Nahvernichtung durch Nachverdichtung (IV)

Stadtleben // Artikel vom 11.10.2018

Nach unserem Artikel im September zu Nachverdichtungen in der Weststadt erreichten uns zahlreiche weitere Infos aus allen möglichen Ecken der Stadt, wo sich engagierte BürgerInnen quer durch die Altersklassen und jenseits von Parteizugehörigkeiten treffen und zusammenschließen, um zumeist unverhältnismäßige bis krasse ökologische Verwerfungen während des parallel stattfindenden historisch größten Umbaus der Stadt zu verhindern.

Die meist unabhängig voneinander agierenden BürgerInnen möchten sich nun besser vernetzen. Zum Thema Fasanengarten in der Oststadt erreichten uns diese Infos zu spät; der Film dazu wurde auf Facebook nach ein paar Tagen aber schon 30.000 Mal angesehen. Auch um einen kleinen Gegenpol zur täglichen Stadt-PR in den BNN zu setzen, die das Presse- und Informationsamt (PIA) als Sprachrohr von Stadtpolitik und Verwaltung so anrührt, haben wir die Stadtnews-Webplattform „Zeitlupe“ aufgemacht, die in unseren Highlight-Bannern mitläuft, dort ist das Video zu finden. Auch der Investor am Franz-Rohde-Haus erhielt noch schnell vor dem 1.10. die Baugenehmigung. Dem neuen Baubürgermeister Daniel Fluhrer hinterlässt Obert damit ein katastrophales Erbe. Am vorletzten Samstag trafen sich insgesamt fast 100 Betroffene vom Fasanengarten, Weststädtler und Sofien-Carréler zu einem ersten stadtweiten Brainstorming. Außerdem dabei von der Stadtpolitik als Mitglied der AG Stadtbild war Lüppo Cramer von der KAL. Diese ist ja bekanntlich lokalpolitisch engagiert wie z.B. im Fall Franz-Rohde-Haus – zumal vor den Wahlen.

Wenn die ersten Mails von Eberhard Fischer aus Rüppurr zur Stadtpolitik eintrudeln, weiß man: Es ist wieder Wahlkampf. Die KAL stimmt aber wenn es eng ist oder nicht mit der SPD. Vielleicht kann sich Binoths alter Kämpe bei den bauwütigen Sozialdemokraten nun mäßigend einbringen. Es ist wie gesagt Wahlkampf und die vielen engagierten Menschen, die sich in der Oststadt trafen, entsprechen weniger dem Bild „linker Revoluzzer“, sondern dem von Genossenschaftsmitgliedern und Schrebergärtnern.

Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Meinungsbildung in der Stadt in immer stärkerem Maße von der Scheinwirklichkeit entfernt, wie sie Stadtverwaltung und -politik über ihr Presseamt kommunizieren. PIA und Lokalpresse wippen im Gleichklang: Das Procedere wird über wahlweise veröffentlichte oder aber zurückgehaltene Leserbriefe gesteuert, wie man es seinerzeit von der Karl-Apotheke her kennt. Kommen Leserbriefe zur Nachverdichtung wird z.B. parallel eine extrem unkritische „Ikea ist toll und auch der Dommermuth-Bau schreitet wunderbar voran“-Kampagne gefahren. Dass Ikea ein noch extremerer Steueroptimierer ist als Apple und obendrein ein Gewerbesteuerzahlerkiller, während die eigene „steueroptimiert“ ist: kein Wort davon. Hinter den Leserbriefen zum Fasanengarten werden gleich mal Bauanzeigen platziert, die beiden an „Nahvernichtung durch Nachverdichtung“ beteiligten Investoren wie die Berckholtz Stiftung und die Genossenschaft Hardtwaldsiedlung bekamen unverhohlen großformatig angelegte Artikel gebaut, die als PR bezeichnet werden müssen, weil man sie sich normalerweise mit Seitenpreisen von 4.000 Euro teuer bezahlen lässt. Ganz blöde sind die BNN-Leser denn doch nicht.

Eigentlich will man ja der „Bürgergesellschaft“ den Stadtraum zurückgeben. Aber „stadt“ froh zu sein, dass hier viele nun gelassener mit dem U-Strab-Bau und dessen Folgen wie aktuell in der Kriegsstraße umgehen – das haben auch die rund 18.000 Interessierten bei den „Baustellen-Open“ bewiesen – schürt man mit stadtübergreifenden Nachverdichtungsprojekten erneut massiven Unmut. Bezahlbarer Wohnraum muss her, aber nicht um den Preis, dass auch noch der letzte Winkel zubetoniert wird. Besonders sinnentleert offenbart sich dies in der Geranien-/Weinbrennerstraße bei der Berckholtz Stiftung. Unsere Nachfrage beim Stadtplanungsamt über die dort geplante Blockrandbebauung (Simulation linke Seite: INKA) wurde noch nicht beantwortet. Dafür stellte sich die Aussage von Bauordnungsamtschefin Monika Regner dem Autor gegenüber, die angrenzenden Vermieter seien 2016 vom BOA über den geplanten Altersheimneubau informiert worden, als unwahr heraus. Unsere Stichproben ergaben, dass die Vermieter nicht informiert wurden – und damit auch die Anwohner nicht. Wenn man als Betroffener und Journalist fast 45 Minuten mit einer hohen städtischen Amtsleiterin telefoniert und diskutiert, könnte man einen anderen Umgang erwarten. Auch dies zeigt, wem sich manche Ämter in der Stadt offenbar verpflichtet fühlen: nicht ökologischen Grundinteressen und den hier lebenden BürgerInnen, sondern Immobilieninvestoren aller Art.

Tja, und was macht die Lokalpolitik? Der CDU scheint jede gestalterische Fähigkeit abhanden gekommen zu sein, sie hängt nach Mergen und Welle im Vakuum. Ihr einst wichtiger kulturkonservativer Part hat seit 2011 sogar maßgeblich den Kulturabbau in Karlsruhe mitgetragen und vorangetrieben. Mit Kathrin Schütz sitzt ihre einzige Lokalpolitikerin von Format als Staatssekretärin in der Landesregierung. Und was machen im Speziellen die Grünen? Beim Sophien-Carré stimmte man mit der SPD: für Abholzung. Beim Fasanengarten war Fraktionssprecher Honné im August laut einem von den BNN nicht veröffentlichten Leserbrief selbst vor Ort. Kein Statement, nur eines in Richtung „günstiger Wohnraum muss auch sein“. Das verwundert doch sehr.

Bettina Lisbach (Noch-MdL, demnächst Umwelt-Bürgermeisterin in Karlsruhe) in einem Statement der Landesgrünen zur Kommunalwahl 2019: „Wir Grüne setzen beim Wohnungsbau auf flächensparendes Bauen und auf eine vertikale Stadtplanung in die Höhe statt in die Breite. Gleichzeitig wollen wir Innenentwicklung doppelt voranbringen: Nicht nur der Gebäudebestand, sondern auch Grünstrukturen im Quartier müssen verdichtet werden. Begrünte Dächer, Fassaden, Bäume und andere Grünstrukturen verbessern die Lebensqualität und das Stadtklima.“ Hört sich gut an, nur was bitte ist davon in Karlsruhe derzeit zu erleben? Man hat sich zu gut eingerichtet in der Stadtpolitik. Beim Rüppurrer Postengekungel ist wohl etwas die Substanz abhandengekommen. Es wird sich noch zeigen, welche Absprachen es hier zwischen Grünen, SPD und KAL gegeben hat. Von „Grün“ ist jedenfalls wenig zu erleben: Der Radweg auf der künftigen Rheinbrücke ist zu eng. Ah. Gibt es endlich Initiativen zur längst überfälligen Abschaltung des alten Kohlekraftwerks? Wie groß sind die Gefahren des noch weiter ausgebauten größten deutschen Zwischenlagers für „soften“ Atommüll unmittelbar an der Stadtgrenze? Selbst der überwiegende Teil des Wertstoffmülls der Karlsruher wird in einem Zementwerk unter Umgehung strenger Umweltauflagen in Wössingen verheizt statt recycelt. Und außerdem sammeln wir alle zu schlecht…

Positiv dagegen in punkto Erkenntnisgewinn ist zumindest die Haushaltsrede der Grünen von Ende September: „Wenn man den prozentualen Anteil für Kultur am Gesamthaushalt betrachtet, wird deutlich, dass wir Jahr für Jahr weniger für Kultur ausgeben: Der prozentuale Anteil der Ausgaben für Kultur innerhalb der laufenden Verwaltungsausgaben sank von 4,7% in 2011 auf nur noch 4,0% in 2020. Noch deutlicher fallen die realen Mittelsenkungen bei den Transferleistungen aus. Diese wurden (ohne Badisches Staatstheater, ZKM, Volkshochschule und Majolika) von 2011 bis 2020 nur um 350.000 Euro erhöht: Für Tollhaus, Kammertheater, Marotte, Literarische Gesellschaft, Badischer Kunstverein, Kinemathek, Centre Culturel Français, Fastnachtsumzüge und Jugendorchester und noch viele mehr. In neun Jahren sind das nicht einmal 7% gegenüber 40% Steigerung im Gesamthaushalt.“ Dem ist wenig hinzufügen; daher sind wir für eine sofortige Rücknahme der Kulturkürzungen und ein umgehendes Umschwenken in Sachen Nachverdichtungen in der Stadt, bei denen ökologische Schutzaspekte der Bürgergesellschaft endlich ausreichend berücksichtigt werden. Im Dialog. -rw

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Kommentar von Lucie Klein |

Nachverdichtung ohne Grünvernichtung
zu: Sophien-Carrée, Oststadtgärten, Berckholtz-Stift

Wie dieser Hitzesommer überdeutlich zeigte, sind alte Bäume in einer Stadt etwas äußerst Wertvolles. Sie können nicht einfach durch Neupflanzungen und Dachbegrünung ersetzt werden, wie dies demnächst im Sophien-Carrée in der Karlsruher Weststadt geschehen soll. Davon abgesehen, dass bei Jungbäumen erst mal 20 Jahre lang kaum von einer Kühlleistung oder von Lebensraum für Vögel, Eichhörnchen etc. gesprochen werden kann, verdorren Ersatzpflanzungen in Dürreperioden oft schon innerhalb von 5 Monaten: In den BNN vom 22.08.2018 wird Thomas Eichkorn, Leiter des Forstbezirks West im Landratsamt Karlsruhe, zitiert mit den Worten: „Die im März und April gepflanzten Bäume sind schon zu mehr als zwei Dritteln ausgefallen. Ich fürchte, dass wir den Rest in den nächsten Tagen auch verlieren. Auf einer großflächigen Ersatzaufforstung in Friedrichstal sind neu gepflanzte Bäume bereits vertrocknet.“

Daraus ist ersichtlich, dass Nachverdichtung sehr behutsam erfolgen muss. Man kann etwa bereits versiegelte Flächen wie Parkplätze oder verlassene Fabrikgelände überbauen, oder man fügt auf einstöckigen Gebäuden, z.B. Supermärkten, noch Stockwerke hinzu. Auf keinen Fall darf Grün zerstört werden. Deshalb hätte sich der Stadtrat gegen eine Bebauung des südlichen Teils des Sophien-Carrées aussprechen sollen. Dieses Carrée mit seinen 26 großen, alten Bäumen ist leider kein Einzelfall, siehe das Franz-Rohde-Haus, die Kastanie in Beiertheim, den Neubau des Generallandesarchivs und die Oststadtgärten. Beim Berckholtz-Stift in der Weinbrennerstraße / Ecke Geranienstraße wird außer der Abholzung auch noch der Abriss des gesamten, wunderschönen Gebäudes mit seiner denkmalgeschützten Südfassade erfolgen.

Wie meine – unvollständige – Aufzählung zeigt, scheint die Idee der „grünen Stadt“ für große Teile des Gemeinderats und der Stadtverwaltung keine besondere Bedeutung mehr zu haben. Nach Bürgerprotesten mussten zwar unlängst mehrere Kleingartenanlagen, u.a. an der Pulverhausstraße, nicht Neubauten weichen, aber es steht zu befürchten, dass in den kommenden Jahren immer mal wieder hier ein Baum, dort ein Garten vernichtet wird, bis aus der „grünen Stadt“ eine graue geworden ist. Dabei ist Karlsruhe schon jetzt an der Belastungsgrenze in Bezug auf Verkehr, Lärm, Luftqualität, Sommerhitze etc. . Beim Autoverkehr, ja sogar beim ÖPNV und Radverkehr, scheinen die Kapazitätsreserven nahezu ausgeschöpft zu sein.

Man sollte bedenken, dass in jeder neu erstellten Wohnung Menschen leben werden, die auch einen Arbeitsplatz sowie eine Infrastruktur (Ärzte, Supermärkte …) benötigen, die Energie verbrauchen, Müll erzeugen und Verkehrsmittel benutzen. Daher appelliere ich an die Verantwortlichen aus Politik, Stadtverwaltung, Wirtschaft und Kirchen, sich weiterhin am Leitbild „grüne Stadt“ zu orientieren und dieses nicht dem Wachstum um jeden Preis zu opfern.

Zum Schluss noch eine generelle Frage: Warum schafft man in Zukunft Arbeits- und Studienplätze nicht eher in strukturschwachen Gebieten statt in überhitzten, überforderten Städten, d.h. warum lässt man Ballungszentren immer weiter wuchern, während anderswo ganze Regionen ausbluten?

Lucie Klein, KA-Weststadt

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