Kultur im Umbau: Next P8 & Jazzclub

Stadtleben // Artikel vom 03.02.2022

Allem pandemiebedingten kulturellen Substanzverlust zum Trotz kann sich Karlsruhe mit dem Jazzclub-Domizil im Passagehof und dem „Next P8“ in Bulach auf zwei neue Spielstätten freuen, die über die Corona-Monate und beide unter Federführung des hiesigen Architekturbüros Lennermann Krämer zusehends Form annehmen.

INKA-Redaktionsleiter Patrick Wurster hat sich auf Baustellenbegehung begeben.

Mit einem 600 Personen fassenden Veranstaltungsraum und zwei großen Open-Air-Flächen der zuvor vom Elektrogroßhändler Sonepar genutzten Immobilie in der Schauenburgstr. 5 stößt der P8-Trägerverein Panorama in ganz neue Dimensionen vor. Letzte Hürde: die Freigabe der Baubehörden, um die Umgestaltung des einstigen Büro- und Lagerhauses zu einem soziokulturellen Zentrum fertigstellen zu können. Die Toiletten und andere auch ohne Baugenehmigung mögliche Innenausbauten sind schon fast fertig. „Ohne die Hilfe der vielen Ehrenamtlichen wäre das Projekt unmöglich“, freut sich Berthold Schwarz vom Panorama über viele Helfer auf der Baustelle. Die Kosten des Umbaus schätzt er auf 200.000 Euro; über 40.000 davon seien über die noch immer laufende Crowdfunding-Kampagne „P8 Creates A Better Place“ zusammengekommen. Zusätzliche Mittel erhält der Verein über Einzelspenden von Privatpersonen und Unternehmen sowie aus Fördermitteln des Bundes. „Das Teuerste am Umbau ist der Brandschutz. Wir müssen noch eine Brandmeldeanlage der Kategorie 1 mit Verbindung zur Feuerwehr einbauen“, sagt Schwarz.

Der Großteil der künftigen MieterInnen steht derweil schon fest: Den Hauptteil des 2.700 Quadratmeter großen Zentrums nehmen die elf Proberäume und 15 Ateliers für über 150 MusikerInnen und Künstler ein; zudem haben der Videospielverein Retro Games, Theater Plus mit seinem Workshop-Programm, ein Café, ein musikpädagogischer Projektraum und andere Initiativen in Bulach eine neue Heimat gefunden. Wann es wieder mit Veranstaltungen losgeht? Schwarz will sich noch nicht genau festlegen, zu unwägbar sei der Bauverlauf bislang gewesen. „Wir hoffen auf einen erfolgreichen Umbau mit Abnahme bis Ende April.“ Sicherheitshalber hat man das Grand Opening auf den Sommer gelegt. Gemeinsam mit dem Verein Die Anstoß ist ein dreitägiges Festival mit drei Bühnen, Ausstellung, Workshops, Podiumsdiskussionen und einem Tag der offenen Tür geplant. Dabei soll auch das Open-Air-Gelände vor dem Zentrum genutzt werden. Schwarz hofft, trotz der Größe des neuen Domizils, den P8-Charakter nicht zu verlieren. „Auch wenn das neue Projekt jetzt eine ganz andere Dimension hat, wollen wir uns unsere Offenheit und Neugierde bewahren und Menschen animieren, ihre Umgebung mitzugestalten.“

Vielfach in die eigenen Hände genommen hat auch der Jazzclub seinen Großumbau des ehemaligen Kurbel-Kinos zum Konzertraum. „Gerade beim Entkernen samt Abriss der Schachtelkinos haben wir eine enorme Eigenleistung erbracht – vom Abbau der Sessel und der Bar im Foyer über das Entfernen von Luftkanälen, textiler Wandverkleidung und der beiden Leinwände bis hin zur Entfernung der Trockenbauwände, den Rückbau im Eingangsbereich von Saal 1 und den Durchbruch der Verbindungstür zu Saal 2“, fasst Vorstand Niklas Braun die schweißtreibenden Monate seit November 2019 zusammen. Nicht nur hier zeigt sich der Verein hemdsärmelig: Mit 800.000 Euro ist der seit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 19/20 amtliche und auch von INKA lange vehement geforderte Umbau veranschlagt; über 100.000 Euro sind via Fundraising primär über die Jazzclub-Mitglieder zusammengekommen. Den Rest der Kosten für das Gemeinschaftsdomizil mit dem Jazzclub als Untermieter der Kinemathek bezahlt die Stadt.

Jetzt müssen aber zunehmend die Spezialisten ans Werk, um das ehemalige Kino 1 im ersten OG durch zwei Emporen zu vertiefen; eine im Saal, die mit restaurierten Kurbel-Sesseln bestuhlte andere zieht sich weiter über Flur und Toiletten. Auch der momentan an einem aufgebockten Provisorium im Raum hängende originale Bühnenvorhang und die Leinwand kommen wieder zum Einsatz: „Das ermöglicht uns künftig Multimediakonzerte mit Projektionen“, erklärt Braun. Die alte Raumakustik soll ebenfalls wiederhergestellt werden, angefangen bei der unverändert gebliebenen schallschluckenden Deckenabhängung, die während der Kurbel-Ära die krawalligsten Blockbuster aushalten musste. Denn auch beim Jazz kann’s ordentlich grooven! Als nächstes müssen 120 Quadratmeter Saalboden nivelliert werden; die Wölbung sorgte einst dafür, dass jeder Kinozuschauer im richtigen Winkel zur Leinwand sitzt. Kino 2 wird zu Büro-, Lager-, Backstage- und Garderobenfläche umfunktioniert, das schnucklige Kino 3 mit seinen 50 Plätzen bleibt als multifunktionaler Vorführraum erhalten.

Der zweite Treppenaufgang wurde indes bereits geschlossen, um Platz zu gewinnen, der andere führt zur einstmals als Café 9bar bekannten Theke neben Saal 1, der in Post-Corona-Zeiten bis zu 250 Besucher fassen darf. Unverkennbar „Inspired by Alte Hackerei“ ist die praktische und zeitsparende Durchreiche von der Bar in den Saal. „Wenn alles planmäßig läuft, sind wir im Oktober soweit“, schätzt Braun bei allen Unwägbarkeiten, die das 1957 von Hubertus Wald erbaute Kino der Nachkriegsmoderne so bereithält, denn „die Arbeit an der alten Bausubstanz ist tagtägliche Nachkriegsarchäologie“. Der Ansporn von Braun und seinen Mitstreitern ist dennoch ungebrochen: „In den 60er Jahren gab es in Karlsruhe bereits einen Filmverein und einen Jazz-Verein, die sich getrennt haben – jetzt bringen wir das wieder zusammen. Und der Jazzclub erhält, was er über 50 Jahre nicht gehabt hat: eine echte Heimat.“ -pat

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