INKA-Streifzug: Karlsruhe zur Zeit (Februar 2022)

Stadtleben // Artikel vom 04.02.2022

Schlendert man durchs Bermudadreieck zwischen Amalienstraße, Stephanplatz und südlicher Herrenstraße bis zum Marktplatz, kommt man sich derzeit vor wie in der Dorfmitte.

Es ist manchmal so wenig los, dass es fast schon an einen Lockdown light erinnert. Derweil ist Karlsruhe anscheinend Weltmeister in Sachen Teststationen: Wo und wie man sich auch dreht und wendet – an nahezu jeder Gastro vom Deli-Café Luuc direkt vor dem INKA-Büro bis hin zum Pils Karussell, ja selbst in den Straßeneinfahrten der Südlichen Waldstraße alles voller, aber leerer Teststationen. Allein zwischen Kaiser- und Kronenplatz gibt’s alle 50 Meter ein Angebot. Wir haben offenbar die doppelte Anzahl wie das doppelt so große Stuttgart – und vermutlich ist der Peak der Teststationen noch nicht erreicht. Es gibt bereits Banken in der Region, die Teststationbetreibern wegen Schindluder grundsätzlich die Kontoeröffnung verwehren. Wo keine Teststationen sind, sieht man viele geräumte oder sich im Umbau befindliche Läden, offenbar bringt sich auch die Geschäftswelt wieder in Goldgräberstimmung – was bleibt einem auch anderes übrig? Csilla Mako dagegen hat sich neu orientiert, ihre nicht nur in der Oststadt äußerst beliebte Kiezkneipe Gold geschlossen und dem Hörensagen nach an die Karlsruher Oxford-Burger-Kette verkauft.

Unser Streifzug durch die neue Stadt startet beim ehemaligen INKA-Büro in der Amalienstraße, wo Minette, dem erfolgreichen Fashion-Concept-Store, auf Jahresmitte gekündigt wurde. Esther Laut sucht nach einer schicken Eins-b-Lage für ihre „Shopping Queen“-Destination. Wir empfehlen die Herrenstraße. Oder mal bei dm nachfragen: Der Drogerieriese besetzt das ehemalige Superkaufhaus Schneider – man darf gespannt sein, was sich dm für den deutschlandweiten Flagship-Store in seiner Homebase Karlsruhe so einfallen lässt. Der Kaiserstraßen-Standort ein paar Häuser weiter wird dafür aufgegeben, aber dort wird vermutlich ein weiterer Ramschladen einziehen. Den Kampf um ihren zentralsten Platz, den Europaplatz, hat die Stadt ohnehin verloren an Pfälzer Wurstbuden, Billigbäcker und Ein-Euro-Läden. Aber gut: Aldi hat’s ja auch geschafft. Wenig empfehlenswert ist der neue Ersatz-Mini-Saturn in der Kaiserstraße, eine Art Penny unter den Elektronikfachhändlern. Es gibt wenig von dem, was man sucht, aber wiederum vieles, das man nicht braucht.

Wir laufen den kleinen Schleichweg zur Erbprinzenstraße, landen auf dem Ludwigsplatz und müssen feststellen, dass zu unserem Leidwesen die Trauringlounge geschlossen wurde. Gute Nachrichten gibt’s aber bei Pia im Café Segafredo, wo wir uns erst mal einen frischen O-Saft hinter die Binde kippen und beim Blick auf die andere Seite feststellen: Oh, die Pop-up-Galerie mit Anspruch und einem Preisgefüge, das auch Normalsterbliche anspricht, ist ja auch nicht mehr. Die Lage schräg gegenüber vom Füllhorn ist mittlerweile Eins-a-plus und so hörten wir uns um, wer denn das große Ladengeschäft künftig bespielt. Bislang war dort ein prolliger Pforzheimer Neureichenmöbelladen angesiedelt, nun soll ein ganz anderer Designwind wehen: Man munkelt, die Traditionsmarke Ligne Roset ziehe von der Südlichen Wald- in die Erbprinzenstraße um... Aber der Flurfunk behält ja meistens recht.

Wir tigern weiter und biegen bei der Stephanus-Buchhandlung in die Herrenstraße ab, wo sich gerade das meiste tut in der City: Zum Glück hat Immerdein, der wunderbare Schmuckladen von Saskia Noël und Sogol Shirazi, nicht geschlossen und sogar noch hochkarätige Nachbarn bekommen: Mit der Pâtisserie sind die karlsruheweit Besten ihres Fachs hierhergezogen; am ehemaligen Standort der Ludwigs in der Südlichen Waldstraße hat dafür das Yollie Popice Café neu eröffnet. Auch FaireWare, das bisher zwischen der Galerie Axel Demmer und Antik Baden befindliche Kaufhäuschen für den bewussten Konsumenten, verbessert sich in eine erheblich mehrfrequentierte Herrenstraßen-Lage. Auch der Reisebuchladen erhält im Februar einen neuen Nachbarn: Denn wie das Schaufenster preisgibt, entsteht hier der „Fashion & Lifestyle“-Store No. 35 by Natascha Oehmige.

Auf dem Weg zurück ins mittlerweile schon nicht mehr ganz so neue INKA-Büro in der Sophienstraße queren wir das Iaro. Mit Spannung wurde der Ausbau des coolen Outdoor-Cafés erwartet – es wirkt drinnen etwas kühl, aber das ist in Corona-Zeiten wohl der Style der Stunde: schöne Steine, edle Hölzer, schicke Tische, aber auffallend klinisch-flächig, damit sich auch alles keimfrei abwischen lässt. Apropos Fläche: Auch der Gemeinderat hat das Thema entdeckt und beschäftigt sich mit einem Farb- und Materialkonzept für den Marktplatz, das einen Beitrag leisten soll, „die Identität der Fläche zu stärken“. So entnehmen wir es den BNN unter der Headline „Lebensgefühl in Ocker und Braun“. Beim Anblick des Fotos zum „Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Lebens“ kommt angesichts des Anti-Wimmelbilds aus dem Bilderbuch gleich nochmals unfreiwillige Komik auf. Vielleicht sollten die Stadtoberen einmal Farbberaterin Manuela Seith in ihrem Weststadt-Laden Zwei konsultieren.

Und apropos braun: Wir hatten es ja bereits in der Oktober-Ausgabe des INKA StadtBlatts von der mangelhaften Sauberkeit, die teils bis zur Verwahrlosung reicht: Uns würde mal interessieren, wie viel Hunderte Mülleimer die Stadt (klammheimlich über Corona oder schon davor?) eingespart hat und wie viele Euro dafür im Stadtsäckel verbleiben. Allein zahllose Kreuzungen verfügen nicht mal über einen Abfalleimer, sodass wir die Hinterlassenschaften der Burgunder INKA-Redaktionsrüdin Puce auf unserer Route kilometerweit durch die City tragen müssen. Hundeliebhabende TouristInnen aus Zürich und dem Oberland dürften aber schon bei der Suche nach einem Kotbeutelchen verzweifeln; da macht selbst das kleine Bretten den Großstädtern noch was vor.

Und wo wir grade bei Tieren sind: Der Flurfunk hat nicht immer recht. Nein, nicht der Karlsruher Zoo, sondern die Diakonie erbt nach dem letzten Willen der im vergangenen September gestorbenen Unternehmerin Melitta Büchner-Schöpf die von Friedrich Weinbrenner erbaute denkmalgeschützte und vielzitierte „Schlüsselimmobilie der Innenstadt“. Das Modehaus am Marktplatz soll reorganisiert fortbestehen. Also keine Papageienvoliere. Wer die Veröffentlichung verpasst hat: Der vor Jahreswechsel wochenlang krankgeschriebene Baubürgermeister Daniel Fluhrer wurde in den BNN derart demontiert, dass man sich fragen darf, ob er je an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Die Kritiker konstatierten, selbst in Fachfragen habe ihn der OB geschurigelt. Wozu brauchen wir auch einen Baubürgermeister inmitten des großen Stadtumbaus? Nun schwingt Stadtplanungsdiva Anke Karmann-Woessner wieder das Ruder und wirbt im Durlacher Ortschaftsrat für ein 59 Meter hohes Hochhaus am Durlacher Stadteingang. Zu hoch – befand das Gremium und ließ sie abblitzen. Neuer Vorschlag: max. 39 Meter hoch.

Dafür kommt die U-Strab gut an und wir geben jetzt endlich Ruhe, auch wenn Betriebskosten in Abermillionenhöhe die Stadt in ihrer Zukunftsfähigkeit schwer beeinträchtigen werden. Manko: 70.000 Südweststädter kommen vom Kolpingplatz ohne umzusteigen nicht mehr zum Marktplatz und zum Alten Schlachthof, es sei denn sie nehmen einen Gang zum Hauptbahnhof in Kauf. Aber einerlei, die gelben Us sind einfach super und bringen den gewissen Schuss Internationalität in die Dorfmitte! Und es kommt ja noch der Lüpertz... -rowa/pat

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