Einzelhandel auf dem Rückzug – was wird aus der City?

Stadtleben // Artikel vom 05.10.2021

„Es ist traurig, was um uns herum passiert“, sagt Annette Wahl von Hut Nagel auf der Kaiserstraße.

„Um uns herum stehen immer vier oder fünf Ladengeschäfte leer.“ Tatsächlich wurde die Zahl der Ladenschließungen in der Karlsruher Einkaufsstraße in den vergangenen Monaten zunehmend unübersichtlich: Schuh Danger, Dielmann, Intimissimi oder S. Oliver, um nur einige zu nennen. Besonders die Schuhbranche war besonders getroffen. Silvia Tomanelli vom Schuhhaus Görtz hofft, „dass wir noch ins neue Jahr kommen, aber dazu muss viel zusammenkommen“, sagt sie frustriert, aber gibt sich trotz allem kämpferisch. Ohne den Onlineshop hätten sie schon lange schließen müssen, sagt Tomanelli. „Warum der Kunde noch auf die Kaiserstraße kommen soll, weiß ich nicht.“ Die Kaiserstraße sei wie eine „Geisterstadt, kaum Menschen, keine Bäume und keine Bänke“. Auch die anderen Einzelhändler auf der Kaiserstraße hadern mit einer rückläufigen Kundschaft. „Wir spüren deutlich den Frequenzrückgang“, sagt der Geschäftsführer von Papier Fischer, Constantin Hatz.

Zwar helfe der eigene Onlineshop dem Geschäft, doch „um uns herum haben wir aktuell nur Baustellen und von links und rechts nur Leerstand“. Nicht alle Einzelhändler leiden so stark unter der rückläufigen Frequenz. „Das mittlere Segment ist weggebrochen. Die Menschen kaufen entweder günstig oder hochwertig, wir haben uns auf hochwertiges konzentriert“, sagt Peter Schlaile vom gleichnamigen Musikhaus, der sich in einem langfristigen Trend auf dem richtigen Weg sieht. Auch Wahl sieht die Ursachen der mangelnden Attraktivität der Innenstadt „nicht nur in der Abwanderung ins Internet, das ist schon auch Karlsruhe-spezifisch. Durch die vielen Baustellen kommen die Menschen nicht mehr in der Stadt.“ Von gleich „zwei Umbrüchen“ für die Stadt, spricht der Karlsruher City-Manager Frank Theurer. Die Bauarbeiten für die U-Strab und die Folgen der Corona-Pandemie haben die Unsicherheit bei vielen Einzelhändlern erhöht, sodass sie auch aus Altersgründen ihre Geschäfte aufgaben.

Die Schließungen seien für die meisten Kunden „verheerend“, sagt Martin Selter, der Filialleiter des Original Jeans Store. Trotzdem versucht er das Positive zu sehen: „Die Kaufkraft ist noch da. Bei einer sinkenden Zahl von Geschäften wird das Stück vom Kuchen für die verbleibenden Läden größer.“ Für die Wissenschaftlerin Hanna Schramm-Klein ist das Urteil dagegen klar: „Leerstände machen unattraktiv. Die Menschen reagieren darauf nach dem Muster, wenn andere hier nicht einkaufen, mache ich das auch nicht.“ Doch eine zusätzliche Gefahr sei klar belegt: „Ein Leerstand zieht relativ schnell weitere Leerstände nach sich.“ Dieser als Trading Down bekannte Effekt sorgt auch dafür, dass Leerstand mit weniger werthaltigen Ladengeschäften verhindert werden soll. „Ein-Euro-Shops oder Versicherungsläden sind vielleicht besser als ein Leerstand, aber es ist klar erforscht, Gleiches und Gleiches gesellt sich gerne“, sieht die Handelsexpertin dann eine langfristige Abwertungstendenz für die gesamte Innenstadt. In Karlsruhe wird der über lange Jahre dominante Einzelhandel zunehmend von gastronomischen Angeboten ersetzt. Die Einzelhändler sehen darin keine Lösung.

„Wenn nur noch Donuts, Burger und Döner kommen, wird die Innenstadt zunehmend unattraktiv. Wer soll denn die ganzen Burger essen?“, fragt Hatz. Dadurch komme niemand extra nach Karlsruhe. „Gastronomie brauchen wir nicht noch mehr“, pflichtet Selter bei und auch Schramm-Klein warnt vor dem Trend, Leerstände mit Gastronomie füllen zu wollen. Mit steigenden Verweilzeiten in der Gastronomie senke sich der Radius der Kunden. Zudem gäbe es „im wahrsten Sinne des Wortes Sättigungseffekte“. Dabei wird der Rückgang des Einzelhandels in der Innenstadt weiter zunehmen. „Schon lange heißt es, ein Drittel aller Geschäfte werden langfristig schließen. Durch den durch Corona verstärkten Trend zum Onlinekauf geht man inzwischen davon aus, dass es noch mehr wird“, sagt Schramm-Klein. Die Zukunft der Innenstadt läge in einer „Nutzungsdurchmischung mit deutlich weniger Einzelhandel“.

Die Einzelhändler wünschen sich kulturelle Belebung, temporäre Pop-up-Stores und Mut. „Ausstellung der Kunsthochschule oder künstlerische Projekte für zwischendurch – das wäre toll und würde Leben bringen“, sagt z.B. Wahl und sieht Immobilienbesitzer, Wirtschaftsförderung und Citymarketing in der Pflicht. Auch Theurer meint, „die Innenstadt muss deutlich mehr als Gesamtraum für Shopping, Aktionen, Verweilen und Genießen betrachtet werden“. Konkret nennt er Kultur und Handwerk, Spielmöglichkeiten für Kinder oder die Stadt als Bühne für Kurzdarstellungen. Doch für viele Angebote sei die Innenstadt schlicht „leider noch zu teuer“, sagt Hatz. Auf Seiten der Immobilienbesitzer spürt Stefan Fackelmann den wachsenden Druck. Der Geschäftsführer der Verwaltungsgesellschaft des Verbands der Immobilieneigentümer Haus und Grund sieht die Innenstadtimmobilien „noch nicht im Sturzflug, aber die Lage ist schwierig“.

Vielfach seien die Mietkonditionen bei Vertragsverlängerungen nicht mehr zu halten. Mit Blick auf ein leerstehendes Ladenlokal sagt er: „Früher hätten wir locker 100 Euro pro Quadratmeter verlangen können. Heute sind wir froh, wenn wir 30 Euro bekommen.“ Die Nachfrage ist deutlich zurückgegangen, „außer von Shisha-Bars, da haben wir viele Anfragen“. Zwar hätten sich einige Immobilienbesitzer mit geringeren Mieten in der Zukunft abgefunden, doch es gäbe auch „andere Eigentümer, gerade von außerhalb, verstehen das nicht“. Doch für Hatz ist klar, „die Vermieterseite muss von der Miete runtergehen, damit sich neue Angebote ausbreiten können“ und wird dabei von Schramm-Klein unterstützt: „Wenn sich alles über den Markt regelt, wie lange können Mieten dann so hoch bleiben?“

Doch auch der stationäre Einzelhandel muss sich verändern. „Einfach einen Laden aufzumachen, sich reinzustellen und zu warten, dass die Kunden kommen – das wird so nicht mehr funktionieren“, sagt Theurer. Schramm-Klein empfiehlt eine Besinnung auf die klassischen Handelsfunktionen, zu den besonders das Angebot im Laden gehöre. „Mein Sortiment muss ich als Händler selbst zusammenstellen und erklären können, sonst bin ich austauschbar.“ Gefordert sei aber auch die Stadtverwaltung. Lagerplätze für die Einkäufe, öffentliche Einrichtungen als Frequenzbringer und angenehme öffentliche Aufenthaltsorte seien nötig. So sieht es auch Hatz. „Alles, was die Aufenthaltsqualität erhöht, ist gut.“ -fk

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 9 plus 3.

WEITERE STADTLEBEN-ARTIKEL