KSC-Fankultur
Stadtleben // Artikel vom 08.04.2007
"Machen wir uns nichts vor, Fußball ist Proletensport", meinte ein Dresdner Stadtverordneter angesichts der Krawalle der "Fans" von Dynamo Dresden in Berlin: Leipzig, aber auch Oberliga-Spiele in Baden-Württemberg lassen schön grüßen.
Auch in Stuttgart ist man aufgeschreckt, helfen sollen Stadionverbote. Nicht nur die Fans sind skeptisch, denn oft genügt hierfür bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Und mancher fand sich bereits nach routinemäßiger Personalienaufnahme in der Polizeidatei "Gewalttäter Sport" wieder.
"Die Datei ist zumindest fragwürdig", meint auch Dirk Grießbaum, Mitarbeiter des Fan-Projekts Karlsruhe. Dieses bietet seit den 80ern mit aufsuchender und begleitender Jugendsozialarbeit zahlreiche Angebote für Fußballfans, die der Gewaltprävention dienen. Das Projekt wird zu 2/3 durch die Stadt und zu 1/3 durch den DFB finanziert. Baden-Württemberg ist neben Sachsen eines der wenigen Bundesländer, das Fan-Projekte nicht unterstützt. Doch nicht nur die Politik steht in der Verantwortung: Das Derby in Kaiserslautern war kein Ruhmesblatt für die Karlsruher Fanszene. Weil er eine bengalische Fackel auf Fans des FCK (zurück-)geworfen hatte, erhielt ein 23-jähriger KSC-Anhänger drei Monate auf Bewährung und fünf Jahre bundesweites Stadionverbot, der KSC bekam eine Geldstrafe von 8.000 Euro, denn im Fanblock der Badener waren zwei Raketen abgefeuert und eine Rauchbombe gezündet worden. Auf der Rückfahrt schlugen Hooligans im überfüllten Sonderzug sogar auf weibliche KSC-Fans ein, um sich Platz zu verschaffen. Da fehlen einem die Worte.
In seiner "Poetik des Fußballs" betrachtet Gunter Gebauer das Phänomen Fußball aus einem etwas anderen Blickwinkel: "Spiele sind kleine Wunder. Ihre staubige Oberfläche verbirgt den Glanz in ihrem Innern", schreibt der lange in Karlsruhe lehrende Philosoph. Jeder, dem das Verständnis für die Hingabe an den Fußball fehle, verweise auf die Banalität des Spiels, die Brutalität, den Dreck, das Hinwerfen. Gebauers Betrachtungen lassen sich auch auf die Fans anwenden: Sie verschwenden Zeit und Geld, werden bestenfalls als willige Werbe-Adressaten angesehen oder schlicht verachtet und gefürchtet.
Hinter der oft unansehnlichen Außenansicht, dem Gebrüll, der Hemmungslosigkeit, der Barbarei eröffnet sich aber eine Welt voll ehrlicher Gefühle, Liebe und Begeisterung. Fußball lebt vom Heldentum, und Helden erlangen ihre Bedeutung erst durch die Erinnerung ihrer Getreuen; die stehen auf den Rängen, nicht in klimatisierten VIP-Lounges. Ein Mythos wird nur wahr, wenn jemand daran glaubt. Eine der treuesten und größten Fangruppen Deutschlands kann sich also zu Recht als eine jener Kräfte verstehen, die den Ausgang eines Spiels durch ihren Einsatz entscheidend beeinflussen. Dazu gehören mehr als harte Muskeln und eine noch härtere Leber: Viele unterstützen den KSC in- und außerhalb des L-Blocks äußerst kreativ und phantasievoll.
Frank Göhringer ist KSC-Fan und Buchautor, genau in dieser Reihenfolge. Sein Debüt "In guten wie in schlechten Tagen" behandelte den Zeitraum vom Aufstieg des einstigen Fahrstuhlvereins ins UEFA-Cup-Halbfinale bis zum Abstieg in die 2. Liga. Sein neues Buch "Herzenssache" beginnt mit dem Start in der Regionalliga Süd, der schwersten Zeit des Clubs.
Statt Valencia heißen die Ziele von Auswärtsfahrten nun z.B. Schweinfurt, aber der Autor ist immer dabei und gibt ein beredtes Zeugnis seiner Abenteuer auf den Dorfplätzen von Elversberg bis Pfullendorf. Im Vergleich zum Debüt entbehrt "Herzenssache" zwar nicht der Tragik, doch wo zuvor Tränen flossen, überwiegt nun eine gewisse Launigkeit. Bei aller Liebe zum Club ist Göhringer kein Hofberichterstatter wie Peter Putzing ("Badens Blaues Wunder") und spart selten mit beißender Kritik. Dass der natürliche Zustand des Fußballfans derjenige herber Enttäuschung ist, hat ja schon Nick Hornby in "Fever Pitch" festgestellt. Während sich Besucher bei sonstigen (Kultur-)Events amüsieren, bezahlt der Fußball-Afficionado auch noch dafür, sich aufzuregen. Erich Fehlberg, lange Geschäftsführer im Wildpark, bemerkte einmal: „Unsere Zuschauer wurden zu Märtyrern erzogen.“ Frank Göhringer ist also die Seligkeit sicher.
Ein Fußballfanatiker ganz anderer Art ist Matthias Dreisigacker. Mit "Auf, ihr Helden!" gibt er das wohl außerordentlichste Fußball-Magazin Deutschlands heraus. Darin kommen hauptsächlich Spieler und Verantwortliche des KSC zu Wort, deren aktive Zeit meist lange zurückliegt. "Der KSC besteht aus mehr als nur Winnie Schäfer und einer Handvoll UEFA-Cup-Spiele", ereifert sich Dreisigacker. "Die Erfolge der 90er waren für mich eher unwirklich und die Vergangenheit des Clubs ist so in Vergessenheit geraten", erklärt der Fußball-Antiquarius. Irgendwann war er es leid, die ewig selben Rückblicke auf das 7:0 gegen Valencia zu lesen und gründete sein "Magazin für Fußballzeitgeschichten". Themen der aktuellen Ausgabe sind u.a. Michael Sternkopf und Ove Flindt (Stürmerstar der Bundesligamannschaft 1975 bis 1977), ein Nachruf erinnert an Torjäger Heinz Beck, Mitglied der Pokalsiegermannschaften 1955 und 1956. Für Dreisigacker ist Fußball Tradition: "Deshalb ist das Stadion in Braunschweig auch voller als bei Retortenmannschaften wie Wolfsburg".
Dieser Traditionsthese kann Axel Goerke blank zustimmen. Der Name dürfte den wenigsten Stadiongängern geläufig sein, doch mit seinem unverkennbaren Schlachtruf "Auf, ihr Helden!" hat sich Axel im Einser-Block längst Kultstatus erworben und wurde so Namenspatron und "Abonnent auf Lebenszeit" des Karlsruher Fußball-Magazins. Nebenher betätigt er sich als Organisator ungewöhnlicher Fußballtrips (Meisterkür in Litauen!) und veranstaltet die beliebten Dangerfreak-K5-Partys.
Im K5 könnten auch bald die Hits der Bronson Brothers laufen. Bisher sind Dennis Daemon und Marco Monsta (beide ex-Fertilizer) eher durch meist ebenso dadaistische wie von virtuosem Wahnsinn geprägte Song-Ungetüme um Themen wie stinkende Kippen oder ungesunde Ernährung aufgefallen. Jetzt aber wird nach den Alben "mama.ball.fleisch" und "Gefahr von allen Saiten" die Maxi "KSC ole ole" auf die Tribüne gedroschen (VÖ im April). Der Opener "Allez, Allez Karlsruhe" kommt als moderner Indie-Rocker mit Ohrwurmqualitäten daher, eine gnadenlose Abrechnung mit Abstiegsangst und dem Albtraum Regionalliga, "Wir sind der Wildpark" ist eine Hymne an den Club und seine Fans und verbindet NDW mit knüppelhartem Hardcorepunk. Der Titeltrack allerdings schreit als höllisch groovender Gangster-Rap mit R&B-Vocals und grandiosem Text förmlich nach dem Einsatz als Einmarschmusik.
Leider ist das noch Zukunftsmusik, genau wie das Buchprojekt von Heiko Räther (Foto), Jörg Bock und Martin Wacker. Der DJ, der Presse- und der Stadionsprecher arbeiten an einer Art "Fußball Unser" für den KSC-Gläubigen – womit wir wieder beim Thema Märtyrer wären. "Klein, blau und kultig" soll es werden, verspricht Martin Wacker. Heiko Räther war schon mit Dutzenden ehemaligen Spielern Kaffee trinken und hat ellenlange Statistiken über Schuhgrößen, am schlechtesten besuchte Pflichtspiele und sinnloseste Freundschaftsspiele angefertigt. Und wann kommt's raus? "Wir hoffen zm Aufstieg", sagt Heiko. -Felix Mescoli
www.dangerfreak.info
www.bronson-brothers.de
www.myspace.com/bronsonbrothers
Für den Erhalt der Stehplatzkultur im neuen Wildpark: www.petitiononline.com/supps/
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