen. Gehobelte Zitronen mit Olivenöl, weißem Balsamico, Salz, Pfeffer und etwas Honig marinieren. Stunde im Kühlschrank reicht. Che insalata! Gebacken? Geht auch: Dickere Scheiben, denen das Fruchtfleisch entwendet wurde, auf Backpapier legen, mit Mozzarella, Kirschtomate und Sardelle füllen, bei 180 Grad ca. 15 Minuten backen. Manche schmeißen die Schale weg. I net.

Der Kasten

Manchmal hat auch euer Italia-Laden die echten. Andernfalls bleibt nur bestellen. Wenn der Kasten ankommt – welch ein Fest! Bei Obstwelt, Naturkost Spittelberg, Obstbrüder, OGO-Express, Braqs oder Trübenecker könnt ihr die richtigen kriegen. Sogar das weiße Zeugs zwischen Schale und Saft lässt sich verwenden. Ein Glück, denn es ist viel dicker als normal. Aber was ist schon normal? So eine grüngelbe Runzel, umhüllt von Gift. Die kostet im Vergleich zu Amalfi ein Zehntel. Mal ohne Quatsch: Da schmeckt ihr jede Kopeke.

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