Flächenmangel trifft nicht nur die Kultur
Stadtleben // Artikel vom 02.03.2022
„Leider hat die Stadt Karlsruhe bisher kaum auf die seit Jahren stattfindende Reduzierung von Kulturräumen reagiert“, klagt Klaus Bluck.
Mit dem Abriss des Gebäudes seines Bandprojekts auf dem C-Areal würden 140 MusikerInnen im Spätjahr 2022 ihre Proberäume verlieren. „Schon jetzt umkreisen die Bagger das Gebäude und reißen schon mal ein Kabel ab“, beschreibt der Vorstand die zunehmend prekäre Situation. Seit Längerem suche er für das Bandprojekt neue Räume in der Stadt, doch bislang erfolglos. Blucks Ärger richtet sich dabei auch auf eine Tatenlosigkeit der Stadtverwaltung: „Hilfe ist trotz mehrfacher Ankündigung ausgeblieben.“ Es gehe nicht um eine finanzielle Subventionierung des Bandprojekts, betont Bluck. Die Stadtverwaltung sei jedoch in der Verantwortung, die kulturellen Grundvoraussetzungen und Räume zu schaffen „Es kann nicht sein, dass sich die einzelnen Initiativen, Vereine oder sogar einzelne Künstler, jeder für sich selbst, um dieses Problem kümmern müssen, sich dabei ungewollt Konkurrenz machen und die Preise hochtreiben.“
Nicht nur auf dem C-Areal, sondern auch in Mühlburg, Grünwinkel und Durlach sind durch die Abriss- und Bauarbeiten des Immobilienkonzerns GEM insgesamt etwa 80 Proberäume und bis zu 400 Musiker bedroht. Nachdem INKA die Pläne zum kulturellen Kahlschlag im Februar 2021 veröffentlichte, hofften die Stadtverwaltung und Kulturbürgermeister Albert Käuflein, „dass die GEM zumindest in Teilen Ersatz- und Übergangslösungen für die entfallenden kulturellen Räume anbieten wird“. Öffentliche Angebote seitens der GEM seien auf Nachfrage nicht konkretisiert worden, sagt das Bandprojekt dazu. Stattdessen kam eine Kündigung zum Juni 2022. Bluck hofft aber zumindest noch einige Monate länger bleiben zu können. In einem anderen Fall sprang die Stadtverwaltung ein und erhöhte den Zuschuss für das zuvor ebenfalls auf dem C-Areal ansässige P8 deutlich, sodass der Trägerverein in Bulach elf Proberäume schaffen konnte. Doch der Bedarf durch die spätestens für 2023 angekündigten Bauarbeiten ist um ein Vielfaches höher. Bluck befürchtet ohne weitere städtische Unterstützung bei der Raumsuche einen „nur schwer wiedergutzumachenden und lang nachwirkenden Schaden in der Kulturszene.“
Gemeinderat: Vorfahrt für Gewerbeflächen
Statt größer machte der Gemeinderat den möglichen Raum für Kultur in der Stadt jüngst jedoch noch kleiner. In Gewerbegebieten sollen kulturelle, soziale oder gesundheitliche Zwecke nur noch in „wichtigen Ausnahmefällen“ Platz finden, beschloss das Gremium Ende Januar. Dabei böten diese geräuschunempfindlicheren Gebiete für die Musikkultur optimale Bedingungen. Grundlage der Entscheidung war ein von der Wirtschaftsförderung beauftragtes Gutachten, das zum Ergebnis kam, dass die Flächen in der Stadt für gewerbliche Nutzung bis 2035 knapp würden. Das Gutachten, zu dessen Kosten die Stadtverwaltung keine Angaben machen wollte, betrachtete allein den Flächenbedarf für gewerbliche Nutzungen und ließ die anderen nun zurückgedrängten Zwecke außer Acht. Lukas Bimmerle von der Karlsruher Linksfraktion attestierte der beschlossenen Vorlage ein „veraltetes Denken, dass alles dem Primat der Wirtschaft untergeordnet“ werde und forderte stattdessen im Sinne einer sozial-ökologischen Stadt den gesellschaftlichen Nutzen in den Fokus zu stellen.
Wie in den meisten Großstädten werden in auch in Karlsruhe die Flächen in allen Bereichen knapp. So fehlen der Stadt bis 2035 nach eigenen Angaben auch 14.200 Wohnungen. Nachdem in den vergangenen Jahren etwa nur die Hälfte der jeweils erforderlichen Wohnungen gebaut wurden, soll das Tempo in den kommenden Jahren angezogen werden. Doch schon in der Zielsetzung bleibt die Stadt beim Wohnen hinter dem ermittelten Bedarf zurück. Bis 2035 sollen in Karlsruhe nur 10.300 Wohnungen gebaut werden und die anderen Wohnungssuchenden auf das Umland ausweichen. Während Gemeinderat und Wirtschaftsförderung bei den Gewerbebetrieben auf Vollversorgung setzen, ist ein „moderat angespannter Wohnungsmarkt“ für sie akzeptabel.
Rettungsdienst sucht seit Jahren
Doch nicht nur Wohnungssuchende und der Kulturschaffende verzweifeln an der Flächenknappheit für nicht unmittelbar gewerbliche Flächen in der Stadt. Der Malteser Hilfsdienst sucht seit etwa vier Jahren nach einem neuen Standort für seine Rettungswache. Der bisherige Standort in der Hermann-Leichtlin-Straße war aufgrund eines befristeten Mietvertrags nur als Interimslösung geplant, sagt der Bezirksgeschäftsführer Peter Neuhauser. Trotz aufwendiger Suche fand der Rettungsdienst keine Immobilie, bei der sich „Bebauungsplan als auch Lage und Finanzierungsmöglichkeiten der Malteser“ eigneten. In den meisten Gewerbe- und Industriegebieten schließt der Bebauungsplan schon lange andere als gewerblich Nutzungen aus. Hinzu kämen gesetzliche Vorgaben für den Rettungsdienst, die das Erreichen des Notfallorts binnen zehn bis 15 Minuten vorsehen. „Die lange und schwierige erfolglose Suche zeigt, wie schwierig es ist, für Sonderimmobilien geeignete Objekte zu finden“, sagt Neuhauser, der nicht damit rechnet, dass sich die Situation verbessert. „Die Schwierigkeit geeignete Immobilien für einen passenden Wachenstandort zu finden, erschwert die Sicherstellung des Rettungsdienstes zunehmend.“
In der Kultur setzten viele ihre Hoffnungen auf das Rotag-Gelände in Grünwinkel. Die Stadt Karlsruhe hatte das Gelände 2020 erworben und ist derzeit noch mit der Bestandsaufnahme der Gebäude und Infrastruktur beschäftigt. „Das Rotag-Gelände ist eine einmalige Chance für Kooperationen und einen starken Austausch der Kunst und Kultur. Es gibt so viele Leute in der Stadt, die Erfahrung haben, sie brauchen nur einen gemeinsamen Raum“, sagt Alexander Wernet, der Sprecher der Interessensgemeinschaft MusikerInnen Karlsruhe. Doch ob es dazu kommt, ist offen. Derzeit werde „für die beginnende Konversion eine Leitbildwerkstatt konzipiert“, bei der künftige mögliche Nutzungen diskutiert werden sollen, teilt die Stadtverwaltung auf Anfrage mit. Im Frühjahr sollen dazu Interessenvertreter aus Politik, bürgerschaftlichen Gruppierungen und Institutionen aus Gewerbe, Kultur und dem Handwerk zusammenkommen. Deren Ergebnisse sollen dann eine Grundlage für die Entscheidung der gemeinderätlicher Gremien über die künftige Nutzung des Areals sein. Ob die Kultur in diesem Fall wieder den Gewerbeinteressen weichen muss, ist offen. Doch nicht nur die regelmäßigen, lautstarken Klagen der Handwerkskammer über den Flächenmangel in der Stadt dürften Wirkung hinterlassen. Für den aktuellen Bedarf ist das Rotag-Gelände ohnehin keine Option. Die Stadtverwaltung rechnet mit mehrjährigen Planungs- und Bauzeiten.
„Insbesondere bei Konkretisierung weitergehender Planungen kann die Stadt die vielfältigen Flächenbedarfe auch weiterhin decken“, gibt sich die Stadtverwaltung auf Anfrage hingegen handlungsfähig. Auch für kulturelle, soziale und gesundheitliche Interessen könnten Flächen möglich gemacht werden. Bei den Betroffenen scheinen diese Möglichkeiten aber nicht anzukommen. „Das reine Bekenntnis der Stadt den Mangel zu kennen, ist nicht mehr ausreichend. Anstatt sich dem seit Jahren zunehmenden Problem fehlender Kulturräume anzunehmen, wird zugesehen wie Jahr für Jahr kulturell genutzte Räume verschwinden“, sagt Bluck. Vielleicht müssen Kultur- und Sozialamt erst selbst Geld in die Hand nehmen, um sich die Flächenknappheit gutachterlich attestieren zu lassen, bis Gemeinderat und Verwaltung reagieren. -fk
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