Chefsache

Stadtleben // Artikel vom 15.04.2008

Die Stadt sei auf der Kulturlandkarte Deutschlands nun deutlich präsenter als vor dem Wettbewerb, gab sich OB Heinz Fenrich kurz nach Karlsruhes gescheiterter Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas überzeugt.

"Mit Recht!" - um das Motto der teuren Bewerbungs-Kampagne noch einmal in Erinnerung zu rufen - das hat eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie ergeben. Laut der Studie, die 2007 im Auftrag der Stadtmarketing Karlsruhe GmbH erstellt wurde, bringen heute tatsächlich ganze vier Prozent der Befragten den Begriff "Kultur" mit Karlsruhe in Verbindung. Acht Jahre zuvor waren es nur kümmerliche drei Prozent gewesen.

Das sei immerhin eine Steigerung von über 33 Prozent, könnten Optimisten anführen. Nur reicht das bisher erreichte offensichtlich nicht um im Wettbewerb mit attraktiven Großstädten zu bestehen. "Deutschlands lebendigste Städte" suchte kürzlich die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" zusammen mit der Unternehmensberatung Roland Berger und wurde in Baden-Württemberg gleich zweimal fündig.

Welche Merkmale lassen eine Stadt attraktiv erscheinen?

Mannheim belegte Platz acht der urbanen Rangliste, die Schwabenmetropole Stuttgart rangierte gar direkt hinter Gesamtsieger München. Bisher wurden weder die Quadrate- noch die Landeshauptstadt häufig für Lebensqualität oder pulsierendes Nightlife gerühmt - was also sind hier die Merkmale die eine Stadt attraktiv sein lassen? Genannt werden Technologie, Talent und Toleranz.

Nur bei ausgewogenem Zusammenspiel dieser Trias gedeihe ein innovatives urbanes Umfeld, von dem sich Vertreter der nach dem amerikanischen Urbanisten Richard Florida so genannten kreativen Klasse, etwa Ärzte, Anwälte, Werber, Künstler oder Ingenieure, angezogen fühlten. Es verwundet nicht, dass hierbei neben attraktiven Arbeitsangeboten und Anregungen aus Bildung und Wissenschaft das kulturelle Angebot eine mindestens ebenso große Rolle spielt.

Während Karlsruhe mit seiner Universität, die sich in der Exzellenz-Inititative des Bundes durchgesetzt hat und nun eine von drei Elite-Hochschulen Deutschlands ist, dem ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie und innovativen Unternehmen durchaus über technologische Power verfügt und bei den beiden erstgenannten Faktoren also gut aufgestellt scheint, steht es mit den vermeintlich weichen Faktoren, die in den Toleranzbegriff einfließen, eher schlecht.

Subkultur und Off-Szene sind Gütesiegel kreativer Klasse

Dabei stehen weder mangelnde Integration ausländischer Studenten - deren Anteil beträgt an der Fridericiana 2007/2008 19,04 Prozent und ist traditionell hoch - oder Neigung zum Extremismus im Fordergrund, sondern die Erkenntnis, für die Standortentscheidung der kreativen Klasse sei es offenbar wichtiger, dass die Stadt ihrer Wahl eine gute Subkultur und Off-Szene mit Clubs, Kleinkunst, Konzerten und Tanz hat, als dass sie über international  renommierte Opern- und Konzerthäuser – die lägen meist eher der städtischen Administration am Herzen – verfügt.

Und siehe da: Stuttgart punktet nicht nur mit Weltfirmen wie Daimler, Porsche oder Bosch bei Technologie und Talent, sondern ist auch bei den vermeintlich weichen Faktoren klarer zweiter Sieger. Im Wettbewerb der Städte um den Zuzug der klügsten Köpfe, eine Grundvoraussetzung für den Wohlstand ihrer Bürger, ist und bleibt "Freie" Kultur ein harter Standortfaktor.

Der Schlachthof in Wiesbaden zeigt, wie's geht

In diesem Licht betrachtet erscheint die von der Karlsruher Politik offenbar nur noch halbherzig und unter rein monetären Gesichtspunkten betriebene Konversion des ehemaligen Schlachthofgeländes zum Kreativpark umso kurzsichtiger. Ein solcher könnte sich bei den richtigen Weichenstellungen zu einem weithin beachteten kulturellen Zentrum mit Leuchtturmwirkung entwickeln. Als leuchtendes Beispiel gilt der ehemalige Schlachthof in Wiesbaden, der sich Dank rustikalen Flairs aber guten Sounds, trotz vergleichsweise geringer Kapazität, zu einem waren Magneten für internationale Bands entwickelt hat und zahlreiche Besucher selbst aus dem Badischen anlockt.

Die Chance, überregional bekannte Firmen aus dem kulturnahen Gewerbe - wie Baden-Württembergs größte private Musikschule Intakt und den deutschlandweit tätigen Musikalienhändler Rock Shop - anzusiedeln wurde in Karlsruhe bereits vertan. Immerhin hat OB Fenrich nun den Streit um die Finanzierung von mehreren hunderttausend Euro, die von den Kulturvereinen Tollhaus und Substage für den Fall einer zukünftigen Bebauung des benachbarten Messplatzes als Ablöse für Parkplätze aufzubringen wären (wir berichteten), weitgehend entschärft.

"Bei einer anderweitigen Nutzung des Grundstückes (Messplatz, Verf.) und dem dadurch bedingten Wegfall der Stellplätze werden die Stadt und das Tollhaus bzw. Substage einvernehmlich nach anderweitigen, einem Gemeinnützigen Verein gemäßen, sinnvollen Lösungen suchen", heißt es in einer Vereinbarung. Somit sind einige der gröbsten Hindernisse für Erweiterung und Umzug von Tollhaus und Substage beseitigt. Es bleiben die Mietvorstellungen der städtischen Fächer GmbH, deren Höhe sich bereits mehreren Interessenten als unter Marktgesichtspunkten "nicht erklärbar" darstellte.

"Es ist utopisch, den Kulturbetrieb so auch nur kostendeckend zu betreiben"

Durch die Bank auf Unverständnis stößt außerdem der von durchweg allen Kunden des Kreativparks beklagte Umstand, dass in von der Fächer GmbH nach erfolgreichen Verhandlungen neu formulierten Vertragsentwürfen stets vorher unerwähnte kostenträchtige Details auftauchen. Das Substage beispielsweise soll am neuen Standort eine um ein mehrfaches höhere Miete als zuvor plus Instandhaltungskosten zahlen.

"Utopisch" nennt Geschäftsführer Gérald Rouvinez-Heymel die Annahme, man könne den Kulturbetrieb unter diesen Umständen auch nur kostendeckend betreiben. Anstatt in Zukunft von einer potentiell größeren Auslastung zu profitieren, wäre man nach Stand der Dinge laut Heymel auf erheblich mehr Förderung aus dem städtischen Kulturetat angewiesen - um die Forderungen einer städtischen GmbH zu befriedigen, wohlgemerkt. Über eine Erhöhung der Fördergelder berät der Kulturausschuss im Juni, danach entscheidet der Gemeinderat. "Noch vor der Sommerpause", hofft Heymel. -mex

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 5 und 1.

WEITERE STADTLEBEN-ARTIKEL