Espresso Mobile, Espresso Stazione & Espresso Tostino
Stadtleben // Artikel vom 15.03.2014
Nicht die Bohne ohne!
Bereits seit 1999 lenkt Gerald Hammer seine Kaffee-Leidenschaft in professionelle Bahnen. Seine berufliche Existenz steht mittlerweile auf drei Standbeinen: Alles begann mit dem von ihm und seinem Partner Stefan Gräfe betriebenen Espresso Mobile, das seit 2001 samstags auf dem Gutenbergplatz-Markt beheimatet ist – einem Markt mit enorm begehrten Standplätzen.
So fiel Gerald Hammer im Spätherbst letzten Jahres aus allen Wolken, als ihm das Marktamt zu verstehen gab, dass wegen eines „Überangebotes“ ausgerechnet sein Espresso Mobile weichen sollte. Glücklicherweise hat er nun aber nach wie vor samstags sein Plätzchen und darf in den kommenden Monaten sogar auf einen dauerhaften Stellplatz hoffen.
2003 folgte der zweite Streich und das eigentliche wirtschaftliche Standbein: die Kaffeebar Espresso Stazione in der Kreuzstraße nahe dem Lidellplatz, ein belebter und beliebter Treffpunkt für Kaffeefreunde. Zwischen 12 und 14 Uhr brummt die Stazione und Gerald Hammer presst, brüht und schäumt im Akkord. Die Gäste genießen ihre Mittagspause, trinken Espresso und futtern Tramezzini und Panini. Doch wenn dann die Betriebsamkeit etwas nachlässt, kann man von dem Karlsruher Alternativ-Kaffee-Pionier auch Grundlegendes zum Thema Kaffee erfahren: Kaffee ist nach Erdöl das zweitwichtigste Handelsprodukt weltweit.
Die beiden bekanntesten und wirtschaftlich wichtigsten Arten der Kaffeepflanze sind Coffea Arabica und Coffea canephora. Die Sorte Arabica hat einen Weltmarktanteil von etwa 60 Prozent, enthält nur etwa halb so viel Koffein wie die Robusta-Bohne und erfreut sich vor allem wegen ihres feinen Aromas großer Beliebtheit. Die Qualität von Kaffee ist grundsätzlich abhängig von der Sorte, der Lage und der Sorgfalt der Bauern. Aktuell wird Kaffee in mehr als 50 Ländern weltweit angebaut, und meist werden dann Bohnen aus unterschiedlichen Regionen gemischt, was man Blend nennt – im Kaffee-Fachjargon gewissermaßen das Äquivalent zum Cuvée beim Wein.
Nach dem Ernten und der Aufbereitung werden die Kaffeekirschen als Rohkaffee zu uns geliefert; Arabica-Kaffee wird an der New Yorker Wallstreet gehandelt, Robusta hingegen an der Börse in London, und der Kaffeepreis wird über die Börsennotierung wesentlich mitgestaltet. Kaffee bietet aber auch dem Staat hohe Steuereinnahmen: Die Steuer von 2,19 Euro pro Kilo bringt jährlich etwa 1,4 Milliarden Euro ein. Die Kaffee-Steuer gibt es europaweit übrigens nur in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden – weshalb Kaffee z.B. im Elsass oder der Schweiz viel billiger ist.
In den 80er Jahren war der normale deutsche Haushalt noch entweder mit einer simplen Filterkaffeemaschine oder mit Moka-Kännchen bestückt – dann kam der Espresso, für den das Wasser unter hohem Druck (etwa 9,5 bar) durch den feingemahlenen Kaffee geleitet wird und dabei einen Schaum aus Kaffeeölen bildet, die sogenannte Crema. Daraus habe sich bei manchem Kaffeeliebhaber ein regelrechter Siebträger-Fetischismus entwickelt.
Für Gerald Hammer steht jedoch fest: „Schlechter Kaffee wird noch schlechter im Siebträger, guter Kaffee hingegen gewinnt und wird besser.“ Die von der Kaffeeindustrie intensiv beworbenen Kaffeekapseln bewertet Gerald Hammer kritisch. „Die Kapseln haben derzeit ca. vier Prozent Anteil am Kaffeemarkt, kosten 40 Euro das Kilo und verursachen extrem viel Verpackungsmüll. Aber George Clooney für die Werbeclips einzukaufen, das war natürlich der Türöffner par excellence!“ Schwer profitabel wird das System dadurch, dass es ähnlich wie das der Computerdrucker funktioniert: billige Anschaffung, superteure Druckpatronen. Was die Entwicklung des Kaffeegenusses an sich anbetrifft, sieht Gerald Hammer aktuell eine Trendwelle zu säurebetonten Kaffees aus den USA und Skandinavien nach Deutschland schwappen.
Bisher war vor allem beim Espresso eher die Langzeit-Röstung populär, durch die wenig Säure im Kaffee bleibt, jedoch auch viele Aromen verlorengehen: Äthiopischer Kaffee z.B. besitzt von Natur aus so unerwartete Geschmacksnoten wie Waldbeere, Apfel und Zimt. Künftig werden wir vermutlich also vermehrt hellgeröstete Kaffees trinken, die zwar saurer sind als unsere Geschmacksnerven das kennen, die gleichzeitig aber ungeahnte Aromen auf der Zunge und am Gaumen freisetzen.
Beim Thema des Kaffeeröstens weiß Gerald Hammer auch in der Praxis, wovon er spricht: Als drittes Standbein betreibt er seit 2009 gemeinsam mit dem Goldschmied Stefan Kehr die kleine Rösterei Espresso Tostino auf dem Gelände des Alten Schlachthofs. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil es lange Zeit keine Kaffeerösterei mehr in Karlsruhe gab. Auf dem Schlachthofgelände rösten Hammer und Kehr Bio-Kaffee-Spezialitäten, die sie auch selbst vermarkten. „Mit Espresso Tostino haben wir umgestellt auf Kaffee aus nachhaltigem und umweltgerechtem Anbau. Etwa zwei Tage pro Woche sind wir vor Ort zum Rösten.“ Aus acht verschiedenen Rohkaffeesorten stellen sie im gasbetriebenen 15-Kilogramm-Trommelröster verschiedene Espresso-Blends und Kaffee her.
Besonderes Augenmerk wird dabei auf die individuelle und schonende Behandlung der unterschiedlichen Sorten gelegt. Hammer und Kehr rösten nur kleine Chargen, die zu drei Espresso-Sorten abgemischt werden: einen dunklen 100-prozentigen Arabica mit blumig-würziger Note, den leichtbekömmlichen 85/15-prozentigen Arabica-Robusta, tauglich für alles von Automat bis Aufkochkännchen, und einen kräftigen Bar-Espresso. Die Bohnen kommen u.a. aus Mexiko, Äthiopien und Tansania. 500 Gramm biozertifizierter Kaffee kosten ab zehn Euro, rund sechs Tonnen setzen Hammer und Kehr derzeit im Jahr um.
Sie beliefern neben Espresso Mobile und Espresso Stazione auch Bioläden wie die Karlsruher Füllhorn-Filiale oder die Gastronomie, beispielsweise die Oberländer Weinstube, das Restaurant Fünf und das Café Palaver. 2015 sollen dann die langersehnten neuen Räume auf dem Schlachthofgelände mit offenem Röstereibetrieb und angeschlossener Bar bezogen werden, wo frisch gerösteter Kaffee gekauft und getrunken werden kann: „Das Problem war lange der ungewisse zeitliche Ablauf. Aber wir sind guter Dinge“. -fab
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