Mobilitätswende braucht starken & vernetzten ÖPNV

Stadtleben // Artikel vom 29.11.2021

Doppelt so viele Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr wie noch 2010 ist das Ziel der Landesregierung.

Nur so könnten die Klimaziele erreicht werden. Während andere Sektoren ihre schädlichen Emissionen seit 1990 teils deutlich reduzieren konnten, veränderte sich der CO2-Ausstoss des Verkehrssektors kaum. Er ist heute für ein Fünftel dieser Emissionen verantwortlich. „Auch wenn er nichts so sexy ist wie ein Flugtaxi, der ÖPNV schafft die breite Basis“, sagt die Mobilitätsforscherin Katja Diehl. Beim KVV erwartet man entsprechend eine zunehmende Nachfrage in den kommenden Jahren und wünscht sich einen stärkeren Ausbau des Angebots.

„Es wird darum gehen, die Infrastruktur weiter auszubauen und künftig mehr Fahrzeuge auf die Strecke zu schicken. Hierbei handelt es sich jedoch um politische Entscheidungen“, sagt Unternehmenssprecher Michael Krauth. Zur Finanzierung seien Bund und Land gefordert, heißt es unisono aus den Karlsruher Gemeinderatsfraktionen. Dafür werden auch neue Einnahmequellen wie eine Citymaut oder eine Nahverkehrsabgabe ins Spiel gebracht. „Zuverlässigkeit, ein möglichst dichter Takt der Fahrverbindungen, einfache Tarife und gute Qualität der Bahnen für die Nutzer und nicht zuletzt kurze Entfernung zur nächsten Haltestelle“, fasst die Freie Wähler/Für Karlsruhe-Fraktion die Wunschliste der meisten Fraktionen zusammen.

Doch auch auf der Nachfrageseite brauche es ein Umdenken. „Wir müssen es unbequemer für das Auto machen“, fordert Diehl. Zu lange sei die Verkehrspolitik allein auf das Auto ausgerichtet gewesen. In Städten müsse der Parkraum verteuert werden, um zum Verzicht auf ein eigenes Auto zu animieren, aber auch Platz für kulturelles und soziales Leben zu schaffen. Aus ähnlichen Erwägungen sprechen sich mehrere Gemeinderatsfraktionen für eine autofreie Innenstadt aus, die nach dem Willen von Karlsruher Liste und Links-Fraktion den Bereich zwischen Kriegsstraße und Schlossplatz, Mühlburger Tor und Kronenplatz umfassen soll. Langfristig will auch die größte Gemeinderatsfraktion eine autofreie Innenstadt, zumindest für private Besuche. Die Grünen wollen aber Ausnahmen für Lieferungen, Arztbesuche oder AnwohnerInnen ermöglichen. Die CDU pocht auf „vernünftigen Lösungen“ für diese Gruppen statt einer „pauschalen Autofreiheit“. Ein Verzicht auf Autos in der Innenstadt schließt die FDP aus. Der SPD schwebt eine „autoreduzierte“ Stadt mit einem Tempolimit von 20 km/h vor, in der die Zufahrt zu Parkhäusern gesichert ist.

Allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Weg in die Stadt oft aufwendig. Das betrifft nicht nur das Umland, selbst in der Stadt ist die Anbindung aus Neureut-Kirchfeld oder den Höhenstadtteilen „mühsam“, wie Aljoscha Löffler von den Grünen konstatiert. Mobilitätsforscherin Diehl plädiert hier für digitale und On-Demand-Angebote, um den „Lückenschluss zum starren ÖPNV-Netz“ zu schaffen. Der Weg zur nächsten Haltestelle könne mit Pendelverkehren („Drei Shuttles ersetzten 100 Autos“) und der ländliche Raum mit Autonomen Fahren erschlossen werden, ist sie überzeugt. „Es geht nicht nur ums Klima, sondern auch um Gerechtigkeit. Wer auf dem Land kein Auto hat oder nicht mehr fahren kann, ist abgehängt“, plädiert sie für eine soziale Mobilität. Mit „Regiomove“ geht der KVV einen Schritt zur digitalen Mobilität, indem jenseits vom motorisierten Individualverkehr Mobilitätsangebote wie Bahn, Bus, Leihfahrrad oder Carsharing in einer App verknüpft werden.

Sozialgerechte Mobilität geht aber vor allem über den Preis. Doch erst jüngst wurden die KVV-Ticketpreise wieder erhöht. Eine gänzlich kostenfreie Nutzung von Bussen und Bahnen für alle wird im politischen Karlsruhe mehrheitlich als wünschenswert, aber nicht finanzierbar ausgeschlossen. Aus Sparzwängen des Stadthaushalts wurde stattdessen die politisch schon beschlossene kostenlose ÖPNV-Nutzung für Inhaber des Karlsruher Passes in letzter Minute gestrichen. Ohne Nutzungsentgelte fürchten einige Fraktionen zudem um die Qualität des Angebots, die das wichtigste Kriterium für die Nutzung des ÖPNV sei. Demgegenüber stellt sich die Linksfraktion ein völlig neues Umlagesystem vor, das monatlich 15 Euro pro Arbeitsplatz von den Unternehmen, zehn Euro für jedes Kfz und fünf Euro von allen Erwachsenen vorsieht. Ein anderes Finanzierungsmodell müsste auch von Land und Bund entwickelt werden, der nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft fossile Energieträger noch immer mit 70 Mrd. Euro pro Jahr subventioniert.

Nicht nur Diehl fordert daher ein Umdenken: „Autos schaffen Probleme, der ÖPNV ist ein Problemlöser.“ Dazu braucht es allerdings massive Investitionen. Ein Teil der Finanzierung wäre durchaus auch aus dem Stadthaushalt möglich gewesen, doch die Weichen wurden anders gestellt. Aus den jährlichen, nur aus dem Stadthaushalt getragenen Betriebs- und Folgekosten der Kombilösung von 30 Mio. Euro ließen sich selbst bei einem höheren Zinssatz als derzeit von Seiten der Stadtverwaltung geplant, kommunale Investitionen von fast 700 Mio. Euro für eine soziale und vernetzte Mobilität von morgen realisieren. -fk

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