„Energiesparen ist hartes Brot“
Stadtleben // Artikel vom 23.07.2008
Das heftig umstrittene, letztlich nun doch genehmigte Kraftwerk der EnBW im Karlsruher Rheinhafen ist nur eines von rund 40 Kohlekraftwerken, die bundesweit in Planung sein sollen.
In einem Punkt sind sich Gegner wie Befürworter einig: Irgendwoher muss der Strom ja kommen – aber aus welcher Quelle? Fossile Energieträger sind immer weniger verfügbar und werden somit teurer, ihre Verbrennung geht nicht ohne CO2-Ausstoß vonstatten. Ein Verzicht auf den beschlossenen Ausstieg aus der immerhin klimafreundlichen Atomenergie kann den Klimaschützern mit Blick auf die ungeklärte Frage der Müllentsorgung nur mit Bauchschmerzen gefallen.
Im Gespräch mit INKA-Mitarbeiter Denis Elbl äußert sich Dr. Harald Bradke, Leiter des Competence Centers Energiepolitik und Energiesysteme am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe, zu Alternativen und Perspektiven der Energieversorgung.
INKA: Befürworter und Gegner des Karlsruher Kohlekraftwerks scheinen einander unversöhnlich gegenüberzustehen. Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar?
Bradke: Wir wollen aus der Kernenergie aussteigen und haben alte fossile Kraftwerke, die dringend vom Netz müssten. Selbst wenn wir die Hälfte des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien decken – was längerfristig möglich ist – müssen wir uns wegen der anderen Hälfte Gedanken machen. Wenn alte Kohlekraftwerke vom Netz gehen, ist das natürlich besser, als wenn sie weiter betrieben werden. Aus CO2- oder anderen Luftschadstoffgründen wäre es aber wünschenswert, wenn man auf Erdgaskraftwerke setzen würde, möglichst in Form von Kraft-Wärmekopplung, dezentrale Systeme, die auch die Abwärme nutzen. Das ist ein Punkt, den die Gegner den Betreibern der großen, zentralen Kohlekraftwerke vorwerfen: dass man mit Großkraftwerken, die die Abwärme nicht nutzen, das alte System zementiert.
INKA: Warum, glauben Sie, setzt die EnBW auf Kohlekraft?
Bradke: Es heißt, die EnBW habe vor der Entscheidung für das Kohlekraftwerk rund 40 Parameter in ihre Optimierungsrechnung einbezogen. Die Entscheidungsfindung ist sicherlich nicht einfach. Je nachdem wie hoch die CO2-Zertifikatspreise steigen, hat das Einfluss auf den Kohle- und Gaspreis. Gegenwärtig mehren sich die Anzeichen, dass wir den Höhepunkt der Ölförderung überschritten haben, der Ölpreis also weiter deutlich steigt. In dem Zusammenhang steigt auch der Erdgaspreis, so dass es für einen Stromversorger eine riskante Entscheidung ist, wenn er nur auf Erdgas setzt.
INKA: Die Gegner propagieren Gas als Alternative, was die EnBW unter Verweis auf Kosten und Versorgungssicherheit ablehnt. Ist dieser Einwand berechtigt?
Bradke: Erdgaskraftwerke haben die mit Abstand höchsten Wirkungsgrade und können zudem schneller dem Lastverlauf folgen als die eher trägen Kohlekraftwerke, was insbesondere bei einem steigenden Anteil fluktuierenden Stroms aus erneuerbaren Energiequellen wichtig wird. Würden alle alten Gebäude wärmegedämmt – was für die Hausbesitzer hoch rentabel ist – könnte das hierbei eingesparte Erdgas zur Stromerzeugung genutzt werden, ohne zusätzliches Gas zu importieren. Ich denke, es ist tatsächlich wirtschaftliches Kalkül zur Minimierung des Preisrisikos: Die Erdgaspreise sind nicht kalkulierbar und werden deutlich stärker steigen als die Kohlepreise.
INKA: Wird der Kohlepreis aufgrund der starken Nachfrage beispielsweise in China oder Indien aber künftig nicht ähnlich schwer kalkulierbar?
Bradke: Auch der Preis für Kesselkohle ist aufgrund der größeren Nachfrage in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und die Nachfrage in den Schwellenländern und in den Industrieländern, die verstärkt vom Öl und Gas umsteigen, wird ihn weiter steigern. Er wird aber sicher nicht so stark steigen wie Öl und Gas, weil Kohle weltweit besser verteilt ist. Bei konstanter Förderung würde Kohle heute noch rund 150 Jahre ausreichen; bei einer Verdoppelung der Förderung allerdings nur noch 75 Jahre. Wenn die Preise steigen, werden natürlich neue Vorkommen erschlossen, die heute noch nicht wirtschaftlich sind. Dennoch ist auch Kohle nicht unendlich verfügbar. Wie auch bei Öl und Gas wurde die starke Nachfrage vor allem aus China bisher völlig übersehen.
INKA: Brauchen wir überhaupt neue Kraftwerke?
Bradke: Ich glaube nicht, dass es kurzfristig eine Stromlücke gibt, weil man ja die alten Kraftwerke länger laufen lassen kann. Letztlich schaffen wir es aber nicht, schnell genug Strom einzusparen und die Erneuerbaren voranzutreiben, zumal mittelfristig Elektrofahrzeuge als neue Stromverbraucher hinzukommen werden. Wenn man es von der Luftverschmutzung her sieht, kann man natürlich fragen, ob jetzt in Karlsruhe ein neuer Kohlekraftwerksblock gebaut werden muss oder ob man den nicht besser etwas weiter weg stellt: Wir haben bereits ein großes Kohlekraftwerk, eine große Raffinerie, eine große Papierfabrik und daneben Karlsruhe als Zentrum mit vielen Einwohnern. Die Staubmengen und sonstigen Frachten sind zwar pro Kubikmeter wenig, in der Masse aber nicht vernachlässigbar.
INKA: Abgesehen von Feinstaub und anderen Luftschadstoffen produzieren Kohlekraftwerke große Mengen CO2. Wie soll man damit umgehen?
Bradke: An der CO2-Abscheidung wird gearbeitet, auch beim Karlsruher Kraftwerk ist Platz für eine solche Anlage vorgesehen. Ich weiß allerdings nicht, wie und wohin sie das abgeschiedene CO2 transportieren wollen. Es muss endgelagert werden, man könnte es beispielsweise in ausgeförderte Erdgasfelder pressen. Die Technik wird aber erst in rund 20 Jahren großtechnisch einsatzbereit sein. Auch benötigt sie einiges an Energie und Investitionen und erhöht dadurch die Stromkosten. Sicherlich clever, das jetzt vorzusehen, aber ich denke, da sind noch einige Fragen offen.
INKA: Es gibt ein Konzept, wonach die Energieversorgung der USA bis 2050 fast völlig auf Solarenergie umstellbar sein soll. Ist das auch eine Option für Europa?
Bradke: In Amerika halte ich das für machbar, weil es dort ausreichend große Wüstenflächen für konzentrierende Solarkollektoren zur Stromerzeugung gibt. Das klappt in Deutschland aufgrund der diffusen Sonnenstrahlung durch stärkere Bewölkung nicht. Wir müssen in Spanien und Nordafrika aktiv werden, was bereits begonnen wurde. Wenn die Gegner solcher Konzepte sagen, wir müssen autark werden und dürfen uns nicht von außereuropäischen Ländern abhängig machen – wir sind doch schon abhängig vom Import von Energie in Form von Öl, Gas, Uran und größtenteils auch von Steinkohle, wir wechseln doch nur die Energieträger, vom denen wir abhängig sind!
INKA: Wenn Erneuerbare Energien heute an Grenzen stoßen und konventionelle Technik aus Umwelt- und Klimaschutzgründen keine Zukunft haben darf – wo soll der Strom künftig dann herkommen?
Bradke: Steigende Preise für fossile Energieträger und sinkende Kosten für Erneuerbare Energien werden diese mittelfristig wirtschaftlich machen. Bis dahin ist Kraft-Wärme-Kopplung eine gute Möglichkeit. Bei konventionellen Kraftwerken wird über die Hälfte der eingesetzten Energie als Abwärme in den Rhein oder die Luft abgegeben. Diese kann stattdessen zum Heizen genutzt werden, wie es in Karlsruhe bereits im großen Stil geschieht. Die Hausbesitzer müssen aber auch bereit sein, diese Wärme zum Heizen zu nutzen. Vor allem müssen wir aber mit der Stromnachfrage runter. Es hat keinen Sinn, mit teuren Hightech-Solarzellen Strom zu produzieren und den in Glühbirnen und Standby-Verlusten zu verbraten. Es gibt sehr viele positive Beispiele, was wirtschaftlich möglich ist. Das Problem ist, Millionen von Menschen dazu zu motivieren, dabei mitzumachen. Das Einsparen ist ein hartes Brot. Natürlich ist es viel leichter, Strom einfach zu konsumieren, aber die Zeiten sollten eigentlich vorbei sein. Mit Energieeffizienz lässt sich sehr viel machen und viele Beispiele zeigen, dass noch große wirtschaftliche Potenziale brach liegen. Die gilt es zu nutzen.
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