Biss zur letzten Rübe – Shopping King (Oktober 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.10.2024

Pizza (Foto: Roger Waltz)

Mit einer Zuckerart! Pizza…

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Vor gut 100 Jahren, ihr erinnert Euch, machte das Dadaphon von sich reden. Du sprachst etwas hinein und, na gut – hinten kam der tollste Unsinn raus. Wolltest du etwa mit einer Pizza anbandeln und sagtest: „Hallo Pizza, ich mag deine schwarzen Sommersprossen!“, verwandelten sich deine Worte: „In der Eisflasche gefrieren die Turteltauben.“ So wurde das natürlich nichts. Mitte der 50er in Paris erfand Durufle den Desperator. Wenn du beim Bäcker „zwei von diesen fiesen Punschschnitten“ erwerben wolltest, kam das so raus: „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig!“ Doch auch der Existenzialismus ging dahin. Seit den 80ern setzt sich der Diffusator durch, und der regiert noch heute. Z.B. auf Pizzatiefkühlpackungen: Von Natriumnitrit über Milchsäurebakterienkulturen (immerhin ein Rest von Kultur!) bis zur allseits geliebten Dextrose ist da alles drin. Toll! Nur, wo bleibt die Pizza? Werden wir ehrlich: Keine Tiefkühlpizza schmeckt. Selbst wenn der Teig aus Formvorderfleisch besteht und der Käseersatz aus naturidentischen Knusperbrezeln: Auch auf dem heißen Stein wird nimmer eine Pizza draus.

Es tut mir ja leid, aber diese neue Menschenart, die auf zwei Rädern durch den Starkregen eiert und hinten einen würfelförmigen Auswuchs aufweist, dreimal so schwer wie man selber, muss rückgezüchtet werden. Bis so ein Hefeteigfladen bei dem eintrübten Pärchen eintrifft, das schon vor Jahren von seinen Jogginganzügen aufgefressen wurde und seither in würdeloser Urschleimtrance dahinvegetiert, hat die Lieferpizza den Geschmack von Zellstoff angenommen. Nur eine Möglichkeit bleibt: Mach. Sie. Selber. – Äh, anstrengend, kein Plan, will nich… Was hast du da gemurmelt, O Lurch?

Höre (alle Pizzaioli lesen bitte weg!): 500 Gramm Mehl, ein Esslöffel Salz in Schüssel. In Tasse einen Hefewürfel krümeln, bissel Zucker dazu und etwas von 250 Milliliter lauwarmem Wasser. Wenn sich der Sabsch aufgelöst hat, alles zusammen mit drei Esslöffeln Olivenöl mischen, mit Küchenhandtuch bedecken, 40 Minuten an einem warmen Ort rumstehen lassen. In der Zeit passierte Tomaten aus dem Glas oder gestückte aus der Dose mit Salz, Pfeffer, Oregano würzen. Den Teig auf bemehltem Brett zart kneten, auf Backpapier breitquetschen: von Hand! Dünn etwas vom Tomatenmatsch verteilen (aus dem Rest Tomatensuppe kochen, okay?), Mozzarellascheiben drauf, etwas Olivenöl… und bei 220 bis 250 Grad ca. 12,375 Minuten backen. Es ist nicht die beste Pizza der Welt. Aber es ist eine. Isch schwör.

Der Kasten

Eine Mio. TK-Pizzen produziert Wagner am Tag, Dr. Oetker noch viel mehr. 13 Stück mampft jedes Einwohnerchen D-lands pro Jahr. Kein Vergleich zu den USA, da sind es 13 Kilo – schafft nicht mal Italien (die futtern frische): nur 7,6. Das „Deutsche Tiefkühlinstitut“ jubelt, jeder Haushalt verzehre 100 Kilo Tiefgekühltes; vor zehn Jahren waren es noch 60. Was schließen wir daraus? Faule Säcke überall. Bei einer TK-Pizza haben wir 27 Inhaltsstoffe gezählt. Am wenigsten hatte noch Gut & günstig. Ach ja, wo warst du denn Ende August, Deutsches Tiefkühlinstitut, als mir in der Dachwohnung die Kokosmilch explodiert ist, hä? Das haben wir nun da davon (s.o.).

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