Biss zur letzten Rübe – Shopping King (November 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.11.2024

Yo, MuckefuckerInnen – let’z Malz!

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

„Glms.“ Gelingt euch die Produktion von Vokalen vor 9 Uhr? Ein „Örchs“ bekomme ich gegen halb Zehn hin. Aber nur, wenn mein ESD funktioniert hat: mein „Emotional Support Drink.“ Namens Kaffee. Benannt nach dem Königreich Kaffa in Äthiopien, wo ein Hirte das Rösten erfand: Der Überlieferung nach hat er auf den Samen eines der 124 Rötegewächsarten herumgekaut und war von dem Geschmack derart angekotzt, dass er sie ins offene Feuer rotzte. Oh, wie lieblich stieg da das Verwöhnaroma auf! Den allerersten Kaffee hat bekanntlich der Engel Gabriel dem Propheten Mohammed gebrüht. 1492, als erst mal Schluss war mit dem Islam in Spanien, sprach die Mutter des Letzten von Granada: „Weine wie eine Frau um das, was du nicht wie ein Mann hast verteidigen können.“ Gentle Parenting geht anders.  200 Jahre später kam der Türkentrank zurück nach Europa. Seitdem gilt: Hochkultur entsteht aus Wein und Kaffee, Ausnahme Bier. Voltaire schlürfte 70 Tassen Mokka am Tag. Allerdings vergreiste er früh und beschrieb Karlsruhe als Garten Eden. Als: „Asyl der Ruhe.“ Und was machen wir hier mit unserer paradiesischen Zeit? Gehen wir erst mal einen Kaffee trinken. Man ist richtig froh, wenn alles ohne die Posen der Baristavirtuosen abgeht. „Nein, ich möchte keine Feenwimpern auf meine Crema geschwabbelt bekommen, danke!“

Warum schreibe ich das alles auf? Weil ich mich vor dem Thema drücke. Ersatzkaffee schmeckt grau. Kaum aufgebrüht, ziehen Schwaden aus grauer schlechter Laune durch den Raum. Leider, ich habe keinen Testsieger vorzustellen; ungeachtet mauer Hipster-Moves, entfaltet sich gar nichts aus Zichorie, Gerste, Eicheln, Wicke, Erdmantel und – ihr Himmel! – sogar Mohrrüben und Spargeln. „Lasst die Spargeln leben!“, möchte man die Hände ringen. Dass wir zu so Marken wie Kathreiner oder Lindes ein nostalgisches Verhältnis aufgebaut haben, liegt am Design. (Bitte wieder den Darboven auflegen: „Koff, leicht filtrierbar.“) Nur eine kann ich empfehlen: Altreier Lupine. Südtirol. Allerdings warnt Aktivist Hartmann Varesco: „Wer Standardaromen gewohnt ist, wird damit nicht viel anfangen können.“ Bleiben wir beim Kaffee. Grülz.

Der Kasten

Bürokratischer Impressionismus hat den Fachbegriff „kaffeeähnliches Heißgetränk“ ermonstert und unterscheidet zwischen Ersatzkaffee, Malzkaffee, Getreidekaffee, Zichorienkaffee und – tatsächlich – Muckefuck. Also, es ist ähnlich wie beim Fleisch: Ersatzprodukte schmecken oft komisch, sind aber um Galaxien umweltfreundlicher als das Original. So weisen gebrühte Substitute selbstverständlich eine viel bessere Ökobilanz auf als das vakuumverpackte Gift plus Bauernsterben der transnationalen Konzerne. In jedem Bioladen gibt es einigermaßen günstigen Bohnenkaffee, oftmals Eigenmarken. Wer als ITler die Gesellschaft abzockt, möge doch wenigstens unsere sauteuren lokalen Miniröstereien unterstützen. Soll es aber etwas anderes sein als Omas „echter Bohnenkaffee“, dann einfach alte Spezialitäten ausprobieren: Die o. e. „Voltruier Lupine“ kann über die Famiglia Cooperativa die Cavalese bezogen werden. Klar, auch die schmeckt ein bisschen ürms, ist aber immerhin autochthon. Wrxl!

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