Sparen um jeden Preis: In Karlsruhe stehen die Zeichen auf Kürzungen
Stadtleben // Artikel vom 05.07.2021
„Ein Wunsch nach mehr muss mit weniger an anderer Stelle einhergehen“, stimmte Oberbürgermeister Frank Mentrup im Januar auf eine restriktive Haushaltspolitik der Stadt Karlsruhe ein.
von Florian Kaufmann
Eine „einschneidende Reduzierung des Fehlbetrags“ kündigt die Finanzbürgermeisterin Gabriele Luczak-Schwarz an, die nach den Plänen der Stadtverwaltung auch erhebliche Ausgabensenkungen zur Folge haben werden. Nach Jahren hoher Überschüsse weist der vom Gemeinderat verabschiedete, knapp 1,5 Milliarden schwere Stadthaushalt 2021 ein Minus von 107 Millionen Euro aus. Das für die Finanzaufsicht zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe genehmigte den Haushalt nur unter der Auflage der Ergebnisverbesserung und Kreditreduzierung.
Als Grund für die negative Haushaltsentwicklung sagt Luczak-Schwarz, dass „die Aufwendungen in guten Zeiten stärker gestiegen sind als die sich bereits auf hohem Niveau befindlichen Erträge“. Es gäbe nicht „den einen Fehler oder das eine Projekt, das für diese Situation ursächlich“ wäre. Die Corona-Pandemie hätte die Situation als Brandbeschleuniger zusätzlich verschärft. Ursache der aktuellen Schieflage sei sie aber nicht. Eine Haushaltsstabilisierung wäre auch ohne Corona notwendig gewesen, betont auch Mentrup. Gemeinsam wollen sie im Herbst eine Erhöhung von Gewerbe- und Grundsteuer sowie die Einführung einer Verpackungssteuer vorschlagen. Luczak-Schwarz beklagt eine „strukturelle Unterfinanzierung“ der Kommunen in Deutschland, die Oberzentren wie Karlsruhe besonders treffe. Das Landesfinanzministerium Baden-Württemberg bestreitet dies auf Anfrage mit Verweis auf milliardenschwere Hilfs- und Stabilisierungsprogramme. Tatsächlich profitierte die Stadt 2020 auch von einer Transferzahlung des Landes für ausgefallenen Gewerbesteuereinnahmen und erhielt kurzfristig sogar 20 Millionen Euro mehr an Kompensationszahlungen als ihr durch Corona weggebrochen sind. Auch die hohen Überschüsse vergangener Kommunalhaushalte zeigten, dass „weder eine strukturelle Unterfinanzierung noch ein ‚Über-die-eigenen-Verhältnisse-Leben‘ der Kommunen“ vorläge, heißt es aus Stuttgart.
Gunther Markward, der an der Universität Dresden zu Kommunalfinanzen forscht, will sich in der Frage nicht festlegen. Die Studienergebnisse zu diesem Thema seien „oft auftraggebergetrieben“. „Ursachen für Schieflagen der kommunalen Haushalte finden sich meist in Fehlern der Vergangenheit“. Die Stadtratsfraktionen machen unterschiedliche Faktoren für die derzeit angespannte Haushaltslage der Stadt verantwortlich. „Die Kosten der Kombilösung, neue Straßenbahnwagen, höhere Ausgaben für Kitas und viele Einzelpositionen“ nennen die Grünen als Ursachen der negativen Haushaltsentwicklung. Die CDU-Fraktion hält einen „massiven Personalaufbau, die Abfinanzierung von größeren Projekten“ und zu hohe Ausgaben eines „links-grünen Gemeinderats“ als ursächlich. Während die SPD-Gemeinderatsfraktion vor allem auf die Corona-Folgen verweist, hält die Fraktion der Freien Wähler/Für Karlsruhe dies für falsch. Auch ohne die Corona-Krise seien die kommunalen Ausgaben zu hoch. Die stetige Ausweitung kommunaler Aufgaben und der damit verbundene Personalaufwand ist für die FDP verantwortlich. Die Linksfraktion diagnostiziert auch eine strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen, die „verstärkt durch ein massives Eigenverschulden durch Großprojekte wie der Stadthalle oder die Kombilösung verstärkt“ worden sei. „Wir sehen keine gravierende Fehlentwicklung des städtischen Haushalts“, heißt es dagegen von Karlsruher Liste und Die Partei. Vorübergehende Fehlbeträge und Krisen seien „ganz normal“.
Einer der größten Kostentreiber in Karlsruhe bildet der Bau und Betrieb der Kombilösung: An den Herstellungskosten des Projekts trägt die Stadt Karlsruhe nach derzeitigem Stand mindestens über 500 Millionen Euro. Die zusätzlichen Betriebskosten für die unterirdische Bahn in Höhe von fast 30 Millionen Euro pro Jahr ab 2022 schultert die Kommune allein. Schon in diesem Jahr wendet die Stadt mindestens 60 Millionen Euro zum Ausgleich der Verluste der für die Kombilösung verantwortlichen Stadttochter Karlsruher Versorgungs-, Verkehrs- und Hafen GmbH (KVVH) auf. Auch andere Beteiligungen und Töchter der Stadt weisen einen hohen Zuschussbedarf auf. Von der Gesamtverschuldung der Stadt gehen über 80 Prozent auf das Konto städtischer Gesellschaften. Darüber hinaus musste die städtische Beteiligung am Baden-Airpark in den vergangenen Jahren durch Wertminderung um über 14 Millionen Euro abgeschrieben und das Defizit des Messebetriebs mit fast 60 Millionen Euro in den vergangenen fünf Jahren ausgeglichen werden. Zudem bilden der Sozial- und Jugendbereich sowie die Ausgaben für Personal und Versorgung große Kostenblöcke. Nach derzeitigem Stand werden die Personalausgaben der Stadt zwischen 2015 und 2024 von 300 auf 450 Millionen Euro im Jahr steigen.
Ein großer Teil der städtischen Ausgaben betreffen gesetzlich vorgegebene Pflichtaufgaben, die auf Weisung, im Auftrag oder als Teil kommunaler Selbstverwaltung erbracht werden. Einen anderen Teil bilden u.a. die sogenannten freiwillige Aufgaben, die 20 Prozent des Karlsruher Haushalts ausmachen und etwa die Förderung von Kultur, Sport oder Wirtschaft betreffen. In der politischen Diskussion um Haushaltskonsolidierung werden diese freiwilligen Leistungen meist zuerst zur Debatte gestellt. Markward plädiert dagegen dafür auch die Umsetzung der Pflichtaufgaben zu prüfen: „Auch wenn es der mühsamere und politisch schwierigere Weg ist, empfehle ich die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit aller Aufgaben zu überprüfen und fallabhängig zu entscheiden.“ Zudem appelliert er nicht auf Investitionen zu verzichten. Die Kommunen seien ein wichtiger Baustein für den Weg aus der Wirtschaftskrise. „Sie sollten sich gegen den Trend stemmen.“ Das Regierungspräsidium hat der Stadt allerding auferlegt, städtische Investitionen stärker zu priorisieren und an der Eigenfinanzierungskraft der Stadt auszurichten. Die Entscheidung, welche Investitionen notwendig seien, obliege der Kommune, betont das Landesfinanzministerium.
Die Herausforderungen der Klimakrise, steigender Wohnungspreise oder der öffentliche Sanierungsbedarf sind gewaltig. Neue Investitionsvorhaben soll es in der Stadt aber erst mal nicht geben, sagt Luczak-Schwarz. Aus „Verantwortung für die nächste Generation“ solle die Kreditaufnahme begrenzt werden. Dabei ist eine marode Infrastruktur für künftige Generationen mindestens so teuer wie Schulden. Markward wünscht sich daher von Kommunen, sich gegen den Trend zu stemmen, da Investitionen erst im wirtschaftlichen Aufschwung die Preise nur weiter in die Höhe treiben würden. Bereits 2016 verabschiedete der Karlsruher Gemeinderat ein Maßnahmenpaket zur Haushaltsstabilisierung, das u.a. schmerzhafte Kürzungen nach dem Rasenmäher-Prinzip in Kultur und Sozialem beinhaltete. In den beiden Jahren darauf erwirtschaftete die Stadt einen Überschuss von 300 Millionen Euro. Eine positivere Schätzung der Steuereinnahmen und Auflösungen von Rückstellungen reduzieren das prognostizierte Minus des Stadthaushalts 2021 schon um knapp die Hälfte, auf 56 Millionen Euro. Die aktuelle Diskussion lässt vermuten, dass erneut das Spardiktat die Oberhand behält und Leistungen gestrichen oder höhere Strompreise der Stadtwerke letztlich zur Refinanzierung von Großprojekten wie der Kombilösung herhalten müssen. Trotz der Erwartung wieder steigender Gewerbesteuereinnahmen sollen in diesem Jahr nach INKA-Informationen 500.000 Euro im städtischen Kulturhaushalt eingespart werden.
Hier wollen die Gemeinderatsfraktionen sparen
Grüne: „Sicher ist, dass wir nicht beim Klimaschutz sparen wollen.“ Höhere Gebühren für das Bewohnerparken und ein Mobilitätspass sollen nach dem Willen der Grünen mehr Einnahmen bringen. „Karlsruhe bietet seiner Bevölkerung sehr viel, aber wir müssen es eben auch finanzieren“, stimmt sie aber auch auf Ausgabenkürzungen ein. Die Vorschläge der Verwaltung dazu sollen „eingehend“ geprüft werden, sagt die größte Fraktion und verzichtet auf die Benennung eigener konkreter Vorschläge, wobei sie sich dafür ausspricht städtische Investitionen „stark zu priorisieren“. So hätten z.B. die Planungsgelder für die Südumfahrung Hagsfeld „die Möglichkeiten massiv geschmälert“.
CDU: „Wir gehen davon aus, dass es Kürzungen geben muss.“ Die „klaren Vorgaben“ des Regierungspräsidiums zur Haushaltskonsolidierung müssten umgesetzt werden. Konkrete Maßnahmen will die CDU-Fraktion erst im Herbst bei der Vorlage konkreter Zahlen nennen. Sie stellt sich gegen Entscheidungen des Gemeinderats, die „Vergünstigungen und mehr Personal“ beschlossen hätten. Investitionen seien zwar immer sinnvoll, doch „können wir uns das im bisherigen Umfang und dem Niveau leisten?“, fragt sich die CDU. Seit Jahren forderten sie Planungen zu vereinheitlichen und zu priorisieren.
SPD: Auch die SPD gibt sich für Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung „offen“. „Steigende Personalkosten, steigende Energiepreise und steigende Baukosten bei gleichbleibenden bzw. sinkenden Einnahmen“ zeigten die „schwierige Ausgangslage“. Die Fraktion bereite sich auf eine „schwierige Diskussion“ vor. Problematisch seien nicht „einmalige Investitionsausgaben, sondern die laufende Verwaltungstätigkeit“. Durch Corona seien die Kunden und Gebühreneinnahmen beim KVV, der Messe, im Zoo oder den Bädern weggefallen und neue Ausgaben für Kitas und Kultur hinzugekommen, sagt die SPD-Fraktion.
FDP: „Wir werden Steuer- und Gebührenerhöhungen für die BürgerInnen und Bürger nicht mittragen“. Stattdessen müssten „die Ausgaben generell auf den Prüfstand“. Die FDP-Fraktion warnt vor einer „Ausweitung des Aufgabenspektrums“ und fordert eine „strenge Aufgabendisziplin“. Zudem kritisiert sie eine „Gutachteritis“ durch die „selbst beim kleinsten Schlagloch“ Berater hinzugezogen würden. In bereits stark gekürzten Bereichen müsse die Substanz erhalten werden. „Im Sinne der Generationengerechtigkeit dürfen wir keinen Investitionsstau vererben“, stellt sich die FDP gegen die Verschiebung von Investitionen und wirbt stattdessen für stärkere Kostenkontrolle.
KAL/Die Partei: „Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, mögliche, auch versteckte Kürzungen in den Bereichen Kultur und Soziales zu erkennen und zu verhindern“. Einsparpotenziale sieht die Fraktion bei der geplanten Verlängerung der Turmbergbahn und dem Bau des Trogs für die Südumfahrung Hagsfelds. Zudem übernehme die Stadt mit dem Kommunalen Ordnungsdienst Aufgaben, die eigentlich vom Land zu tragen wären. Dagegen setze sich die Fraktion „für Investitionen ein, die dem Klimaschutz dienen und den kulturellen und sozialen Zusammenhalt unserer Stadt stärken. Denn, das „unterlassene Investitionen können später große Folgekosten nach sich ziehen“.
FW/Für Karlsruhe: „Der Haushalt 2022/23 wird in keinem Fall ohne Kürzungen auskommen“, ist sich die Fraktion sicher. Das Investitionsvolumen sei „viel zu hoch“ und der Ertragskraft der Stadt nicht angepasst. Es müsse Ausgabenkürzungen oder Gebührenerhöhungen geben, wobei die Fraktion die Gebührenlast schon seit dem letzten Haushalt als hoch erachtet. Gebührenfreie Kitas bräuchte es dagegen für einkommensstarke Familien nicht. Eine Gewerbesteuererhöhung wird abgelehnt, da „in der Krise steckenden Unternehmen nicht noch mehr belastet“ werden sollten. Für die Investitionen erwartet die Fraktion eine Priorisierung und „Streichliste“ der Verwaltung.
Die Linke: „Wir sollten erst mal die Einnahmenseite der Stadt hier in den Fokus nehmen.“ Die Linke will mit einer Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuer Wohlhabende stärker belasten, eine Übernachtungssteuer einführen und Gebühren beim (Anwohner-)Parken erhöhen. Kürzungsmöglichkeiten sieht die Fraktion bei „konservativen Leuchtturmprojekten“ wie dem KOD oder der Südumfahrung Hagsfeld sowie bei Ausgaben für „klimaschädliche Mobilität“. Investitionen für „Klimaschutz, Generationengerechtigkeit und eine lebenswerte Stadt“ sollten dagegen nicht verzögert werden.
INKA fragte alle demokratischen Fraktionen des Stadtrats nach ihren Plänen zum Stadthaushalt.
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