Biss zur letzten Rübe – Shopping King (Mai 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.05.2024

37 Grad – Die Frischkäsin von der Flachalpe

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Der Dresdner Christstollen ist ausgelistet. Die Münchener Weißwurst schrumpft in sich zurück. Der Hessische Handkäse wird gesprengt. Milch bleibt sowieso verboten. Also richtige Rohmilch: wegen Salmonellen und so. Selbst, wenn keine drin sind. Das mit der Milch stimmt sogar; Stollen, Wurst und Käse sind Metaphern, damit wir uns besser vorstellen können, was wir unserer wichtigsten badischen Spezialität angetan haben. Unvorstellbar: Es gibt fast keinen Frischkäse mehr! Ich meine jetzt nicht das Schmierakel aus der Alupackung, sondern dies zartrunde Schneewittchen, Orchidee unter den Käsen, zwischen Lörrach und Ladenburg Jahrhundertausende nebenbei produziert. Noch vor wenigen Jahren, wenn ich im Schwarzwald herumgetrielt bin – wandern konnte man das nicht nennen – gab es den sog. Renchtäler Rahmkäse in jeder Hütte. Sogar in Weinstuben wie dem Baden-Badener Baldreit ward er mit Selbstverständlichkeit aufgetragen… und mit Zwiebelchen, Kümmelchen sowie Paprikapülverchen. Und Wein halt.

Wie gesagt: unvorstellbar… Überall im Südwesten lag ein Mostfass im Keller, und überall schimmerte der purste aller Käse, ein Sterneniveaugenuss, mit Butterbrot gefuttert oder mit Brat- bzw. Pellkartoffeln. Seit eine Großmolkerei damit aufgehört hat, sind es sehr wenige nur, die das Welterbe bewahren, siehe „Der Kasten“. Verzweifelte haben alles gewagt und sind Internetanweisungen gefolgt, haben Milch auf 37 Grad erwärmt und Labessenz hineingeträufelt – um hinterher so eine fieselige, grisselige Masse zu erhalten, aus der nimmermehr eine ehrliche Käsin wird: Weil halt die Milch „behandelt“ wurde. War sie krank? Übrigens, nicht verwechseln: Rahmkäse kommt meistens als so etwas Schmieriges daher, „halbfest“ und mit einer Rinde, ojemine, wer da aus Versehen mit den Fingern drankommt… Es gibt da einen Reim aus dem Odenwald: „Die eine Hand am Butterfass, / Die andre am Gesäß, / So geht bei uns in Albersbach / Der gute Albersbacher Käs.“ Capiche?

Überhaupt, wie traurig sieht es aus mit den Käsereien im Umland! Der Ziegenkäse von Voorhoeve aus Oberderdingen – dahin. Die heilige Käsemarie vom Auenhof zu Bauschlott – abgereist. Umso eifriger sollten wir die wenigen Aufrechten durch Treue und Appetit beglücken, damit nicht auch sie noch… unvorstellbar! Denn in Hofläden wie Schleinkofer oder im Baumbachhof bekommen wir auch ein richtiges Brot dazu; eins von denen eben, in die Kinder hineinbeißen auf dem Heimweg, und niemand schimpft, weil es unmöglich ist, nicht hineinzubeißen. „Retour à l’état de nature!“ Damit hat Rousseau bestimmt auch so was gemeint. War ja Franzose.

Der Kasten

Hofgut Schleinkofer/Rüppurr. Direkt gegenüber: Beckers Hofladen, da hat’s die Originale aus der Käserei St. Vinzenzhof/Sinzheim. Baumbachhof/Kleinvillars. Nusslocher Ziegenkäsehof. Ulmenhof Unterlengenhardt… und im Ramsteinerhof Hausach fertigt Oma Elfriede sowohl Rahm- als auch Bibileskäse. Von dort aus einfach weiterfragen, wer in der Ortenau noch so was macht. Ein paar Hofladenomas bis in den Schwarzwald gibt’s noch, die ihr käsiges Handwerk beherrschen.

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