Querfunk: Das Freie Radio Karlsruhe feiert „25+2“

Stadtleben // Artikel vom 02.07.2022

Dem Klub 27 von der Schippe gesprungen.

Eigentlich hatten wir uns schon lange darauf gefreut, unser erstes Vierteljahrhundert im großen Stil zu feiern. Das 25. Sendejubiläum und damit die Feier wäre im Juni des denkwürdigen Jahres 2020 mitten in den ersten Pandemiesommer gefallen, natürlich war uns das zu heikel und die Sause musste verschoben werden. Mittlerweile ist zumindest ein Großteil der Bevölkerung geimpft oder gesundgeschrumpft, da lässt sich das freilich immer noch bestehende Restrisiko besser einschätzen.

von Bertrand W. Klimmek

Mittlerweile werden wir sogar schon 27 Jahre alt, und was? Sie kennen den Klub 27 nicht? Seine prominentesten Mitglieder sind (in Reihenfolge des Ablebens) Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse. Sie alle erlebten ihren 28. Geburtstag nicht mehr. Und auch wenn es uns manchmal vor Lachen zerreißt oder wir uns dann und wann in schwerem Dissens einander entfremdet oder gar entzweit haben: Querfunk ist auch weiterhin alive and kicking! Das Freie Radio Karlsruhe, bekannt und berühmt-berüchtigt für das abwechslungsreichste und wohl auch beste Radioprogramm der Region, versorgt Sie auch weiterhin mit der gewohnten audiblen Pracht – und Sie können sogar mitmachen, wenn Sie was zu sagen, zu senden oder zu funken haben.

Doch halten wir kurz inne – und erinnern uns an die Zeit, als Querfunk sich, nach zweijähriger Konstitutions-, Vorbereitungs- und Trockenschwimmphase, anschickte, am Sa, 17.6. des Jahres MCMXCV on air zu gehen. Drehen wir kurz die Uhren zurück, um zu gucken, wie alt wir in Wirklichkeit sind. Wir schreiben also das Jahr 1995, Zahlungsmittel ist die D-Mark. In der Kohl-Ära, die seit fast 13 Jahren ihre „geistig-moralische Wende“ durchdrückt und noch über drei Jahre andauern wird, heißt gesellschaftspolitische Modernisierung vor allem: Es gibt neue Postleitzahlen (seit 1993), neu-gestaltete Geldscheine (seit 1990) und mehr Schwarzrotgold allenthalben. Letztes Jahr (1994) ist die vormals Deutsche Bundesbahn privatisiert worden, was die Fahrpreise hochtreiben wird, in drei Jahren (1998) wird das Telefonnetz privatisiert werden, was die Tarife purzeln lässt. Hauptstadt ist ein unscheinbarer Ort namens Bonn, und was die Medienlandschaft betrifft, so sind seit den 80er Jahren sowohl Hörfunk wie auch Fernsehen um die Wohltat der Privatsender erweitert worden, damit sich das Leben in Kohlland noch besser, bunter und authentischer anfühlt. Seit bald zehn Jahren senden solche Anstalten also bereits, und die öffentlich-rechtlichen haben seither genauso ihre Mühe zu bestehen wie die Qualitätspresse angesichts von „Bild“ und „Super-Illu“.

1995 hat die moderne CD mit ihrem „digitalen Klangerlebnis“ endgültig der Schallplatte den Garaus gemacht, während eine verschworene Szene von Esoterikern dem „warmen Klang“ des Vinylmediums nachtrauert. In der zivilisierten Welt geht gerade ein Phänomen namens Britpop durch die Decke, während hierzulande ein musikalischer Stadtgeländewagen namens Rammstein sich anschickt, das nächste große Ding zu werden und als erfolgreichster deutscher (und wohl deutschester) Act die 90er Jahre ästhetisch zu vollenden. Ja, das passt zum hässlichen neuen Deutschland. In bemerkenswerter Logik ist vor zwei Jahren (1993) das Grundrecht auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit demontiert worden: Flüchtlinge heißen zwar noch nicht Geflüchtete, aber marodierende und zündelnde Neonazis schon besorgte Bürger. „Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen.“ Ihnen wurde genüge getan. Der ein oder andere Förster fährt vielleicht einen Jeep, aber SUVs sind sowohl dem Wort nach wie auch im Straßenbild unbekannt. Was das Auto, der Deutschen liebstes Kind, betrifft, so kursierten bis vor kurzem noch Witze über das Modell Opel Manta (West) oder Trabant (Ost). Seit ein paar Jahren gibt es bleifreies Benzin.

Auch „das Netz“ gibt es 1995 im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit noch nicht, höchstens Haarnetze und Fischernetze; manche haben BTX oder Teletext. Beim Wort Suchmaschine würde man eher an einen Metalldetektor denken, an eine Sicherheitsschranke am Flughafen. Ein ominöses Internet soll Legenden zufolge schon die Universitäten miteinander verkabeln: so manch verschalteten Computer, über den man sich auch international austauschen kann („E-Mail“). Binnen fünf Jahren wird sich das grundstürzend ändern, die Informationsgesellschaft wird vom Propagandabegriff zur manifesten Realität und alsbald zum Fetisch. Mobilfunkgeräte gibt es schon lange, für Bastler und abenteuerlustige Jugendliche, aber Mobiltelefone („Handy“) sind noch ein recht elitärer Spaß. Klingelt bzw. fiepst eines in der Öffentlichkeit, so ist das noch Anlass zu Argwohn und Bewunderung: Argwohn der Neider und Senioren, die das dekadent finden, und Bewunderung der staunenden Yuppies und Hipster, die das auch haben wollen. Es wird gemunkelt, es gebe sogar Agenturen, von denen man sich zu vorher verabredeten Uhrzeiten auf dem coolen Ding anrufen lassen könne, um im Café, im Hörsaal oder in der Straßenbahn Aufsehen zu erregen.

Ja, in dieser Welt starteten wir anno 1995. Noch bis Ende des Jahrzehnts (und Jahrhunderts) archivierten wir unsere Sendungen auf handelsüblichen Audiokassetten, jawohl: auf analog bespieltem und stets einem Bandsalat-Risiko ausgesetzten Magnetband. Aber wir sendeten ja auch auf analoger Ukw-Frequenz, nämlich auf 104,8 MHz. Aber – moment: Das tun wir ja immer noch. Mit der Welt haben auch wir uns binnen 27 Jahren ein bisschen verändert. Doch hören Sie selbst.


Am Anfang stand da mal die gute Idee, dem kommerziellen und stromlinienförmigen, vor allem aber langweiligen und hirnerweichenden Rundfunk etwas gänzlich anderes entgegenzusetzen. Nicht anbei zu stellen, sondern entgegenzusetzen. Wir wollten (dies ein weitverbreitetes Missverständnis) keine Ergänzung zum bestehenden Dudelfunk sein, sondern das dezidierte Gegenprogramm. Es ging nicht bloß um die Erhöhung von Sichtbarkeit – bzw. in unserem Falle: Hörbarkeit – irgendwelcher Leute, wie heute so oft.

  • Phase 1: Eine Gesetzesnovelle in Baden-Württemberg sieht erstmalig nichtkommerziellen Rundfunk vor. Eine Handvoll Leute, die die Schnauze voll haben vom Formatradio, tun sich 1993 zusammen und suchen per Aushang und Handzetteln Gleichgesinnte. Patente Paten vom ehemaligen Piratensender Radio Dreyeckland (RDL) aus Freiburg geben Tipps zu Organisation, Aufbau und behördlichem Ungemach.
  • Phase 2: Man trifft sich, anfangs sporadisch und schon bald regelmäßig, und diskutiert abende- und nächtelang, was wir eigentlich wollen. Da sind kulturell, insbesondere subkulturell Interessierte, politisch Ambitionierte, hochmotivierte Musikfreaks jedweder Couleur. Schnell wird klar, dass das ein tolles Ding werden wird. Man gründet einen Förderverein, ohne den nichts gehen wird; schließlich will man sich weder von Werbung noch von sonstigen Gönnern, Sponsoren und Spinnern abhängig machen.
  • Phase 3: Nachdem die Treffen ein Jahr lang in den Hinterzimmern von Schankwirtschaften stattfinden mussten, mieten wir Räumlichkeiten in der Innenstadt an, die wir als Büro und Treffpunkt nutzen wollen. Hier steht auch die erste Technik: CD- und Plattenspieler, ein Mischpult, Mikrofone, an der wir manch erste Moderation ausprobieren.
  • Phase 4: Wir brauchen ein Sendestudio, wenn wir wirklich senden wollen. Nachdem kurz erwogen wurde, im Kulturzentrum Tempel Büro und Studio einzurichten, entscheiden wir uns für das alternative Zentrum Gewerbehof, der viel zentraler liegt. Fleißige Hände helfen hier, das Radioprojekt auf die Beine zu stellen, denn nicht nur die redaktionelle und Organisationsstruktur ist basisdemokratisch, auch alle anderen, insbesondere baulichen und technischen Aspekte laufen selbstverwaltet.
  • Phase 5: Alle technischen und personellen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen stehen, wir sind betriebsbereit, die Motivation ist am Anschlag. Generalprobe: Rund einen Monat vor dem großen Termin proben wir quasi inkognito, also bewusst ohne öffentliche Ankündigung, einen regulären Sendebetrieb – mit einem stundenplanartigen Programmschema, das wir zunächst eine Woche lang pannenfrei realisieren wollen. Wir schauen also, ob wir so eine Routine „in Echtzeit“ verlässlich hinbekommen – oder ob in dieser Simulation noch unerwartete Schwierigkeiten auftauchen. Die Luft flirrt, es ist wie bei einem Raketenstart-Countdown. „Experten streiten sich um ein paar Daten; die Crew hat da noch ein paar Fragen; Effektivität bestimmt das Handeln; man verlässt sich blind auf den andern.“ (Peter Schilling) Und schließlich ist es so weit: Am Sa, 17.6.1995, gehen wir eines schönen Sommertages mit einer großen Party auf Sendung. Querfunk hat abgehoben. Und sendet. Jeden Tag. Bis heute.

Sa, 2.7., 12-22 Uhr, Gewerbehof, Steinstr. 23, Karlsruhe
www.querfunk.de

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