Fashion & Gewissen - ein Streifzug durch Karlsruhes Modelandschaft

Stadtleben // Artikel vom 08.04.2014

Sobald die Sonne uns eine Chance gibt, tragen wir wieder die neuesten Sommerkleider, Tuniken, Leinenhosen und Sommeranzüge zur Schau.

Schnelle oberflächliche Blicke huschen über die Passanten und bewerten in Sekundenbruchteilen Farbe, Material, Schnitt und Gesamteindruck. Mode ist die wohl oberflächlichste Definition, die wir abgeben können. Sie bietet dem Tragenden aber auch die Möglichkeit, Statements zu setzen und Geschichten zu erzählen – „Mode ist, wenn Anziehen Spaß macht“, so definiert es Sarah Isabel Voß, Designerin bei Kopf & Kragen. Mode begleitet uns stets. Mal gehen wir mit ihr, mal gegen sie und mal ignorieren wir sie, doch egal wie: Sobald wir bekleidet das Haus verlassen, stecken wir wortwörtlich im Thema drin.

Für alle Geschmäcker ist modetechnisch etwas geboten: stets im Trend sein mit „Fast-Mode“-Ketten wie Zara oder H&M, schnell und billig neuen Stoff bei Primark holen, sich mit gutem Gewissen in Boutiquen wie Skog 42 oder Kopf & Kragen einkleiden, öko kaufen wie z.B. bei Spinnrad – der Markt ist für alle Wünsche gerüstet. Dabei erlebt die Mode derzeit das, was unsere Lebensmittel Ende der 90er durchmachten: Erst wurde alles billig, und dann stellte man fest, dass dieser Preissturz an mangelnder Qualität lag.

Jetzt hat die Mode die erste Kurve dieser Rennstrecke genommen: Sabberten Fashion-Freaks vor Jahren noch den angesagten Kollektionen hinterher und kratzten ihr Geld zusammen, um sich alle sechs Monate mal ein modisches Teil zu leisten, so wird es ihnen heute quasi hinterhergeworfen. Es gibt keine Kollektionen mehr, sondern permanent so genannte „Neue Ware“. Im Englischen hat sich für diese Firmen das Wort „Copycats“ durchgesetzt: Trends der aktuellen Laufstege direkt kopiert und für einen Bruchteil des Preises angeboten. Mode von der Stange für jedermann ist doch eigentlich eine schöne Idee...

Aber wie können wir die Augen verschließen, wenn für unsere Kleidung Menschen derart leiden wie einst Tiere für unsere Nahrung? Nun, wir sehen es ja nicht. Und noch schlimmer: Wir fordern es nicht. Für den Durchschnitts-Endverbraucher zählt die Oberfläche. Wenn der Schein reicht, ist dies der Zweck, der die Mittel heiligt. Nachhaltige Mode wird so gut wie gar nicht vom Konsumenten verlangt. Sie erfindet sich viermal im Jahr neu – wie soll da Nachhaltigkeit entstehen? Manches modische Teil im Schrank ist gar nicht dazu gedacht, viele Jahre zu überleben oder zu vielen Arrangements zu passen, doch gerade in diesem Segment bieten viele Designer Abhilfe. Basics bleiben aktuell und ergänzen auch in Jahren noch den perfekten Look; qualitativ hochwertige Ware hält und landet nicht bereits nach Tagen im Müll.

Wenn diese Stücke einmal entsorgt werden müssen, so entsorgt man nicht gleichzeitig auch menschliche Leistung, wie es die Billig-Wegwerf-Kleidung fordert. Bei Preisen wie 2,50 pro T-Shirt könnte manch findiger Ökonom ja gar auf die Idee kommen, Primark sei billiger als Wäschewaschen... Wie sieht es mit der Ökologie aus? Öko-Mode? Was soll die leisten, etwa essbar sein? Nein, vor allem Hautverträglichkeit, Atmungsaktivität und Naturbelassenheit sind hier die Stichworte. Trendige Schnitte und modische Farben sind hier genauso zu finden – modische Kleidung mit Ökosiegel ist möglich! Allerdings müssen wir hier rein logische Einschränkungen vornehmen: Ganz knallige Farben oder metallisch beschichtete Stoffe können nicht biologisch sein.

„Neon geht nicht bio“, sagt Evelyn Engel, und so manche Farbe scheint uns zuerst etwas pastellig. „Wer argumentiert, dass Mittelalter habe auch knallige Farben gehabt und das müsse doch gehen, der muss sich bewusst werden, dass man damals weder heiß gewaschen noch bei 1.000 Umdrehungen geschleudert hat“, so die Designerin und Inhaberin von Skog 42. Wie können wir die Augen verschließen, wenn für unsere Kleidung Menschen leiden? Ja, dem ist so. Selbst wenn wir gerne glauben möchten, dass Großkonzerne mit ihren massiven Gewinnen nur Gutes im Produktionsland tun – die Umstände der Bekleidungsindustrie sind unmenschlich.

Da sind auch die 6,5 Millionen Euro, die Primark nun ein Jahr nach dem Unglück an die Opfer und Angehörigen des Textilfabrik-Einsturzes in Bangladesh zahlen will, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Diesem Abwärtstrend von Menschlichkeit müssen wir als Verbraucher begegnen – und tatsächlich sind seit einigen Jahren Bewegungen zu beobachten, die hoffen lassen. Einerseits kehrt Individualität zurück, es zählt nicht mehr das große Label, sondern der einst altbackene Satz „...es muss gut sitzen!“ Dies fördert neben dem Beruf der Maßschneider auch den Einzelhandel, stärkt die Vielfalt und erhält die Individualität. Das andere Extrem ist quasi „der Verweigerer“: Die Self-made-Mode ist immer mehr auf dem Vormarsch.

Manches Label hat sich derart darauf eingestellt, dass neben der Kleidung auch Schnittmuster oder Materialien erworben werden können. Clever – die eigene Marke wird ganz ohne Produktionskosten promotet! An diesem Beispiel zeigt sich deutlich: Der Kunde definiert das Angebot und damit auch die Produktionsbedingungen. Auch wenn die Einsicht stets aufs Neue schmerzt: Es ist unser Verhalten, das es Großunternehmen möglich macht, derart unmenschliche und ressourcenraubende Produktionsprozesse zu veranlassen. Ob wir unsere Kleidung selber herstellen, second-hand kaufen oder nur etwas mehr auf Qualität achten, wir müssen uns bewusst sein, dass die Entscheidung in unserer Hand liegt. Vielfalt in der Mode ist auch in Karlsruhe geboten – nutzen wir sie! -Hendrik Dörr

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