Erhaltungssatzung für die Südstadt – Blindflug beim Wohnungsleerstand

Stadtleben // Artikel vom 01.06.2021

„Das Haus ist bis auf eine Wohneinheit bezugsfrei, welche bis Jahresende ebenfalls freigestellt werden kann. Hierdurch ergeben sich vielfältige Nutzungs- und Vermietungsvarianten.“

So bewirbt eine Verkaufsanzeige ein Mehrfamilienhaus in Durlach. Leerstehende Wohnhäuser sind für Investoren häufig deutlich attraktiver, da renditesteigernde Sanierungsmaßnahmen ohne Mieter deutlich einfacher durchzusetzen sind. „Strategischer Leerstand“ ist der Begriff für den bewusst geplanten Leerstand durch den Eigentümer. Eine andere Anzeige verspricht „ein interessantes Angebot für Investoren, die ihr Geld parken wollen“. Denn in Großstädten steigert sich der Wert von Immobilien nicht nur durch Sanierungen, auch durch Abwarten. Der Preis einer Wohnung in Karlsruhe hat sich laut dem Gutachterausschuss für die Ermittlung von Wohnungswerten zwischen 2010 und 2020 mehr als verdoppelt.

„Vorne stehen zwei Wohnungen leer und im hinteren Haus steht noch eine große Wohnung leer“, berichtet eine Mieterin aus der Augartenstraße. Vor zwei Jahren hatte der neue Eigentümer das Haus gekauft und „wollte im ersten Schreiben gleich die Miete erhöhen und drohte mit rechtlichen Schritten“. Einige Mietparteien hätten die Drohung aber ignoriert und zahlten bis heute die gleiche Miete wie früher. Bald darauf hätte der neue Eigentümer ohne vorherige Information mit Sanierungsarbeiten begonnen, die dann aber nach einem Monat plötzlich gestoppt worden seien. „Seit zwei Jahren ist der Boden im Hof aufgerissen, wir laufen durch den Matsch“, sagt die Mieterin. Sie und einige Mieter wittern eine Vertreibungstaktik des Eigentümers, der sich auf INKA-Anfrage nicht äußerte.
„Für uns ist ein Leerstand fast nicht ermittelbar“, sagt Martina Hillesheimer von der Bürger-Gesellschaft der Südstadt. „Da hängt mal nur eine Gardine am Fenster, daraus lässt sich aber nichts schließen. Es muss schon sehr heruntergekommen sein, um sicher zu sein, dass ein Leerstand vorliegt“, beschreibt sie die mühsame Suche. Bei einer Begehung des Bürgervereins habe sie im Stadtteil trotzdem „einiges an Leerstand gefunden“. Mehr als ein Dutzend Mehrfamilienhäuser in der Südstadt stünden ganz oder teilweise leer, wie ihr später auch das Liegenschaftsamt bestätigt hätte. „Ich glaube, es gibt noch viel mehr Leerstand“, sagt Hillesheimer, der aber Möglichkeiten zur Ermittlung und offizielle Daten fehlen.

Aktuelle Zahlen über den Wohnungsleerstand liegen der Stadtverwaltung nicht vor. Zuletzt wurden Daten darüber im Zensus 2011 erhoben, wonach zu diesem Zeitpunkt in Karlsruhe 3.542 Wohnungen leerstanden. Die daraus resultierende Leerstandsquote von 2,3 Prozent aller Wohnungen läge unterhalb der „für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt allgemein üblichen Fluktuationsreserve von drei Prozent“, hieß es aus der Stadtverwaltung. Neuere Daten seien erst 2024 nach dem nächsten Zensus zu erwarten. Zum derzeitigen Leerstand von Wohnungen und Mehrfamilienhäusern könne „mangels Daten keine Aussage getroffen werden“.

Auch andere Kommunen tun sich bei der Erfassung des Leerstands schwer und finden doch Wege, Indikatoren für den Umfang des Problems zu ermitteln. Am weitesten verbreitet, ist eine Auswertung der Stromzähler. Die Stromanbieter liefern dabei Daten zum Umfang der abgemeldeten, abgebauten oder bestimmte Verbrauchswerte unterschreitenden Wohnungsstromzähler. Zur Leerstandsermittlung werden diese Daten teilweise mit Vor-Ort-Begehungen ergänzt. In Karlsruhe werden solche Daten nicht erhoben. Auf Anfrage bei den Stadtwerken Karlsruhe hieß es, eine solche Abfrage sei „sehr aufwendig und extrem ungenau auf die Frage hin, welche Wohnungen wenig oder gar nicht genutzt werden“. Die Stadtverwaltung wiederum verwies auf die Verantwortung der Stadtwerke und sprach allgemein von Datenschutzbedenken.

In der Südstadt registrierte die Bürgergesellschaft neben dem Leerstand in einer Befragung mit Mieten von bis zu 30 Euro pro Quadratmeter auch weitere Anzeichen für gefährliche Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse. Hillesheimer sah „die Gefahr der Gentrifizierung, also des Umbaus des Stadtteils mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird“ und forderte die Stadtverwaltung zur Aufstellung einer Erhaltungssatzung für die Südstadt auf. Eine solche Milieuschutzsatzung gibt dieser mehr Vorkaufsrechte und Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt.

Hillesheimer musste lange kämpfen, die Stadtverwaltung wehrte sich lange gegen eine solche Maßnahme. Sie könne „keine Anzeichen für einen möglichen Gentrifizierungsprozess erkennen“. Das Thema wurde über Monate immer wieder von der Tagesordnung des Gemeinderats gestrichen. „Wir hatten den Eindruck, das wird von Stadt auf die lange Bank geschoben“, sagt Hillesheimer. Ende 2020 stimmte dann aber der Gemeinderat mit großer Mehrheit für eine Milieuschutzsatzung im südlichen Teil der Südstadt. Hillesheimer freut sich über den zusätzlichen Schutz für die Mieter der Südstadt. „Wir müssen jetzt was tun, sonst rennen wir immer hinterher“. Dies gilt wohl auch für das Ausmaß des Leerstands, dass es künftig nicht mehr heißen muss: „Daten über ‚strategischen Leerstand‘ liegen der Verwaltung stadtweit nicht vor.“ -fk

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