Das Prinzip Kraud

Stadtleben // Artikel vom 26.12.2010

Wenn Yvonne Fehling und Jennie Peiz sich ans Reißbrett setzen, um ein neues Möbel zu entwerfen, gelten keine Regeln mehr.

Das Karlsruher Designerduo liebt das Widersprüchliche; ihre Produkte gehen weit über die goldene Bauhaus-Regel „form follows function“ hinaus. Sie schöpfen aus dem Komplementären und bewegen sich dabei haarscharf an der Grenze zur Bildenden Kunst. Sitzgelegenheiten wie die „Still lives“-Gruppe, drei hautfarben-lederne Hocker in Form lebensgroßer Schweine, erinnern uns mit einem Augenzwinkern an das Vorleben unserer Wohnzimmereinrichtung.

Da steht ein Nutztier in harmlos-natürlicher Pose im Zimmer, das uns sonst nur in hochgradig abstrakter Form als Schnitzel, Mantel oder eben Sofa begegnet – und wir sind zeitweilig unschlüssig, ob wir uns setzen, staunen, turnen oder kuscheln sollen. 2006 gründeten Yvonne Fehling und Jennie Peiz, die beide an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung diplomierten, ihr gemeinsames Studio und das Produktlabel Kraud, das Produkte kennzeichnet, die sie in Eigenregie mit viel Liebe zum Detail in Deutschland herstellen lassen. Seither strapazieren sie lustvoll den traditionellen Designbegriff.

Die meisten Entwürfe profitieren von eben jenem irritierenden Moment, der deren doppelter Bedeutung oder Nutzung innewohnt. Da wird der Flokati zum kuschelig-vielschichtigen Aufenthaltsort oder die in Form und Status unverkennbare Plastiktüte durch simplen Materialaustausch zur Ledertasche und damit zum stilsicheren Understatement. Die „Super-Light“-Deckenleuchte erinnert mit ihrem mehrere Meter langen und formschön um die Fassung gewickelten Kabel ein bisschen an Spaghetti auf der Gabel und hebt sich dadurch angenehm von dem polierten Stilminimalismus eines Deckenfluters ab.

Der seidene Textilmantel lässt außerdem viele farbige Variationen zu. Darüber hinaus entwickeln Fehling&Peiz Konzepte und beteiligen sich an Ausstellungsprojekten. Die zur Reihe gereifte „Stuhlhockerbank“ hat es sogar bis ins Museum geschafft: Im 2007 eröffneten Arp Museum Bahnhof Rolandseck installierten die zwei Gestalterinnen verschiedene Modelle als Sitzgelegenheiten für matte Besucher. Die äußerst heiteren Möbelstücke verschmelzen Stuhl, Hocker und Bank zu immer neuen Konstellationen.

Mal verbinden sich viele Hocker zu einem unauflösbaren Knäuel, mal scheinen sich eine schlichte Holzbank und beliebig im Raum angeordnete Stühle zu einer kuriosen siamesischen Einheit zu vereinigen. Das kleinste Modell der Stuhlhockerbank besteht aus lediglich zwei überlagerten Stühlen. Über ihren funktionalen Charakter hinaus amüsieren solche Designs mit einer narrativen Komponente.

Sie nötigen uns auf charmante Art einen Dialog mit unserem Gegenüber ab – ein isoliertes Nebeneinander ist hier nicht möglich. Für die Lissabonner Ausstellung „Experimentadesign“ entstand 2009 u.a. ein Tisch, dessen Innerstes nach außen gekehrt war – beziehungsweise alles, was sich im Laufe der Zeit so auf einem Tisch ansammeln kann, unter der Tischplatte. Ob als Kunst gewordenes Design oder künstlerisches Nutzobjekt, in jeden Fall sind die Projekte ein willkommener Ausfallschritt in eine unerwartete Richtung. -fb

Yvonne Fehling & Jennie Peiz, Durlacher Allee 60, Alter Schlachthof / Direktorenhaus, 76131 Karlsruhe, Tel.: 0177/162 95 30, 0179/945 98 56
www.kraud.de
www.super-light.de

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 5 und 2?

WEITERE STADTLEBEN-ARTIKEL